Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1972

Spalte:

103-105

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

De Mari à Qumrân 1972

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

103

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 2

104

Heiligentagen zu halten, daneben aber wochentags das
Abendmahl zu reichen, wenn Kommunikanten sich einfanden
und darum bäten (WA Br 4, 534,19-535,26). Hier kamen
die feste Gottesdienstordnung und die ursprünglich ins Auge
gefaßte Freiheit der Versammlung nebeneinander zu stehen.

Man wird zugeben müssen, daß 1526 im ernestinischen
Sachsen nur der Kurfürst Macht hatte, das Kirchengut für
die Unterhaltung der Pfarrstellen und Schulen sowie für die
Unterstützung der Armen sicherzustellen. Es war auch nichts
Neues, daß der Landesherr sich um kirchliche Angelegenheiten
kümmerte. Im frühen Mittelalter war das die Rechtsnorm
, im Spätmiltelalter wurde es wieder üblich. Der Gedanke
einer landesherrlichen Visitation stammte also nicht
von Luther, sondern er wurde aufgefordert, die Mißstände in
der Gemeinde auf diese Weise beseitigen zu lassen, als ihn die
Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam vollständig
ausfüllte (WA Br 3, 582,5), so daß man den Eindruck gewinnen
kann, Luther hat sich hier auf einen Weg drängen
lassen, ohne lange zu überlegen, wohin dieser schließlich führen
könnte und ob es einen besseren Weg gäbe, der auf die
Dauer die evangelische Freiheit vor einer allzu starken Einengung
durch Ordnung bewahren könnte. Luther erbat die
landesherrliche Visitation, weil sie ihm im Moment als das
wirkungsvollste Mittel erschien, einen großen Teil der Gemeinden
mit ihrer heranwachsenden Jugend sich nicht selbst
zu überlassen, was für Luther bedeuten mußte, nicht ewig
zugrunde gehen zu lassen. Es lag wohl außerhalb seines Vermögens
, dabei zu verhindern, daß die neue Ordnung mehr als
ein Ersatz für die alte angesehen wurde, als daß ihr modellhafter
Charakter erkannt und sie im Rahmen der christlichen
Freiheit begriffen wurde, weil nicht genügend Menschen in
den neuen Kategorien zu denken vermochten. Luthers wiederholten
und eindrücklichen Aussagen, daß diese Ordnungen
nicht als Gesetz mißverstanden werden sollten, waren
keine Selbstrechtfertigung für ein verändertes Verhalten,
sondern echt gemeinte Warnungen an seine Freunde, die für
ihn allzu sichtbar in dem alten Ordnungsdenken befangen
blieben.

Aus diesem Vergleich zwischen Luthers Anschauungen über
Freiheit und Ordnung 1522 und 1526 ergibt sich für che Lutherbetrachtung
eine grundsätzliche Folgerung: Eine Lu-
therforschung bzw. lutherische Theologie, die sich zu sehr
auf die Entdeckungen des sog. jungen Luther konzentriert,
beraubt sich der Erfahrungen, die Luther mit seinen eigenen
Lehren in der geschichtlichen Wirklichkeit gemacht hat, und
verkürzt Luthers Theologie ganz wesentlich. Aber auch eine
Lutherforschung bzw. lutherische Theologie, die zu schnell
die Entscheidungen des älteren Luther als „Ergebnisse" der
reformatorischen Theologie versteht, übersieht die Intentionen
, die Luther auch in den Abwandlungen früherer Lehren
bewahrte, und nimmt damit der Theologie Luthers ihr Herzstück
. Fruchtbarer scheint zu sein, unter Rücksicht auf die
gesamte Theologie Luthers von ihm zu lernen, wie er in seiner
Zeit an dem jeweiligen geschichtlichen Ort versuchte, seine
Erkenntnisse zu verwirklichen, und — soweit man Luther
folgen will — diesen Versuch unter Beachtung seiner grundsätzlichen
Einsichten und Intentionen in der Gegenwart an
unserem geschichtlichen Ort zu wiederholen.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

[Coppcns, J.:] De Mari ä Qumran. L'Ancien Testament. Son
milieu. Ses Ecrits. Ses relectures juives. Hommage ä Mgr J.
Coppens, ed. par H. Cazelles. Gembloux: Duculot u. Paris:
Lethielleux [1969]. XII, 158* S., 369 S., 1 Porträt gr. 8° =
Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium,
XXIV. bfr. 800,—.

Der vorliegende sehr stattliche Band ist dem bekannten
belgischen Alttestamentler Joseph Coppens nachträglich zum
70. Geburtstag (* 12.10. 1896) gewidmet. Er enthält die alt-
testamcntlichen Beiträge, die auf der 18. Tagung der Tournees
Bibliques de Louvain' im August 1967 vorgetragen wurden
. Diese Tagung stand im Zeichen des Jubiläums der vierzigjährigen
Tätigkeit von J. Coppens als Professor für alt-
testamentliche Exegese an der Katholischen Universität zu
Louvain. Diesem Jubiläum trägt der erste Teil des Bandes
auf fast 160 Seiten Rechnung, indem er verschiedene Ansprachen
zur Ehrung des Jubilars wiedergibt und die allein
25 Seiten umfassende Tabula gratulatoria abdruckt. Größere
Aufmerksamkeit verdienen die Würdigung des wissenschaftlichen
Werkes des verdienstvollen Gelehrten durch A.
Schoors und die warmherzigen Ausführungen von G. Ryck-
mans zum Lebenslauf und zur Persönlichkeit des Jubilars.
Auch eine sehr umfangreiche Bibliographie J. Coppens'
(S. 95—132), die aber nur die wichtigeren Arbeiten verzeichnet
, fehlt nicht.

Der Zielsetzung der ,Journees Bibliques' gemäß, nehmen
unter den wissenschaftlichen Beiträgen die kritischen Überblicke
über den Stand der Forschung auf einzelnen Gebieten
der alttestamentlichen Wissenschaft einen großen Raum ein.
Insbesondere diese Beiträge verleihen dem Band eine Bedeutung
, die weiter reicht, als es bei den üblichen Festschriften
der Fall ist. Diese Überblicksartikel zum Stand der Forschung
, die eine kaum noch faßbare Fülle von Literatur verarbeiten
, sind sowohl für den Fachmann von großem Nutzen
als auch für den nicht speziell auf alttestamentlichem Gebiet
arbeitenden Theologen, dem es um eine Zusammenfassung
der wichtigsten neuen Ergebnisse geht. Die Reihe der Beiträge
dieser Art eröffnet der Aufsatz von A. Petitjean/J.
Coppens, Mari et l'Ancien Testament (S. 3—13). ,Positions
actuelles dans l'exegese du Pentateuque' stellt H. Cazelles
zusammen (S. 34—57). C. greift dabei auch auf ältere Literatur
zurück, um den Gang der Forschungsgeschichte deutlich
werden zu lassen. Berücksichtigt werden auch die archäologischen
Ausgrabungen in Palästina, sofern sie für die Patriarchenzeit
irgendwelche Bedeutung haben. Ein besonderer
Abschnitt über das zeitweise sehr beliebte Thema der alt-
orientalischen Vertragstexte und ihres Einflusses auf die
Pentateuchüberlieferungen fehlt nicht. Der imponierendste
Überblick stammt von .1. Scharbert (,Die prophetische Literatur
', S. 58—118). Ein unwahrscheinlich umfangreiches Material
aus den letzten zwanzig Jahren ist hier verarbeitet
worden. Obgleich sich Sch. bemüht, allgemein anerkannte
Forschungsergebnisse herauszustellen, wird doch unübersehbar
deutlich, wie sehr gegenwärtig die Meinungen in Fragen
der Literarkritik, der Formenanalyse und der Datierung der
Prophetenbücher auseinandergehen. Einen kürzeren Zeitraum
berücksichtigt der Überblick von J. van der Ploeg über
die Arbeit am Psalter (,L'Etude du Psautier 1960—67', S.
74—91). Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Bemerkungen
zur stilistischen Analyse, die spürbar gegenüber der
Formgeschichte in den Vordergrund gerückt ist. Ahnliches
gilt von der vor allem von A. Gelin angeregten Diskussion
über die Probleme der „relecture" oder „reinterpretation"
der Psalmen. Mit ausgewählten Arbeiten über die Weisheits-
literatur befaßt sich A. M. Dubarle (,Oü en est l'etude de la
litterature sapientielle ?', S. 246—58). Hier vermißt maneinige
wichtige Titel; so z. B. Christa Kayatz, Studien zu Prover-