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Ausgabe:

1972

Spalte:

947-950

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Funk, Wolf-Peter

Titel/Untertitel:

Textausgabe, "Die Zweite Apokalypse des Jakobus aus Nag-Hummadi-Codex V 1972

Rezensent:

Funk, Wolf-Peter

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 12

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REFERATE ÜBER THEOLOGISCHE DISSERTATIONEN IN MASCHINENSCHRIFT

Funk, Wolf-Peter: „Die Zweite Apokalypse des Jakobus aus
Nag-Hummadi-Codex V, neu herausgegeben und kommentiert
". Diss. Berlin 1971.
Meine Aufgabe bestand darin, die Zweite Jakobus-Apokalypse
(2ApcJac)- zu bearbeiten - mit dem Ziel, die verschiedenartigen
Probleme, die diese Schrift bot, so weit
wie möglich einer Lösung zuzuführen. Ausgangspunkt war
die Edition von Alexander Böhlig aus dem Jahre 1963, in
der der koptische Text und eine deutsche Übersetzung der
2ApcJac gleichsam im Rohbau geboten wurden, mit
vielen Mängeln und teilweise auch Fehlern behaftet. Die
Schrift ist in relativ schlechtem Zustand erhalten, besonders
in der ersten Hälfte sind bei jedem Seitenübergang
größere Textlücken zu verzeichnen, und es kam zunächst
darauf an, intensiv am Text selbst zu arbeiten, die Möglichkeiten
zur Ergänzung von Textlücken zu überprüfen, und
auch in denjenigen Fällen, wo eine explizite Rekonstruktion
des Textes nicht möglich war, sich aus dem Kontext ein
ungefähres Bild von dem ausgefallenen Stück zu machen,
um überhaupt erst einmal eine Vorstellung vom Gesamtablauf
der Schrift zu gewinnen. Es stellte sich sehr bald
heraus, daß diese Arbeit am Text bereits Hand in Hand
gehen mußte mit der Erarbeitung des formal-literarischen
ebenso wie des inhaltlich-theologischen Charakters der
Schrift. Zum literarischen Aufbau waren von Böhlig einige
(allerdings unbefriedigende) Grundvorstellungen entwickelt
worden, zum theologischen Inhalt hingegen gab es so gut
wie nichts Erhellendes, was angesichts des Textzustandes
auch nicht weiter verwunderlich war.

Einen ersten Fortschritt für das Gesamtverständnis der
2ApcJac brachte mir die Erkenntnis - zunächst nur als
Arbeitshypothese formuliert -, daß der in Codex V vorliegende
Text ein Produkt aus zweiter Hand darstellt, und
zwar durch die Kompilation zweier unabhängiger Schriften.
Diese Hypothese kann sich freilich nicht auf eine unmittelbar
ersichtliche Bruchstelle im Text stützen, sie ergibt sich
vielmehr notwendig aus dem komplizierten literarischen
Aufbau des Ganzen, wobei die letzten zweieinhalb Seiten
des Textes, die die Schilderung des Martyriums des Jako
bus enthalten, völlig aus dem Rahmen fallen, wenn man
das Vorhergegangene ernst nimmt.

Bei dem weitaus größeren ersten Teil der Schrift handelt
es sich praktisch um eine doppelte Rahmenerzählung,
in deren Mittelpunkt die Schilderung der Offenbarungsrede
Jesu an Jakobus steht, die eine öffentliche Missionspredigt
des Jakobus zur Folge hat. Dieses literarische Schema von
Offenbarung (durch den Erlöser) und Weitergabe des
Geoffenbarten (durch den Offenbarungsempfänger) ist nun
hier interessanterweise in künstlich verschachtelter Form
durchgeführt, indem die Schilderung der Offenbarung
bereits in die Missionspredigt hineingenommen ist, so dal)
man also die Worte Jesu, die er an Jakobus richtet, aus
dem Munde des Jakobus selber erfährt, im Rahmen der
großen Tempelrede, die den Inhalt dieser Schrift bildet.
Damit werden zwar die Relationen in der Rede des Jakobus
erheblich verschoben - es werden nicht nur Zitate
angeführt, sondern eine ganze längere Szene mit dem Auferstandenen
geschildert. Das hat aber den Vorteil, dal!
einerseits der Inhalt der Offenbarung den Zuhörern bzw.
den Lesern der Schrift scheinbar aus erster Hand vermittelt
wird und daß andererseits in der direkten Ansprache
des Jakobus auf Wiederholungen verzichtet werden
kann: sie beschränkt sich im wesentlichen auf den Ruf zur
Umkehr, also die Aufforderung zur Erkenntnis, und die
Androhung des Unheils für die Verstockten. Eine weitere
Besonderheit dieser Schrift besteht nun darin, daß auch
diese ganze Jakobusrede wieder in einem persönlichen
Erzählrahmen steht, nämlich innerhalb des Berichts, den
ein Ohrenzeuge („einer der Priester") dem Väter des

Jakobus erstattet. Und an dieser Stelle mußte die literarische
Kritik einsetzen, da aus dem Bericht des Priesters
deutlich hervorgeht, daß Jakobus zwar in höchster Gefahr
schwebt, aber noch lebt und weiterredet - weshalb der
Priester den Vater bittet, er möchte seinem Sohn zu Hilft"
kommen. Diese Situation verträgt sich nun in keiner
Weise mit der Schilderung des Todes des Jakobus, in die
dieser Bericht scheinbar nahtlos übergeht. Die Annahme,
daß hier an einer bestimmten Stelle der Übergang zu
einer ursprünglich unabhängigen Schrift erfolgt, wird durch
verschiedene Indizien inhaltlicher und stilistischer Art
erleichtert.

Für die weitere Interpretation des Textes ergibt sich
daraus zunächst folgendes: Die eigentliche „Apokalypse des
Jakobus", also jene doppelte Rahmenerzählung, deren
Schluß nicht mehr erhalten ist, weil er der Kompilation
zum Opfer fiel - diese Apokalypse muß als ein zwar
kompliziertes, aber doch in sich geschlossenes, eigenartiges
literarisches Gebilde betrachtet werden, für das auch
inhaltlich, also in theologischer Hinsicht, eine bestimmte
Tendenz bzw. Konzeption geltend gemacht werden kann.
Das gleiche gilt sinngemäß natürlich auch für die zweite
Schrift, den Martyriumsbericht, nur daß hier von Theologie
nicht viel die Rede sein kann, wenn man einmal von dem
eingeschalteten Sterbegebet des Jakobus absieht, von dem
noch zu reden sein wird. Der bloße Bericht vom Martyrium
bietet eine frei ausmalende Version der gleichen juden
P christlichen Tradition, die auch bei Hegesipp vorliegt, und
enthält an sich nichts spezifisch Gnostisches.

Ganz anders liegen die Dinge bei der „Apokalypse".
Die Offenbarung Jesu an Jakobus ebenso wie andere Teile
der Jakobusrede enthalten eindeutig gnostische Gedankengänge
und bedienen sich auch typisch gnostischer Formulierungen
(wie z. B. beim Zitat von Jes 45/46 LXX für die
Selbstüberhebung des Demiurgen p. 56, 23ff oder bestimmte
christologische Aussagen, s. u.). Der gnostisch-theologische
Inhalt der Offenbarung konzentriert sich im wesentlichen
auf drei Themen: die Gotteslehre (Frage: welcher ist der
wahre Vater?), die Christologie (Frage: wer war Jesus in
Wahrheit?) und die Rolle des Jakobus als ausschließlichen
Offenbarungs- und Erlösungsmittlers. Dabei spielt die
Person des Jakobus eine ganz besondere Rolle. Er ist nicht
nur der Offenbarungsempfänger, dem bestimmte Mitteilungen
über den höchsten Gott und den Demiurgen und
über Jesus selbst gemacht werden, sondern diese gesamte
Offenbarung ist, wenn man so will, auf seine neue Rolle
als gnostischer Offcnbarungsmittler hin angelegt. Die
Offenbarung ist von vornherein so formuliert, daß es ausdrücklich
um ein neues persönliches Bezugssystem des
Jakobus geht: Der (gnostisch verstandene) höchste Gott wird
ihm als sein neuer „Vater" geoffenbart, und er erhält neue
Brüder in den Gnostikern, die er „erleuchten" soll. Auf
diese Weise wird er auch auf einer höheren, mythischen
Ebene wieder zum Bruder Jesu, nachdem alles, was von der
Mutter des Jakobus an irdischen Verwandtschaftsbeziehungen
zwischen Jesus und Jakobus vorgebracht wurde, von
Jesus mit dem kategorischen Satz zurückgewiesen wurde:
„Ich bin der Fremde" (p. 51, 7 f).

Auch die Offenbarung des höchsten Gottes und die
Disqualifizierung des Demiurgen erfolgt weitgehend in
diesem Rahmen: es geht darum, daß Jakobus denjenigen
zum Vater bekommt, der ihm am meisten „nützt" (p. 52,
6-9), von dem er die größere „Erbschaft" zu erwarten hat
(p. 52, 9 ff; 53, 8 ff.24 ff), so daß die Antithesen von Nutzen
und Schaden, Barmherzigkeit und Gewalttat, Reichtum und
Armut bei der Qulifizierung der beiden Gottheiten in
dieser Schrift die entscheidende Rolle spielen, denen
gegenüber die kosmologische Offenbarung fast völlig zu
rücktritt. Auf kosmologische Sachverhalte wird sehr selten