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1972

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 12

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lernen, wobei freilich sowohl die traditionelle Vorstellung
vom ,Erbe' als auch die gesamte Spekulation über den
.Urständ', sowohl in katholischer wie in lutherischer Fas
sung, auf der Strecke bleibt.

Zuerst wird die .kirchliche Lehrtradition' (24-87) vor
geführt: Augustin - die lutherischen Bekenntnisschriften -
das Tridentinum, um dadurch schon ihre .tönernen Füße'
aufzuweisen (81-87), da sie sich auf ein historisierendes
Verständnis Adams und des Falles, wie überhaupt des
Paradieses, stütze. Sodann wird die Theologie der Gejen
wart hinsichtlich ihres Verständnisses der .Ursünde' be
fragt (91-193) und dabei für den katholischen Bereich
zuerst die Harmonisierungsversuche zwischen Lehrtradition
und dem modernen Weltbild, dann theologische Versuche
einer Neuansprache der traditionellen Lehre (Scheffczyk,
Schoonenberg, Schelkle, Lengsfeld) und danach die RefJe
xion der theologischen Thematik (Hulsbosch, Teilhard de
Chardin, Trooster, Vanneste, Simonis, Haag, Küng, Gut
wenger) referiert. Die Evangelische Theologie wird durch
die Kontroverse Barth-Bultmann über die Deutung von
Rom 5,12-21 eingeführt, sodann unter den Stichworten
.Verantwortung als Schicksal der Menschheit' und .Mensch
heit als Schicksal der Person' die Theologen Schlink, Kin
der, Althaus, Barth, E. Brunner, Bultmann und Tillich mit
ihren einschlägigen Äußerungen dargestellt. Angesichts
dieses Materials arbeitet der Vf. vier Modelle heraus: den
.historischen', .evolutionistischen', .soziologischen' und .personalen
' Weg, wobei die .konfessionellen Tendenzen' nicht
übersehen, sondern gewürdigt werden. Den biblischen
'Quellen' des Peccatum Originale und ihrer Auslegun i
heute wird ein eigener Abschnitt gewidmet (197- 231). in
welchem Gen 2, 4b-3, 24 und Rom 5,12-21 ausführlich behandelt
werden. Eine .Prüfung' (235-285) der gesamten
Thematik vollendet das Werk, das sich damit als ein eigenständiger
Entwurf ausweist, über dessen fragmentarischen
Charakter sich der Autor voll im klaren ist, wie sein
persönlich gehaltenes Schlußwort (285-286) erkennen läßt.

Die Fairniß beeindruckt, mit der die lutherischen Traditionstexte
und die Stimmen der gegenwärtigen evange
lischcn Theologie dargestellt und interpretiert werden. Sie
ist der Ausdruck einer weitgehenden Annäherung katholischen
und evangelischen Denkens über ein so wichtiges
Lehrstück, das zwar niemals unmittelbares Streitobjekt der
Kontroverstheologie gewesen ist, in dessen Grundvcrständ
nis aber dennoch die Verschiedenartigkeit der katholischen
und protestantischen Sicht des Welt- und Gottesverhältnisses
des Menschen zum Ausdruck gekommen war. Dem
Autor geht es dabei keineswegs um eine Nivellierung der
.Konfessionellen Tendenzen' (190 ff); allerdings führen
einige Elemente seiner Theologie in eine gewisse Nähe
zu reformatorischen Positionen. So wenn er der Exegese
der Schrift eine kritische Funktion dem Dogma gegenüber
zuspricht: „Es geht ja nicht an, die Bibel tendenziös auf
das Dogma hin auszulegen. Vielmehr: Ist uns an seiner
Schriftgemäßheit gelegen, so muß das Dogma den prüfen
den Blick der Schrift aushalten" (196, vgl. auch 235). Oder,
wenn er unter den vier Modellen dem .personalen Weg'
entschlossen den Vorzug (187 ff) und bei seinem Lehrer
Haag als einzigem unter den katholischen Autoren den
Weg dahin schon wirklich beschritten findet (191). „Es geht"
nach Baumann „eigentlich darum, ob der von der evangelischen
Theologie der Gegenwart beschrittene Weg für den
katholischen Theologen eine akzeptable Möglichkeit bietet"
(254).

Schlüssclpunkt und Einsatzort für den Verfasser ist
dabei eine existentiale Theologie mit ihrem Begriff der
.Geschichtlichkeit' (253), wobei er um eine ernsthafte Abgrenzung
gegenüber Moralismus und Aktualismus (26S ff)
sowie subjektivistischer Thcozentrik und einer Flucht in
das Transempirische (273 ff) bemüht ist. Denn er will das
„Vermächtnis der .Erbsünde" (248 ff) bewahren, indem er

einerseits die stete .Gegenwärtigkeit des .adam" bezeugt
(252), andererseits an dem .Abgrund der Sünde' (254 ff)
festhält und deren Totalität, Radikalität und Universalität
energisch betont. Also keine Aufweichung der Lehre von
der Sünde ist sein Ziel, sonderen die Anerkennung ihrer
umfassenden .Tiefendimension' (236, 250 u. ö.) ist isln
eigentliches Anliegen. Hier liegt auch der Grund für seine
radikale Kritik am .empirischen Prinzip' (235 ff), das bisher
typisch für die katholische Theologie gewesen sei, das
jeweils den Versuch unternimmt, aus der Empire die allgemeine
Verfallenheit an das Unheil schlüssig zu beweisen.
(Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang der historische
Nachweis des Vf.s, daß der Streit um die HcHsnot-
wendigkeit der Kindertaufe hierbei eine entscheidende
Rolle gespielt hat; 41 ff). Sünde ist für Baumann nicht
Verhängnis, das durch Zeugung vererbt wird, und darum
vollzieht er mutig den .Abschied vom Erbe' (243 ff), nach
dem er schön zuvor den .Abschied von Adam' und damit
auch von der .Urgeschichte' und von dem .Urständ' (236 ff)
postuliert hatte.

Die theologische Wissenschaft hat Anlaß, diese Monographie
von Urs Baumann dankbar zu begrüßen. Sie ist
nicht nur ein herzhafter und zugleich umsichtiger Vorstoß,
im Bereich katholischer Theologie eine längst fällige Flurbereinigung
herbeizuführen, sondern ihr kommt angesichts
der theologischen Situation innerhalb der ganzen Ökumene
das Verdienst zu, Wege für eine Neubesinnung über eine
der zentralen Grundfragen des christlichen Glaubens zu
eröffnen. Es ist anzunehmen, daß von dem von ihm erreichten
Erkenntnisstand aus sich Aspekte für noch weiter
gehende Überlegungen erschließen, die er selber erst zaghaft
angedeutet hat. Aber daß seine Flurbereinigung nicht
Abschluß bedeutet, sondern einen Neuanfang darstellt, vermehrt
Wert und Bedeutung dieser Arbeit.

Wien Wilhelm Danlirie

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