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Ausgabe:

1972

Spalte:

938-940

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Baumann, Urs

Titel/Untertitel:

Erbsünde? 1972

Rezensent:

Dantine, Wilhelm

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So bietet S. in Abwandlung der christologischen Forrrel
G. Ebelings den Satz: „Das Neue Testament spricht von
Jesus Christus als dem Zeugen und Grund der Hoffnung"
(S. 257). Zwar wird der Satz dahin ergänzt, daß Jesus
»erfüllte Verheißung der Gegenwart Gottes" ist, aber s;hon
auf der nächsten Seite (258) wird die Behauptung der
Erfüllung wieder zurückgenommen, indem der Vf. s ch
darauf zurückzieht, daß Jesus Christus „die Verheißung
verifiziert, sie wahr macht, wirklich werden läßt im prolep-
tischen Vorschein ihrer Erfüllung", Also nur „Vorschein der
Verheifjungserfüllung", was die alttestamentl'chen Cottes-
taten auch schon sein sollten (s. o.). Von einer messiani-
schen Gegenwart des Zukünftigen kann also ke ne
Rede sein.

Eine weitere Aporie liegt in der Verkürzung des Schöpfungsglaubens
. Der Vf. will das schlechthin Neue des
Eschaton gegenüber der bereits im Vergangenen angelegten
Vollendung des Bestehenden herausstellen. Es geht um die
„Grunddifferenz" von Eschatologie und Protologie. Se'ne
These, dafj Gen 1,31 am Ende des ersten Schöpfunjs-
berichts als eschatologische Verheißung zu hören sei, dürfte
aber exegetisch und sachlich eine Vergewaltigung des
Textes sein. So wenig es angeht, den 2. und 3. Glaubensartikel
auf den ersten als eine Schöpfungstheologie zurückzuführen
, so wenig geht es an, wie der Vf. es will, den
1. Artikel im 3. Artikel aufgehen zu lassen. Die Tr'nität
der Gotteswerke gibt jedem Werk in der Dreieinheit seinen
auf Gott bezogenen Eigen-Sinn. In Jes 40 ist es gerade
die Exodusverheißung, die in der im Schöpfungswerk s'ch
erweisenden Allmacht Gottes glaubhaft gemacht wird.
Ebenso preist die Johannesapokalypse, für die die Zukmfts-
verheißung, wenn auch ohne den Gebrauch des Terminus
im Mittelpunkt steht, in mehreren Doxologien (4,11; 11,17;
15, 3) den Schöpfer der Welt ohne Bezug auf die Zukunft.
Für sie ist Gott bzw. Christus nicht nur der Allmäch ige
der Zukunft, sondern ebenso der Vergangenheit und Gegenwart
(1,8.17; 2,8; 22,13; vgl. Hebr. 13,8): Er ist ebenso
die Arche wie das Telos. Als der Schöpfer ist Gott
der Verheißene, nicht etwa umgekehrt. Die eschatolog'sche
Neuschöpfung kann der ersten Schöpfung nicht erst ihre
Bedeutung von Gott her geben. Die alttestamentl'chen
Schöpfungspsalmen entbehren jeder Bezugnahme auf eine
eschatologische Zukunft. Die Gottesreden über die Schöpfung
im Hiobbuch (38 ff.) kennen keine eschatolog'sche
Bezugnahme. An alledem kann die Dogmatik nicht vorbeigehen
(trotz Rom 8, 19). Wird „Aussage des Kommenden
" als „Angriff auf das, was gegenwärtig besteht und
Bestand verspricht", schlechthin verstanden, so verdrängt
sie den Schöpfungsglaubcn, führt sie in letzter Konsequenz
auf einen marcionitischen Dualismus und überläßt die
bestehende Welt einer atheistisch-säkularen Deutung.

Damit hängt eng das theologische Problem der Geschichte
zusammen. Der Vf. wendet sich gegen jede Form
von Geschichtstheologie, sei es in der universalgeschicht-
lichcn von W. Pannenberg, der heilsgeschichtlichen von
O. Cullmann, sei es in der existential punktuellen Fassung
bei Bultmann, aber auch in der christologischen von Barth,
die „die Parusie Gottes gegenüber der .eigentlich-wirklichen
Geschichte Jesu Christi selbst' eigentümlich zurücktreten"
läßt. Leider aber kann er selbst der Gcschich'e, abgesehen
von den „Leuchtspuren der Erfüllung", ja „den Eins h'ag-
spuren einer unverrechenbaren neuen Welt" (S. 57) keinen
theologischen Sinn abgewinnen. Daß die Weltgeschichte
oder „Heilsgeschichte" bei ihm nicht als Fortschrittsprozerj
auf das Eschaton hin verstanden wird, ist nur zu bigrü^en.
Was aber fehlt, ist die Geschichte als der Ort der G e -
meinde, die unter der Herrschaft Jesu Christi bzw. des
Heiligen Geistes durch Wort und Tat handelt, ja der
Ort, an dem die Menschheit unter der Verantwortung vor
Gott lebt. In beidem ist die Geschichte nicht nur der Ort
der Verheißungen und der Hoffenden, sondern bereits das

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Eschaton selbst. Es ist n;cht zufällig daß der Vf. in seinem
Werk keinen Ansatzpunkt für christliche Eth:k aufzeigt,
die ja nun doch konkret nur ein Handeln in dieser Welt
auf diesseitige Ziele hin im Rahmen irdischer Möglichkeiten
meinen kann. Dem entspricht, daß seiner Eschatologie
der Gerichtsgedanke fehlt.

Aber damit kommen wir auf den Haupteinwand, den
wir seiner Eschatologie gegenüber machen müssen. Es ist
dem Thema gemäß viel von Zukunft und Verheißung und
der ihr entsprechenden Hoffnung die Rede. Aber was ist
denn nun die verheißene Zukunft inhaltlich? Worauf
dürfen, ja sollen wir hoffen? Ist es zufällig, daß die Aussagen
darüber sehr spärlich und dann reichlich abstrakt
sind? Auffällig ist ferner, daß trotz der grundsätzlichen
Ablehnung der individualistischen Existenzth~o'ogie wesentliche
Aussagen über die Zukunft ihr entnommen werden:
„Gott selbst, Gott in Christus ist die Zukunft seiner Verheißung
" (S. 160). Zukunft bedeutet: „Zu uns Kommen und
personale Zukünftigkeit Gottes" (ebd). „Jeder Versuch einer
Zustandsbeschreibung, jeder Wunsch nach einem sachhal-
tigen und faßlichen Inhalt der Verheißung muß ja zwangsläufig
ihre Eigenart verfehlen." Allerd:ngs hält der Vf.
sich mit Recht nicht an dieses Rezept. Denn eine Verheißung
die nicht „sachhaltig" ist, deren Inhalt nicht „faßlich
" ist, hört auf, eine Verheißung zu se'n und Hoffnung
zu begründen. So stellt der Vf. auf derselben Seite fest:
„Verheißung setzt ... die Welt - das heißt: das vermeintliche
Ganze erfahrbarer Wirklichkeit - in Stand,
mit qualvoller Sehnsucht (Rom 8,19) nach ihrer kündigen
Verfassung Ausschau zu halten." Aber wie kann dieses
Ausschauhalten zu einer auf Verheißung begründeten
Hoffnung werden, wenn keine der von der Gegenwart
sich unterscheidende Wirklichkeit zugesagt wird?
Eine leere Zukunft ist kein Verheißungsinhalt, und wein
die Zukunft eine „neue" Welt bringt, so muß do:h
gesagt werden, inwiefern sie eine gute Welt im Unterschied
zur gegenwärtigen ist. Der Vf. hat uns belehrt, daß
es berechtigt war, wenn Prophetie und Apokalyptik in
gleichnishaftcn Bildern von der Zukunft sprachen, er macht
aber als heutiger Dogmatiker davon keinen Gebrauch. Zwar
nimmt er gelegentlich biblische Begriffe auf, er spricht von
der „künftigen Epiphanie Jesu Christi" (S. 360). aber er
erläutert nicht, was das im Rahmen seiner eschatologischen
Theologie heißt.

Das gedankenreiche und neue Wege beschreitende Buch
stellt neben dem von Moltmann in der Situation einer im
Anthropologismus festgefahrenen Theologie einen neuen
Durchbruch zur neuen cschatologischsn Frage dar, aber
eine theologische Eschatologie, die den vielstimmigen Chor
biblischer Verkündigungen und Verheißungen wieder zum
Klingen bringt, fehlt uns noch.

Maiuz Werner Wiesner

Baumann, Urs: Erbsünde? Ihr traditionelles Verständnis in
der Krise heutiger Theologie. Freiburg-Basel-Wien: Herder
[1970]. 315 S. gr. 8° ökumcn'sch- Forschungen,
hrsg. v. H. Küng u. J. Ratzinger, II. Soteriolog'sche Abt., 2.
Das Fragezeichen hinter dem Titelwort .Erbsünde' wandelt
sich im Zuge der Ausführungen dies:s Buches in
ein entschlossenes Ausrufezeichen im Sinne e ner Abs ige
an den bisherigen Begriff oder, in positiver Wendung, in
ein solches hinter die Vokabel .Ursündc'. Es geht freilich
um mehr als um einen Begriffsaustausch, denn man darf
dem katholischen Verfasser volle Anerkennung da'ür
aussprechen, daß er, ausgerüstet mit umfassenden histo
rischen, exegetischen und dogmatischen Kenntnissen, da;
traditionelle Verständnis von Erbsünde, wie der Untertitel
verspricht, in der Krise heutiger Theologie d'skutiert. Er
will das Dogma nicht abschaffen, sondern es neu verstehen

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 12