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Ausgabe:

1972

Spalte:

924-926

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schneider, Richard

Titel/Untertitel:

Die Trinitätslehre in den Quodlibeta und Quaestiones disputatae des Johannes von Neapel O.P. († 1336) 1972

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 12

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Weltkrieg die neue Ockhamforschung einsetzte, die dem
alten Ockhambild energisch zu Leibe rückte, begann die
Frage nach den echten Schriften und dem echten Text.
Eine textkritische Ausgabe der Werke Ockhams wurde
daher zur Hauptaufgabe der neuen Ockhamforschung. Sic
wurde an verschiedenen Stellen angepackt. Die „Opera
politica" erscheinen seit 1940 in Manchester. Böhner kündigte
1939 das Erscheinen mehrerer Bände durch namhafte
Ockhamforscher an. In Toronto mühte man sich um die
Logik Ockhams. Der Krieg brachte alle Pläne zum Erliegen
. Böhner kam nach St. Bonaventura, N. Y., wo ein
Zentrum für die neue Ockhamausgabe entstand. In den
„Franciscan Institute Publications" erschienen Ockham-
schriften, deren Ausgaben aber Böhner nicht befriedigten,
so daß er neben den „Opera politica" eine Ausgabe „Opera
omnia philosophica et theologica" plante. Sein Tod 1955
nahm ihm die Organisation dieses Unternehmens aus der
Hand. Zunächst übernahm Eligius M. Buytaert die Fort
führung, so dafj 1961 die beteiligten Verlage Prospekte
ausgehen ließen, nach denen die Ausgabe 24 Bände und
einen Registerband haben sollte. Die von Ernest A. Moody
bearbeitete „Expositio in librum Porphyrii de praedica-
bilitus" sollte der erste Band sein. Dieser erschien schließlich
1965, aber wie die anderen Schriften in den „Franciscan
Institute Publications". Buytaert hatte wegen Erkrankung
seine Herausgebertätigkeit einstellen müssen, seine
Nachfolger scheinen aber auch die Konzeption noch einmal
geändert zu haben.

Endlich erschien 1967 der erste Band der „Opera philosophica
et theologica ad fidem codicum manuscriptorum
edita", dem nach drei Jahren der zweite Band folgte. Die
Ausgabe ist für den philosophischen und theologischen
Gebrauch bestimmt, nicht für den philologischen; sie verzichtet
also auf die Wiedergabe mittelalterlicher Eigentümlichkeiten
der Schreibweise. Von den Handschriften
wurden zunächst acht zugrunde gelegt, elf weitere gelegentlich
berücksichtigt. Auf diese Weise wird zwar nicht
die gesamte Texttradition erfaßt, aber eine ausreichende
Basis für einen Text gewonnen, der als authentisch gelten
kann. Die Varianten der Drucke werden berücksichtigt,
doch leider nicht ihre Abschnittzählung am Rande geboten,
nach der bisher zitiert wurde.

Das erste Werk, mit dem die Gesamtausgabe begonnen
wurde, ist Ockhams Kommentar zum ersten Buch der
Sentenzen des Petrus Lombardus, den er selbst für die
Veröffentlichung bearbeitet hat, weshalb er als ordinatio
bezeichnet wird, während seine Vorlesung zu den Büchern
zwei bis vier nur in Nachschriften, reportationes, erhalten
ist. Während der erste Band die quaestiones des Prologes
und der distinetio prima enthält, werden im zweiten Band
die quaestiones zu den distinetiones secunda und tertia
vorgelegt, wodurch nun Ausführungen Ockhams zur Universalienlehre
leicht zugänglich sind, deren verschiedene
Fassungen erst allmählich erkannt und chronologisch geordnet
werden konnten. Die restlichen distinetiones 4 bis
48 sollen in zwei weiteren Bänden herausgebracht werden.

Der zweite Band zeigt, wie diese Ausgabe nicht einfach
die Ernte bisheriger Forschungen einbringen kann, sondern
sie selbst wieder zu neuen Entdeckungen führt. So hat. die
Rezension des ersten Bandes durch William J. Courteany
auf die Handschrift 773 der Universität Gießen hingewiesen
, die wegen ihrer Aufschrift für ein Werk Gabriel Biels
gehalten wurde, sich aber als ein Werk Ockhams im Besitz
Biels erwiesen hat. Untersuchungen haben nun ergeben,
daß diese Handschrift die wesentliche, vielleicht einzige,
Grundlage des Druckes von 1483 war, der wiederum die
Ausgabe von 1495 folgte. Diese Handschrift ist daher als
Vorlage der beiden Drucke der ordinatio im zweiten Band
berücksichtigt worden.

Die handschriftliche Überlieferung hat dazu geführt,
dafj man eine erste und zweite Redaktion der ordinatio

unterscheidet. Um die Ergänzungen der zweiten schneller
erfassen zu können, ist ein Verzeichnis ihrer Zusätze für
die beiden ersten Bände beigefügt worden (2,18*). Das
Verhältnis von Johannes Reading zu Ockham wird erörtert
(2,18-34*), indem Ockhamzitate bei Reading neben dem
Ockhamtext abgedruckt und miteinander verglichen werden
, was zu der Annahme führt, dafj Reading zunärhst
nicht Ockhams ordinatio, sondern eine reportatio zur
Verfügung stand.

Von dieser Ockhamausgabe kann also erwartet werden,
daß sie noch zur Lösung von Problemen der Tcxtübcr
lieferung und gegenseitiger Abhängigkeit beiträgt. Eine
Möglichkeit haben sich die Herausgeber allerdings entgehen
lassen. Die Ausgabe der „Opera politica" hat nicht
nur die Zitate nachgewiesen, damit der Leser in einer
modernen Ausgabe nachschlagen kann, aus welchem Zusammenhang
das Zitat stammt, sondern zugleich Schriften
angegeben, aus denen Ockham die Zitate entnommen
haben könnte, so daß der Leser die Möglichkeit hat, leicht
zu finden, mit welcher Interpretation Ockham diese Zitate
begegnet sind. Das ist eine ganz wichtige Hilfe, da angenommen
werden muß, daß die Scholastiker oft nicht auf-,
grund eigener Lektüre der Väter, sondern aus ihnen
vorliegenden Sammlungen zitierten, wodurch ihnen häufig
gleich ein entsprechendes Verständnis mitgeliefert wurde.

Die vorliegende Ockhamausgabe ist in jeder Hinsicht
großzügig ausgestattet worden. Jedem Band sind untergliederte
Personen- und Sachregister beigegeben worden.
Es drängt sich aber die Frage auf: Wann wird das gesamte
philosophische und theologische Werk Ockhams vorliegen?
Der Abstand von drei Jahren zwischen zwei Bänden ist
zwar nicht groß, ergibt aber bei 24 Bänden 69 Jahre!
Überdies kündigen die Herausgeber an, daß sie selbst sich
nun der „Summa logicae" zuwenden wollen (2,13*), wobei
offenbleibt, ob die Herausgabc der ordinatio damit unterbrochen
oder anderen Herausgebern übertragen werden
soll. Ein so großer Orden, wie es der Franziskanerorden
ist, sollte genug Kräfte und Mittel haben, um mit mehre
ren Gruppen die Herausgabe der Werke eines ihrer be
deutendsten Vertreter zu fördern. Es stellt sich auch die
Frage, ob es nicht hilfreicher wäre, die mehr theologischen
Werke Ockhams herauszubringen, so z. B. die reportationes
der drei letzten Bücher des Sentenzenkommentars, damit
neben der Philosophie Ockhams dessen Theologie mehr
Raum in der Ockhamforschung erhält; obgleich nicht verkannt
werden soll, daß Ockham in der Geschichte der
formalen Logik einen wichtigen Platz einnimmt und seine
Gedanken in den logischen Schriften bei den heutigen
semantischen Überlegungen angesichts der Verwendung
der Sprache in der elektrischen Datenverarbeitung mehr
Beachtung verdienen.

Den Herausgebern aber soll der Dank für eine ent
sagungsvolle Arbeit gelten, die seit über 40 Jahren als
notwendig erkannt, von vielen gefordert, von wenigen
angepackt und nun zu einem guten Anfang gekommen ist,
so daß ihr ein rasches Gedeihen zu wünschen bleibt.

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Schneider, Richard: Die Trinitätslehre in den Quodlibets
und Quaestiones disputatae des Johannes von Neapel
O. P. (f 1336). München-Paderborn-Wien: Schöningh 1972.
XV, 244 S. gr. 8° : Münchencr Universitätsschriften.
Katholisch-theologische Fakultät. Veröffentlichungen des
Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen
Theologie u. Philosophie, hrsg. v. M. Schmaus,
W. Dettloff, R. Heinzmann, N. F. 16. Kart. DM 28,-.
Die vorliegende Dissertation Richard Schneiders, eines
Schülers von Michael Schmaus, wurde im Wintersemester
1968/69 in der katholischen Theologischen Fakultät der
Ludwig-Maximilian-Universität München erfolgreich vei'