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1972

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Neues Testament

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 12

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Herausforderung eindrücklich gekennzeichnet. Der um den
Vf. gruppierte Arbeitskreis hat sich seit 1970 mit der Zeitschrift
Linguistica Biblica ein Organ für die von ihm und
anderen betriebene Sachforschung geschaffen. Die Intention
der hier vertretenen und als „Generative Poetik" bezeichneten
Literaturtheorie besteht darin, die „Struktur derjenigen
Sprachfähigkeit oder .Kompetenz', die die neutesla
mentlichen Texte ermöglicht hat und noch heute - etwa in
der Predigt - ähnliche Texte ermöglicht", herauszufinden
(Vorwort).

Hauptgegenstand des Interesses dürfte daher der hier
aus LingBibl 4/5 wiederabgedruckte programmatische Aufsatz
„Theologie als sprachbezogene Wissenschaft" (184 bis
230) sein. Eine Zuständigkeit der Linguistik ergibt sich
von der Sache der Theologie her: „Der Gegenstand der
Wissenschaft Theologie ist die Rede von Gott als eine uns
in biblischen Pcrformanz-.Texten' durch die Performanz-
,Texte' der .Tradition' und .Interpretation' als normativ
ausgelegte, .weltlich gegebene' linguistische Primäreinheit
.Text', der als Methode nur eine Textlinguistik entsprechen
kann. Darum ist die Wissenschaft der Rede (besser: des
.Textes') von Gott heute nur möglich im wissenschaftstheoretischen
Rahmen der Wissenschaft von der Rede oder
vom .Text' überhaupt" (203). „Methodologischer Knotenpunkt
" für alle theologischen Disziplinen ist die Frage
nach dem Verhältnis zwischen dem biblischen Performanz-
text und den kirchengeschichtlich bereits realisierten Interpretationen
(ebenfalls Performantexte) und den noch nicht
realisierten Interpretationen, also den Kompetenztexten
(196 vgl. 103 f., 217 ff., 229). Damit erhebt diese Theorie
„den Anspruch, die Nötigung vom Text zur Predigt in der
Theoriebildungsebene adäquater zu beschreiben als eine
historisch mißverstandene historische Methode" (201 f., 218).
Es geht ihr also «nicht um weniger, sondern gerade um
mehr Theologie, d. h. aber um eine Wissenschaft, die
gegenüber den andern sprachbezogenen Wissenscha'te:i
überhaupt noch argumentieren kann" (187).

Die Hauptfrage für die spezielle Theorie der „Generativen
Poetik des Neuen Testaments" heißt dann: „Aus
welcher Sprachkompetenz heraus sind neutestamentliche
Texte, d. h. die verschiedenen bisher von der Formgeschichte
analysierten Formen und Gattungen, generiert,
d. h. erzeugt und bei der Diachronie der Gattungen variiert
worden? Es handelt sich bei dieser Frage um die einfache
Übertragung einer Frage der Generativen Transformationsgrammatik
auf die Literaturtheorie" (197 f.). Für die praktische
Durchführung des Programms sind abschließend die
„Grundprinzipien" angegeben (220 ff.), wobei dem Text
(Syntax) vor dem Wort (Paradigma) der Vorrang gegeben
wird (207,222-224). Damit wird das Programm primär
an dem Kommunikationsmodell der Sprachfunktionstheoric
orientiert und von der durch N. Chomsky (Aspekte der
Syntaxtheorie, Berlin 1970) überwundenen distributiven Linguistik
abgehoben (vgl. zur Problemorienticrung und For-
schungsgeschichte Ju. D. Apresjan, Ideen und Methoden
der modernen strukturellen Linguistik, Berlin 1971). Das
theologische Ziel des Vf.s, der sich als Sachwalter des Erbes
R. Bultmanns weiß, wird dahingehend bestimmt, daß »die
Existentialc Bultmanns aus der Ebene der Lexeme in die
Ebene der Textcme" zu verlegen seien (Vorwort).

Was die hiermit vorgestellte Theorie der „Generativen
Poetik" zu leisten beabsichtigt, wird beispielhaft an den
vier voranstehenden Beiträgen deutlich gemacht. Die beiden
ersten Aufsätze (1-33) sind ein Wiederabdruck der Stellungnahmen
aus der EvTh 1968/69 zur Behauptung eines
palästinensisch-semitischen Ursprungs von artikellosem
„Christos" und damit der Pistisformel von 1. Kor 15,3 ff.,
ergänzt durch eine Stellungnahme zur Replik von J. Jeremias
. Von den vom Vf. zur Geltung gebrachten linguisti
sehen Kategorien her hält er daran fest, daß die betreffenden
jüdischen Belege ihrer syntaktischen Struktur nach

keinen Beweischarakter für ein isoliertes „Christos" haben.
Er insistiert darauf, daß man „ein linguistisches Einzel-
phänomen niemals isoliert für sich betrachten darf, sondern
immer nur im Rahmen seiner strukturellen Gesetzmäßigkeit
" (21). Damit ist ein Beispiel für die Anwendung
der Theorie auf die diachronische Analyse gegeben (Längs-
sdinittexegese).

Die Bonner Habilitationsvorlesung „Heilsgeschichte bei
Paulus oder Dynamik des Evangeliums? Zur strukturellen
Relevanz von Rom 9-11 für die Theologie des Römer-
briefs" (34 - 58) gibt eine an U. Luz anschließende und in
einigen wesentlichen Fragen weiterführende Strukturbeschreibung
dieser drei Kapitel. Wenngleich man hier die
linguistischen Methoden weniger explizit am Werke sieht,
so wird doch implizit ein Beispiel für die Anwendung
struktureller Arbeitsmethoden in der synchronischen Analyse
(Querschnittexegese) gegeben. Gerade die indirekte
Art der Verwendung ist geeignet, den Brückenschlag vom
methodischen Anliegen des Vf.s zu den geläufigen Gestalten
exegetischen Arbeitens deutlich zu machen.

Die dritte Abhandlung über „Gottesgerechtigkeit und
strukturale Semantik" (59-98) steht beispielhaft dafür, wie
herkömmliche exegetische Arbeitsweisen im Licht linguistischer
Einsichten zu präzisieren sind. Geprüft wird, ob
das im Anschluß an E. Käsemann vertretene Verständnis
von „Gottesgerechtigkeit" semantisch zureichend zu verifizieren
ist, Käsemanns Insistieren auf eine stereotype
synsemantische Verbindung wäre voll gerechtfertigt, wenn
eine solche hier vorläge; faktisch aber ist syntagmatischc
Variation nachweisbar. In einer weiterführenden Kontext
analyse wird die Opposition „aus Glauben" und „aus dem
Gesetz" als bestimmend herausgestellt und die Dialektik
eines gleichzeitigen Gen. subj. und obj. festgehalten. Eine
abschließende Lösung scheint damit noch nicht erreicht,
zumal das Anliegen Käsemanns das Verständnis von
dikaiosync als nomen actionis war. Dann aber wäre eine
semiotaktische Klassifizierung des Semantems (Abstraktum
Gerechtigkeit oder Ereignis Gerechtmachung) in den einzelnen
Kontexten notwendig, wobei eine ebensolche Bestimmung
des Nomens pistis gegeben werden müßte (vgl.
ThLZ 9, 1972 Sp. 161 ff.).

Der umfangreichste Beitrag „Die linguistisch-didaktische
Methodik der Gleichnisse Jesu" (99-183) durchmustert die
jüngere Forschungsgeschichte von Jülicher bis Via unter
den Aspekten der Textlinguistik. Die formkritischc Aufgabenstellung
des Programms der „Generativen Poetik",
die in der Bestimmung von Textsorten besteht, wird hier
an einem zugänglichen Beispiel exemplifiziert. „Die ,Genc
rative Poetik' spezifiziert die Gattungen anhand der Differenzierung
einer .Basis-Grammatik von Elementen, die
mittels einer Transformations-Grammatik der Text-Sorte
eine bestimmte Gattung generiert, von der Oberflächen-
Grammatik eben dieser Gattung" (171).

Die vorgelegten Aufsätze machen deutlich, daß die Tür
zu einer Integration von Linguistik und exegetischer Theologie
aufgestoßen ist. Daß der Weg dahin weder kurz
noch gradlinig ist, wird niemand verkennen, doch sollte
die Arbeitsaufgabe bejaht und in Angriff genommen werden
. Dafür gebührt dem Vf. der Dank des Lesers.

Druckfehler: S. 65 Z. 4: Rom. 5,17; S. 89 Mitte: Rom.

4.15; S. 111 Anm. 75: 1934; S. 206 vorletzte Zeile von
1.5.3.1. fehlt: gegen.

Kaumbarg Wolfgane Schenk

Hiers, Richard: The Historical Jesus and the Historians
(Dialog 11, 1972 S. 95-100).

Hultgren, Arland J.: The Formation of the Sabbath Pericope
in Mark 2:23-28 (JBL 91, 1972 S. 38 - 43).