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Ausgabe:

1972

Spalte:

914-916

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Güttgemanns, Erhardt

Titel/Untertitel:

Studia linguistica neotestamentica 1972

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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013

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 12

914

der beiden lukanischen Texte, indem er alle deutlich
redaktionellen Textteile ausscheidet. So bleibt in Lk 24,
50 ff. nur V. 50b'51/52, in Apg 1,1-12 nur V. 9-11 als
Erzählungskern übrig,- gemeinsam sind beiden äußerst
kurzen Erzählkernen nur die Ortsangabc (ölberg =
Bethanien; dazu vgl. S. 164 ff. und 202 ff.) und das Himmelfahrtsmotiv
. - Darauf folgt in Kap. 4 (S. 163-210) eine
sehr sorgfältige Untersuchung aller Einzelmotive in Lk 24.
50-53 und Apg 1,1-12; L. kommt - gegebenenfalls unter
Heranziehung stilkritischer Beobachtungen - zu dem genc
reiten Ergebnis, daß sich für alle Motive eine Zurü:k
führung auf die literarische Arbeit des Lukas vertreten
läßt. Das gilt nun auch für die zuvor herausgestellten
Erzählungskerne; für die Segensszene Lk 24,50 ff. isi
offenbar Sir 50, 20-22 das literarische Vorbild (S. 167 bis
169); die Darstellung der Himmelfahrt mittels einer
Wolke ist die Umkehrung des entsprechenden Motivs aus
der Parusievorstellung (S. 192 f.). Hinzuweisen ist insbc
sondere auf motivgeschichtliche Studien zum Thema
.40 Tage" (S. 176-186), .Wolke" (S. 187-193). Engel als
.Männer" (S. 195-198) usw.

Das zuletzt allein übrigbleibende, zentrale Motiv der
.Entrückung" selbst traditionsgeschichtlich zu klären bemüht
sich L. im 5. Kap. (S. 211-241), indem er alle
übrigen Himmelfahrts- bzw. Erhöhungsaussagen bei Lukas
heranzieht. Vorlukanische Tradition zeigt sich dabei nur
bei einigen der Texte, in denen Lukas das auf Ps. 2,7
beruhende Erhöhungskrcygma teils als Auferweckungs
aussage interpretiert (Apg 13, 32 f.), es aber teils auch im
Sinne seiner Himmelfahrtserzählung historisiert (Apg 2, 33
und 5,31). Kap. 6 (S. 242-250) summiert zunächst die
Erkenntnisse der bisherigen Arbeitsgänge mit dem Ergebnis
, daß Lukas selbst auf der Grundlage des urchristlichen
Erhöhungskerygmas die Entrückungsszene der „Himmel
fahrt" gestaltet hat; er hat damit ein Beispiel szenischer
Historisicrung einer kerygmatischen Aussage geliefert. Mi:
einem Versuch, die Entwicklung der Tradition zu rekonstruieren
(S. 245-250), macht L. zugleich den Vorgang
aus der schriftstellerischen Eigenart des Lukas heraus
verständlich (S. 247 f.): in ihrer Ausformung als Segnungs
szene eignete sich die Himmclfahrtserzählung literarisch
wohlüberlegt als Abschluß des Evangeliums, während das
gleiche Motiv als Einleitung der Apg stärker auf die
Parusie ausgerichtet ist und mit der Betonung des Zeugenauftrages
(der schon in Lk 24, 47 ff. angelegt ist) eine gute
Eröffnung des .Zweiten Buches" abgibt. (Damit ist zugleich
angedeutet, daß L. literarkritischc Operationen am
Ende des Evangeliums oder am Anfang der Apg für
unnötig hält; S. 25-27.)

Die theologischen Motive der Arbeit des Lukas untersucht
Kap. 7 (S. 251-275). Lukas bezieht mittels der
Himmelfahrt als Abschluß auch die Ostcrerscheinungcn
noch in der Zeit des Irdischen ein; Lk 24, 50-53 ist nicht
zufällig Buchschluß! Diese Absicht wird in Apg 1,21 f.
klar ausgesprochen; zugleich wird dort deutlich, daß es
dabei auch um das Kontinuitätsproblem geht: die Apostel
werden als Zeugen Jesu - einschließlich der Auferstehung -
noch vom Irdischen beauftragt; Jesuszeit und Zeit
der Kirche sind so engstens miteinander verbunden (ent
sprechend lokal in der Identität des Ortes Jerusalem).
Zugleich macht Lukas eine bestimmte Aussage hinsichtlich
der Eschatologie: die bald folgende Geistausgießung is^
noch nicht das Ende (1,6 f.); die Zeit der Kirche ist so
wenig wie die Zeit Jesu schon mit dem Reich Gottes iden
tisch; dieses beginnt vielmehr erst mit der Parusie, deren
Erwartung keineswegs von Lukas relativiert wird.

Die „systematischen Überlegungen" im Schlußabschnitt
des Buches (S. 276-283; darauf folgen ein ausgiebiges
Literaturverzeichnis S. 288-303 sowie Stellen- und Autoren
register S. 304-315) knüpfen bei der zuvor festgestellten
■ Unschärfe" der lukanischen Vorstellung hinsichtlich der

Seinsweise des Auferstandenen an, aus der abzulesen sei,
daß Lukas die Erhöhungsaussage nicht in der Himmel
fahrtscrzählung aufgehen lassen wollte und konnte. Dem
gemäß sei die Frage, was an ihr nun „historisch" sei,
falsch gestellt; Lukas wolle gar nicht die kerygmatische
Aussage so weitgehend veranschaulichen, daß sie dabei
„verobjektiviert" würde. Die Unanschaulichkeit des „Vor
gangs" stellte Lukas mit Hilfe des Wolkenmotivs dar: die
Wolke entzieht Jesus den Blicken der Jünger, zugleich ist
sie Symbol der Nähe Gottes, jedenfalls aber keine meteoro
logische Größe Angesichts der Nicht-Zeithaftigkeit alles
nichtirdischen Geschehens kann auch das eine Geschehen
von Auferstehung und Erhöhung in zwei um 40 Tage
getrennte Akte auseinandergelegt werden; unsachgemäß
werde dieser Vorgang erst dann, wenn er auf Historizität
befragt werde (S. 279 ff.). Ob damit die Meinung des
Lukas getroffen ist, mag man fragen; vor allem wird der
Systematiker beurteilen müssen, ob die hier von L. versuchten
Kategorien scharf und klar genug sind.

Das traditionsgeschichtliche und exegetische Ergebnis
der Arbeit Lohfinks scheint mir überzeugend; wer anders
urteilt, wird jedenfalls an dieser umfassenden Arbeit nicht
mehr vorbeigehen können. Weiterführend ist vor allem,
daß L. über die bloß negative Wirkung der Entstehung der
Himmelfahrtserzählung (als mehr oder weniger fataler
Konsequenz aus der Materialisierung der Ostererzählungen)
hinauskommt und sie als Versuch der Veranschaulichung
des Erhöhungskerygmas mit bestimmten theologischen
Implikationen bei Lukas zu verstehen lehrt. Eine Anfrage
sei jedoch an den Autor gerichtet, die zwar nicht den
unmittelbaren Gegenstand seiner Arbeit, aber eine wichtige
, fast undiskutierte Voraussetzung L.s betrifft: Er
unterscheidet klar zwischen Erhöhungskerygma und der
ihm gegenüber sekundären Entrückungsvorstellung, vermeidet
aber offensichtlich bewußt eine Differenzierung zwischen
Auferstehung und Auferstehungsvorstellung; „Auferstehung
" ist so etwas wie eine Primäraussage des
Glaubens, die nicht hinterfragbar ist (s. oben zu S. 96-98).
Wird sich das halten lassen? Ist es so sicher, daß die
Erhöhungsaussage aus der Auferstchungsaussage abgeleitet
ist? L. polemisiert S. 96 f. Anm. 45 f. gegen Georgi, indem
er mit Recht feststellt, daß die Entrückungsaussage in
Phil 2,6-11 nicht gemacht wird. Aber das gleiche gilt doch
auch von der Auferstchungsaussage! Mir scheint Phil 2,
6-11 zu zeigen, daß von frühester Zeit an die Osterwirk
lichkeit nicht einzig sachgemäß mit der Vorstellung der
Auferstehung von den Toten ausgesagt werden konnte, daß
also das Erhöhungskerygma dem Auferstehungskerygma
gegenüber durchaus nicht sekundär sein muß. - Diese
Rückfrage ist ebenfalls geeignet, der Arbeit L.s einen etwas
anderen theologischen Hintergrund zu geben,- sie soll und
kann aber nicht den Wert dieser Studie schmälern, die das
traditionsgeschichtliche und exegetische Verständnis der
lukanischen Himmelfahrtstexte und darüber hinaus der
Himmclfahrtsvorstcllung überhaupt entscheidend klärt und
bereichert.

Naumburg (Baal*) Nikolaus Walter

Güllgemanns, Erhardt: Studia linguistica neotestamentica.

Gesammelte Aufsätze zur linguistischen Grundlage einer
Neutestamentlichcn Theologie. München: Kaiser 1971.
VIII, 243 S. gr. 8° = Beiträge zur evangelischen Theologie
Theologische Abhandlungen, hrsg. von E. Wolf. 60.
DM 20,-.

Wenn mit dieser Aufsatzsammlung erstmalig im deutschsprachigen
Bereich Neues Testament und Linguistik im
Buchtitel thematisch aufeinander bezogen werden, so ist
damit das Selbstverständnis, der forschungsgeschichtlichc
Standort und die Intention des Vf.s als Neuaufbruch und