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Ausgabe:

1972

Spalte:

903-905

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

McEvenue, Sean E.

Titel/Untertitel:

The narrative style of the priestly writer 1972

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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903

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 12

904

uns die Richterzeit kein Zeugnis davon gibt, wie ein Nagid
gewählt oder bezeichnet wurde. Als Rezensent kann man
jedoch nicht umhin, auf Ri 4 zu verweisen, wo tatsächlich
die Prophetin Deborah als diejenige gezeigt wird, die
Barak als „Heerbannführer" für die israelitischen Stämme
bestimmt. In einem der folgenden Kapitel verweist Vf.
selbst auf diese Erzählung, sagt jedoch: „Aus diesem Sonderfall
kann nicht die These abgeleitet werden, daß der
Führer im Krieg in der vorstaatlichen Zeit generell von
einem Propheten oder den Vorläufern des Prophetentums
berufen wurde" (S. 190). In Anbetracht des fragmentarischen
Quellenmaterials, das zur Verfügung steht, und
dem ausgedehnten Gebrauch, den Vf. von Schlüssen
e s i 1 e n t i o zu machen genötigt ist, um seine oft haarscharfen
Unterscheidungen durchzuführen, kann man seine
Argumentation nur schwerlich als überzeugend ansehen.

Das Buch schließt mit drei kleineren Kapiteln über die
Salbung des Königs, über die Resultate, die zur Erhellung
der historischen Wandlungen beim Übergang von der
Richterzeit zur Monarchie, gewonnen wurden, und über
die Bearbeitung, der eine Erzählung im Verlauf der Überlieferung
unterlag. Mit vollem Recht wird betont, daß eine
derart zentrale Phase in der Geschichte Israels, wie es die
Einführung des Königtums darstellt, eine komplizierte
Geschichte haben mußte. Was die Bearbeitung des überlieferten
Materials betrifft, wird immer wieder als entscheidend
hervorgehoben, dafj die Interpretation den
Schwerpunkt vom Einsatz menschlicher Kräfte weg und
immer mehr auf Jahves Bestimmung, Berufung oder Verheißung
hin verlegte, d. h. kurz und gut auf göttliche
Initiative.

Das Buch ist gut geschrieben, beinahe zu pädagogisch
und mit einer ermüdenden Breite, und offensichlich aus
der Überzeugung von der Unfehlbarkeit der analytischen
Methode. Die Stärke des Buches liegt darin, daß es gerade
wegen seiner konsequent durchgeführten These neues Licht
auf eine Reihe von Problemen wirft und zu manchem, das
selbst die Großen vom Fach als gesichert ansahen, aufs
neue Fragezeichen setzt.

Kopenhagen Eduard Nielsen

McEvenue, Scan E., S. J.: The narrative Style of the
Priestly Writer. Rom: Biblical Institute Press 1971. XI,
218 S. gr. 8° = Analecta Biblica. Investigationes Seienti-
ficae in Res Biblicas, 50. Lire 3.30O,-.
Mit dieser Stiluntersuchung möchte der Verfasser, wie
er im Vorwort schreibt (S. VII), sich Forschungsaufgaben
wieder zuwenden, die in der Zeit vor Gunkel in Angriff
genommen, aber nicht zu Ende geführt worden sind.

Die Studie beschränkt sich methodisch richtig auf solche
Texte, die in der Forschung allgemein der Priestergrundschrift
(PK) zugerechnet werden. Um für den vorliegenden
Zweck unnötige quellenkritische Erörterungen zu vermeiden
, folgt sie dabei dem „Minimalprogramm" von K. Elliger
, Sinn und Ursprung der priesterlichen Gesch'chtser-
zählung, ZTK 1952, S. 121-142 (vgl. Table I, S. 189). Aus
dem Bereich der von K. Elliger als Bestandteil von PK
herausgestellten Texte greift der Vf. drei größere Erzählungen
heraus: die Sintfluterzählung in Gen 6-9, die Kundschaftserzählung
in Num 10,11 f.; 13-14 und den Eid
für Abraham in Gen 17. Die Wahl gerade dieser Texte
erfolgte deshalb, weil in ihnen die P vorliegende Que^e
(der Jahwist) klar überschaubar ist - nur in Gen 17 ist
die Lage komplizierter - und dadurch die Besonderheiten
von P gut herausgearbeitet werden können. Auf die Behandlung
solcher Perikopen, wo die benutzten Quellen
nicht recht greifbar sind, wie Ex 25 ff. oder Gen 23, oder
wo die Forschungssituation die Annahme eines einschichtigen
PK-Textes nicht mehr zuläßt, wie in Gen 1 (durch
W. Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte der Priosterschrift,

WMANT 17, Neukirchen 1964), wurde verzichtet (vgl.
S. 22 f.).

Mit den aus den behandelten Texten erschlossenen
Kriterien für den priesterlichen Erzählungsstil hofft der
Vf. in einem weiteren Buch die Quellenfrage im Per.tateuch
neu stellen zu können (S, 20 f.).

Die stilistischen und überhaupt darstellerischen Besonderheiten
der Priesterschrift - die vielfältigen Wiederholungen
, die Verknüpfung der einzelnen kleineren Einheiten
durch Wiederaufnahme eines Stichwortes, die relative
Symmetrie der Darstellung, die ins Detail gehenden
Aufzählungen, den Verzicht auf einen erzählerischen Fortgang
der Handlung und auf psychologische Momente -
alle diese Merkmale, die immer wieder der Priesterschrift
den Vorwurf der Pedanterie eingebracht haben, weist
McEvenue auch in der Kinderliteratur Europas und Nordamerikas
nach, und zwar mit einer Fülle von Eelegmaterial
(S. 12 ff. u. ö.). Das wirft ein anderes Licht auf die erzählerische
Eigenart von P, und es wird möglich, sie zu
erfassen, ohne in die gewohnten Denkgeleise der zur Tradition
gewordenen Abwertung zu gleiten. Es könnten sich
auch Anhaltspunkte für den „Sitz im Leben* ergeben.
McEvenue wagt es freilich nicht, sich hier festzulegen. Er
erwägt mehrere Möglichkeiten, so die, daß P entweder
ursprünglich für Kinder im Vorschulalter geschrieben
worden sein könne oder in einem traditionellen katechetischen
Stil ohne Abzweckung auf eine bestimmte Altersgruppe
(S. 183).

McEvenue bringt nicht einfach nur eine Stiluntersuchung,
sondern auch eine viele Einzelheiten erfassende Exegese
der behandelten Schriftstellen, die in Umschrift und in
englischer Übersetzung geboten und auch nach ihrem Sinngehalt
und ihrer theologischen Aussage befragt werden.
So liegt, obwohl dies nicht beabsichtigt ist, praktisch ein
Kommentar vor. In ihm verdient manches Beachtung, so
etwa der Vorschlag, bei der Beschreibung des Baues der
Arche in Gen 6,14 qinnim (sonst „Nester") mit „reds"
( Schilfrohr) zu übersetzen. Die seit langem verbreitete
Übersetzung „Kammern" oder „Zellen" ist nur geraten und
führt, wenn man die Konsequenzen zieht (so etwa Gunkel),
zu erheblichen Textumstellungen. Solchen Änderungsver
suchen gegenüber macht der Vf. auf S. 44 in Anm. 36 die
klare Struktur des vorliegerden Textes geltend. Der Passus
über das Verbot des Blutgenusses und des B'utve-g e sen;
in Gen 9,4-6 wird als Interpolation angesehen (so schon
H. Holzinger und R. Smend), und die Begründung aus S'.il
und Kontext ist recht einleuchtend (S. 68 f.). Darin freilich,
daß die 40 Tage der Flutdauer in Gen 7,17a zu den von
PK aus J übernommenen Elementen gehörten, wird man
dem Vf. schwerlich folgen können; sie sind m. E. mit
Gunkel als ausgleichende spätere Glosse aufzufassen.

Dieses eine Beispiel vermag den Eindruck nicht abzuschwächen
, daß die Methode des Vfs. geeignet ist, spätere
Elemente zu erkennen und auszuscheiden. Wenig gee'gnct
hingegen scheint sie bei der Aufzeigung der von PS benutzten
älteren Traditionen und dem Aufweis einer überlieferungsmäßigen
Schichtung innerhalb PK. Im priester-
schriftlichen Sintflutbericht möchte der Vf. eine andere
ältere Vorlage neben J nicht gelten lassen (gegen Gunkel).
So vermag er auch in den klar poetische Struktur aufweisenden
Versen 7,11 b und 8,2 a, die in urtümlicher
Form von Einbruch der Urflut und ihrem Versiegen sprechen
', kein altes Überlieferungselement zu erkennen, obwohl
hierfür auch stilistische Argumente zu Gebote stünden.

1 Vgl. zuletzt hierzu G. Morawe, Erwägungen zu Gen. 7,11
und 8,2. Ein Beitrag zur Überlieferungsgeschichte des priester-
schril'tlichen Flutberichtes = Theologische Versuche III, hrsg.
v. J. Rogge und G. Schille, Berlin 1971, S. 31-52. Der Gedanke,
daß diese Worte nicht von dein Schrittsteller P stammen, sondern
aus der von ihm benutzten Tradition, schon bei H. Gunkel
, Genesis, z. St.