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Ausgabe:

1972

Spalte:

899-901

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fritz, Volkmar

Titel/Untertitel:

Israel in der Wüste 1972

Rezensent:

Zobel, Hans-Jürgen

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899

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 12

900

Verkündigung, die einige wenige Gedanken einprägsam
zur Geltung bringen will. An mehreren Stellen erscheinen
deutliche Auszüge aus bekannten Midraschim, insbesondere
in den Stellen, die die Eroberung von Beth-Ter betreffen.
Reiches biblisches Material wird verwendet. Im ganzen
lesen sich die Paraphrasen, die der Vf. auch in Übersetzung
(S. 81-109) darbietet, gut und interessant, ihrem homiletischen
Zweck durchaus angepaßt. Aber M. Kayserlings Anschauung
, 1872 geäußert, dürfte wohl mit Recht vom Autor
zitiert worden sein, daß nämlich diese Paraphrasen der
Haftare zum 9. Ab. besser als eine Art von Midrasch bezeichnet
werden. Insofern hat der Vf. auch zugleich einen
wesentlichen Beitrag zur Geschichte der jüdischen Predigt
geleistet, ganz abgesehen von seinem sprachgeschichtlichen
Beitrag zur Untersuchung der arabischen Dialekte, in
denen die Paraphrasen abgefaßt sind. Er hat dieses Mate
rial aus einem Manuskript der Bodleian Library in Oxford
gewonnen, Bodleian ms. Hunt. 415 fol. 173r-179v, Sigel 0,
aus dem Britischen Museum ms. or. 10385 fol. 39r-40v,
Sigel B 2, ferner aus dem Britischen Museum ms. or. 10151
fol. 60r-61r, Sigel B 3 sowie fol. 62r-69v, Sigel B 1. Ferner
hat er zwei Manuskripte der Sammlung Sassoon herangezogen
, nämlich ms. 661p. 1-15, Sigel S 1 und ms. 736 p.
2-4, Sigel S 2.

Die Handschriften werden vom Autor sorgfältig beschrieben
und in ihrem arabischen Dialekt und dessen
Eigenarten gut charakterisiert. In diesen S. 4-9 gegebenen
Erklärungen und Beschreibungen liegt neben der eigentlichen
Textveröffentlichung der besondere Wert d'cser
Ptiblikation.

S. 10-11 gibt der Autor einen dankenswerten Überblick
über die Quellen, die in den midraschähnlichen Paraphrasen
benutzt worden sind, wobei sich als Hauptquelle
der "Midrash Lamentations" ergibt. Zum Schluß seiner
Einleitung folgt eine Übersicht über die gedruckten Ausgaben
der Paraphrasen zu der genannten Jeremiastclle.

S. 14-61 folgen dann in einem schönen sauberen Druck
in hebräischer Quadrattype die arabischen Texte, wobei
Textvarianten (S. 62- 65) zwischen den einzelnen Manuskripten
sorgfältig vermerkt werden. S. 66-80 folgen Bemerkungen
zu den arabischen Texten vorwiegend sprachlicher
Art, wobei die benutzten Werke wie die von Y. Blau,
R. Dozy, R. S. Harreil, H. Sobelman, W. Wright und
B. Gomez Martinez in einer Übersicht aufgeführt werden.
Ich muß gestehen, daß ich diese Bemerkungen bei der
Lektüre der Texte als sehr hilfreich und förderlich empfunden
habe.

Am Ende des Buches fügt der Vf. den hebräischen Text
der spanischen Haftare für den 9. Ab. nach dem Ms. Or.
10279 des Britischen Museums an (S. 113-118) und versieht
ihn ebenfalls mit Anmerkungen, in denen er Hinweise zum
Verständnis der hebräischen Paraphrase gibt und auf zugrunde
liegende spanische Wendungen verweist.

Wenn auch für die Exegese des biblischen Textes sich
nichts Wesentliches ergibt, ist der Beitrag des Autors zur
Auslegungsgeschichte höchst beachtenswert. Ferner hat er
die arabische Dialektforschung erheblich gefördert, indem
er die Textmaterialien vermehrt und durch seinen reichen
Anmerkungsapparat wissenschaftlich hervorragend ausgewertet
hat, so daß sein Buch zugleich einen wesentlichen
Beitrag zur Geschichte der jüdischen Sprachkultur darstellt.

Leipsuir Hans Bardtfcs

Fritz, Volkmar: Israel in der Wüste. Traditionsgeschichtliche
Untersuchung der Wüstenüberlieferung des Jah-
wisten. Marburg: Elwert 1970. XI, 151 S. m. 2 Ktn
gr. 8° = Marburger theologische Studien, hrsg. v. H.
Graß u. W. G. Kümmel, 7. DM 33,-; Lw. DM 38,-.
Dieser Untersuchung liegt die von Prof. Otto Kaiser
-angeregte theologische Dissertation des Vf.s, Marburg

1967/68, zugrunde. Sie wendet sich den Erzählungen vom
Aufenthalt Israels in der Wüste (Ex 15,22-18,27; Num 10,
11-21,35) zu. Der erste Teil (S. 4-36) enthält die lite-
rarkritische Analyse der genannten Kapitel mit dem Ergebnis
: Die drei von Fr. anerkannten Quellenschriften P, E
und J sind daran beteiligt. Während sich E nur in der
nach Fr. allerdings weithin einheitlichen Erzählung von
der Begegnung am Gottesberg (Ex 18) nachweisen läßt-
bei ihm also eigentliche Wüstencrzählungen fehlen, und P
wegen seines besonderen Interesses an der Sinai-Erzählung
nur ein stark reduziertes Minimum der Wüstenüberlieferung
bietet, entfällt der Hauptanteil der unter dem Thema
„Israel in der Wüste" zusammenzufassenden Kapitel an den
um die Mitte des 10. Jh. v. Chr. arbeitenden J. Damit hat
Fr. die Grundlage für die im zweiten Teil (S. 37-95)
folgende traditionsgcschichtliche Untersuchung dieser jah-
wistischen Abschnitte geschaffen, in der er „Herkunft und
Geschichte der einzelnen Überlieferungen . .. verfolgen,
und die in Redaktion und Komposition zum Ausdruck gebrachte
Konzeption des Jahwisten . . . ermitteln" will (S. 36).
Der dritte Teil (S. 97-134) bietet Ergebnisse und Folgerungen
, alles auf S. 135-136 noch einmal zusammengefaßt.
Während die Erzählungen vom Bitterwasser von Mar.i
(Ex 15, 22-25a), vom Feuer im Lager zu Tabera (Num 10,
33a; 11,1-3) und von der Anfertigung der Ehernen Schlange
durch Mose (Num 21,4b-9) keine selbständigen Einzelüberlieferungen
sind, sondern erst von J geprägt wurden,
waren ihm die anderen Erzählungen, bereits weithin
schriftlich fixiert, vorgegeben. Sie entstanden im Kreis der
eine geographische und kultische Gemeinschaft bildenden
und gegenüber den übrigen Stämmen ein Eigenleben führenden
südpalästinischen Stämme in der Zeit zwischen der
Landnahme und dem Königtum Davids und gehörten
einem Geschichtswerk an, das außer den Wüstenerzählun-
gen auch einen Teil der Abraham- und Isaak-Erzählungen
enthielt und auf die Einnahme des Landes von Süden
hinauslief. Es entstand in Beerseba, und Fr. gibt ihm den
Namen Protojahwist. Die Aufnahme dieser protojahwisti-
schen Erzählungen durch J machte deren Uminterpretation
erforderlich. Da das Werk des J auf eine Landnahme
Israels von Osten her über den Jordan abzielte - deshalb
wird der vordeutcronomische Bestand von Jos 1-12 zu J
gehört haben - , ergab sich eine Spannung zur proto
jahwistischen Landnahmccrzählung, die J dadurch löste,
daß er diese zur Wüstcnübcrlicferung umfunktionierte und
ihr ostjordanische Überlieferungen anfügte. Das hatte zur
Folge, daß auch die Thematik der Wüstenüberlieferung eine
andere wurde. Standen die diesbezüglichen protojahwisti-
schen Erzählungen unter dem Thema „Führung und wunderbare
Erhaltung der Stämme durch Jahwe in der Wüste",
so sieht J den Wüstenzug unter dem Vorzeichen des Ungehorsams
und der Auflehnung des Volkes. Er fügt das
Murrmotiv konsequent in die Überlieferung ein und läßt
somit den Wüstenaufcnthalt als eine Strafzeit für den
Unglauben des Volkes erscheinen. Den Grund für diese
Interpretation findet Fr. in der Absicht des J, seine eigene
Zeit zu warnen, „die durch David und Salomo gekommene
Segenszeit nicht durch Abfall von Jahwe aufs Spiel zu
setzen" (S. 122).

Diese Untersuchung ist in mehrfacher Hinsicht von
überdurchschnittlicher Bedeutung. Wie man dem Vf. hinsichtlich
seiner These von einer Zugehörigkeit eines Teils
von Jos 1-12 zum J vielerorts zustimmen wird, dann
aber die Frage „Tetratcuch oder Hexateuch" grundsätzlich
neu durchdenken sollte, so scheint mir auch die These
eines protojahwistischen Geschichtswerks insofern beachtenswert
zu sein, als damit nicht nur eine, diesmal allerdings
nicht literarkritisch, sondern traditionsgeschichtlich
erschlossene vorjahwistische Quellenschicht angenommen,
sondern durch deren Herleitung aus dem südpalästinensischen
Stämmekreis m. E. auch die Möglichkeit gewonnen