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Ausgabe:

1972

Spalte:

875-877

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Dreier, Ralf

Titel/Untertitel:

Das kirchliche Amt 1972

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 11

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Der Vf. zeigt erstmalig an einem gelungenen Versuch auf,
wie unumgänglich die Erziehung zum Frieden ist, wie langsam
und schwierig die vorhandenen Vorurteile und Gefahren
abzubauen sind und wie umfangreich bereits heute das
Material ist, das als Mindestinformation für eine sinnvolle
friedenspädagogische Wirksamkeit anzusehen ist.

Greifswald Günther Kehnscherper

Seifj, Rudolf: Können Christen antiautoritär erziehen? (ZW

43, 1972 S. 87-93).
Schutt, Artur: Konflikt und Erziehung. Pädagogische Aspekte

im Spannungsfeld allgemeiner und beruflicher Erziehung

(StZ 97, 1972 S. 315-325).

KIRCHENRECHT

Dreier, Ralf: Das kirchliche Amt. Eine kirchenrechtstheore-
tdsche Studie. München: Claudius Verlag 1972. 288 S.
gr. 8° = Jus Ecclesiasticum. Beiträge zum evang. Kirchenrecht
und zum Staatskirchenrecht, hrsg. v. A. v. Campenhausen
, M. Heckel, K. Obermayer, G.-A. Vischer, R. Wee-
ber, 15. Kart. DM 38,-.

D. weiß, daß der Jurist nicht berufen ist, „dilettantischerweise
theologische Probleme zu lösen". Aber in der Lehre
vom Amt berühren sich Kirchenrecht und Theologie; hier
bedient sich der Theologe juristischer Begriffe. Diese will
D. in einer Kategorialanalyse klären und dadurch im »interdisziplinären
Dialog mit der Theologie zur Theorie des
kirchlichen Amtes" beitragen (S. 17). Der Gegenstand seiner
Untersuchung ist das kirchliche Amt als Rechtsphänomen
, ihre Methode ist kirchenrechtstheoretisch. Dabei kann
die mit dem Namen Rudolph Sohm verknüpfte Grundlagenproblematik
nicht ausgeklammert werden. Sie wird im ersten
Kapitel (S. 19-91) behandelt. Das zweite Kapitel (S.
92 — 168) erörtert das Hauptstück der Amtslehre, die Lehre
von der Amtsbegründung. Das dritte 'Kapitel (S. 169 - 269)
befaßt sich mit der Konstruktion des Amtes „und darin eingeschlossen
mit dem Verhältnis von Amt und Gemeinde sowie
mit den anstaltlichen und korporativen Elementen im
Kirchenverständnis" (S. 18).

1. D. zeigt, dafj durch die neuere Exegese das Sohmsche
„Problem der charismatischen Organisation als Richtmaßes
der Kirche" „nicht gelöst, sondern eher verschärft" worden
ist (S. 36). Auch die Luther-Interpretation J. Heckeis stimmt
„in der hier interessierenden Frage der charismatischen Organisation
" auffallend mit Sohm überein (S. 37). In welchem
Sinn kann dann innerhalb der Kirche von Recht gesprochen
werden? Welcher Rechtsbegriff ist für die Kirchenrechtstheorie
maßgebend? Diese Frage läßt sich nur in ständiger
Auseinandersetzung mit dem allgemeinen Rechtsbegriff beantworten
, setzt diesen also voraus. Empirisch-soziologisch
unterscheiden sich Rechtsnormen von nichtrechtlichen Sozialnormen
dadurch, daß die Sanktionierung nicht gesellschaftlich
diffus und spontan, sondern „verfahrensmäßig
geregelt und organisiert ist" (S. 42). Außerdem wird eine
Rechtsordnung durch zwei Merkmale charakterisiert: in ihr
besteht eine übergeordnete Zentralmacht, und die Ordnungskontrolle
obliegt spezialisierten Organen (S. 44). Mit diesem
empirisch-soziologischen stimmt der normativ-positivistische
Rechtsbegriff im wesentlichen überein. Auch nach ihm ist
das Recht organisierte Machtordnung. Anstößig an dieser
Definition ist, daß nach ihr „jeder beliebige Inhalt Recht sein
kann" (S. 51). Aber eine Sicherung gegen ungerechtes Recht
kann nicht in der Rechtstheorie, sondern muß in der Rechtspraxis
gesucht werden: Recht „ist verwirklichte Vernunft
nach Maßgabe der Vernünftigkeit der Rechtsgenossen und
unter ihnen insbesondere derer, die zur Setzung und Handhabung
des Rechts berufen sind" (S. 60). - Das Kirchenrecht

nun als empirisches Recht erweist sich als dem weltlichen
strukturell gleichgestaltet (S. 62). Das Kirchenrecht ist organisierte
Machtordnung, die „faktisch derjenigen des Staates
nicht neben-, sondern eingeordnet" ist (S. 63). Aber wie ist
dieser Tatbestand theologisch zu beurteilen oder zu interpretieren
? Die Frage ist, „ob und in welchem Sinn das empirische
Kirchenrecht Ausdruck und Gestalt des geistlichen
Regimentes Christi über die Kirche sei" (S. 66). Inwiefern
ist Kirchenrecht geistliches und nicht weltliches Recht? Die
Kanonistik deutet das kirchliche Recht als geistliches „vermittels
der Bindung des Geistes an das Recht durch das
Sakrament" (S. 72). Diesen Weg kann die evangelische Theologie
nicht gehen. Sie kommt bei dem Versuch, das Kirchenrecht
als eigengeartetes (geistliches) Recht zu erweisen, zu
Postulaten, welche an jedes rechtverstandene weltliche Recht
ebenfalls zu stellen sind; so Barth, wenn er ein „Dienstrecht"
oder ein lebendiges vorbildliches Recht fordert (S. 75), oder
Erik Wolf, der das Kirchenrecht als Ordnung der Liebe bezeichnet
(S. 77). Die Sohmsche These kann offenbar durch
die Substitution eines anderen Rechtsbegriffs nicht widerlegt
werden (S. 79). Auch die Versuche von Grundmann und
Dombois heben „das Skandalon des empirischen Kirchenrechts
nicht auf. Und ausschließlich um dieses geht es in
Sohms These" (S. 86). Im übrigen erweist sich Dombois'
Versuch, dem Normenrecht ein Statusrecht entgegenzusetzen,
insoweit als verfehlt, als „von einem Status erst gesprochen
werden kann, wenn eine Normbildung vorausgegangen ist"
(S. 82). Der statusrechtliche Formenkreis ist ein Teilbereich
des Rechtsgebietes, „welches seinerseits durch den Normbegriff
definiert ist" (S. 83). Ein strukturell eigengeartetes
Kirchenrecht hat sich nicht erweisen lassen. Die Kategorien
des Rechtsstaates sind eben „weithin nicht solche des Staates,
sondern des Rechtes, oder besser: der Vernunft, und beanspruchen
Geltung überall dort, wo es Recht gibt" (S. 90).

2. Die Zentralfrage der Amtslehre kann dahin formuliert
werden, „ob und inwiefern der Kirche eine Ordnung durch
das Amt kraft göttlichen Rechts vorgegeben sei" (S. 93). Der
Begriffsinhalt des ius divinum positivum „kann mit E. Wolf
als Bestimmungsnormen (Richtschnuren) angesehen werden,
werden" (S. 96). Das göttliche Recht ist Offenbarungsrecht.
Aber enthält die Offenbarung Rechtssätze? D. antwortet mit
einem Ja, aber. Wie allgemein zugestanden wird, enthält
die Schrift normative Wesensaussagen über die Kirche. Diese
können zwar nicht im technischen Sinn als Rechtssätze, aber
als Bestimmungsnormen (Richtschnuren) angesehen werden.
Erst „das in menschliches Recht transformierte göttliche
Recht" ist empirisch Kirchenrecht; ihm gegenüber behält
das „reine" ius divinum seine kritische Funktion (S. 109).
Da also das ius divinum immer erst durch Rezeption und
Transformation geltende Rechtsordnung wird, vermag es
„sich dem Phänomen der Wandelbarkeit allen Rechts nicht zu
entziehen" (S. 115). - „Das Amt im Rechtssinne läßt sich
... als ein durch generelle Normen statuierter Aufgabenkreis
definieren" (S. 120). Die Apostel sind „nicht als Inhaber eines
rechtlich institutionalisierten Amtes, sondern als Adressaten
eines personalen Auftrages anzusehen" (S. 154). Der
Apostolat war an die Generation der Augenzeugen gebunden
. Das kirchliche Amt gibt es erst nach dem Tode der Apostel
. Zwei Theorien stehen sich gegenüber: die Stiftungstheorie
(Christus habe mit der Beauftragung der Apostel
folgeweise auch das Amt gestiftet) und die Errichtungstheorie
(die Gemeinde habe, um den Auftrag Christi zu erfüllen
, das Amt errichtet). Der geläufige Ausdruck Übertragungstheorie
(die allen Gläubigen zustehenden Rechte
seien auf einen Beauftragten übertragen worden) ist unzutreffend
; denn ein Amt wird nicht „durch die Übertragung
subjektiver Rechte aus dem materiellen Rechtskreis, sondern
durch die Konstituierung organisationsrechtlicher Wahrnehmungszuständigkeiten
errichtet" (S. 155) Stiftungs- und Errichtungstheorie
sind enger miteinander verklammert, als
es zunächst scheint. Denn die Stiftungstheorie besagt im