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1972

Kategorie:

Praktische Theologie

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869

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 11

870

letztlich getragen ist: „Die Kirche Jesu Christi wird nicht aufhören
, und ihren Ort auf der Erde wird sie suchen müssen um
des Auftrages willen, den der Herr ihr gegeben hat, und
um der Verheißung willen, die sie empfangen hat" (S. 10).
Leipzig Hartmut Mai

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Hammer, Karl: Deutsche Kriegstheologie (1S70-1918). München
: Kösel-Verlag (1971). 384 S. 8°. Lw. DM 58,-.
Das Buch ist eine gekürzte Wiedergabe einer Habilitationsschrift
aus der Schweiz; wo genau, ist nicht ersichtlich.
Nicht nur der Text als solcher enthält viele Zitate. Es schließt
sich auch ein „Dokumententeil" (177—344) an, der vor allem
Predigten, aber auch biographische Notizen, Zeitschriftenaufsätze
(z. B. AELKZ, CW), Flugblätter, Briefe, Aufrufe,
Hirtenbriefe als Belegmaterial enthält: im ganzen eine „erschreckende
" (12) Sammlung. Vf. möchte, daß „keinesfalls
Unsere Gegenwart in ähnliche Gefahren gerät" (12).

Im „Historischen Teil" (13—85) wird zuerst der Krieg von
1870/71 behandelt; und zwar vor allem unter Heranziehung
von Sekundärliteratur. Im großen und ganzen verschärft
Vf. die bisherige Meinung, daß die evangelischen Geistlichen
eine „Billigung, ja Verstärkung all dieser nationalen und
militanten Töne" (16) der preußisch-deutschen Politik vornahmen
, wenn auch nicht so lautstark und theologisch unkritisch
wie die Prediger des ersten Weltkrieges. Und man
hielt sich in Süddeutschland, besonders in katholische:« Gegenden
, aus antipreußischer Einstellung zurück. Auch in
Hannover betete „eine nicht ganz kleine Zahl pietistischer
Pastoren ziemlich laut für den Sieg der französischen Waffen
" (21). - Nachdem Vf. für die gesamte Zeit des ersten
Weltkrieges eine naive Stellung zur Kriegsschuldfragc zugunsten
des deutschen Volkes nachgewiesen hat, konstatiert
er für den August 1914 „jene Atmosphäre des bequemen
Optimismus und heilenden Selbstbetrugs, in der das energische
Denken einschlief,.. . bis schließlich die große Masse
der Nation in einem Zustand halbwachen Träumens ihrem
Verhängnis entgegentaumelte" (48f). Davon ist nun auch
die Kriegspredigt des ersten Kriegsjahres getragen, in der
durchweg ein ungebrochener Nationalismus herrscht, z. B.
auch in der Frage der Verletzung der belgischen Neutralität
. Konservative und liberale Theologen arbeiten hier
Hand in Hand. An Ausnahmen kann Vf. für das erste Jahr
nur zwei Theologen nennen (R. Schlunck, C. Blumhardt jun.).
Bedenken hegende Theologen wie H. von Bezzel oder M.
Rade äußern sich nur sehr zurückhaltend. Im Laufe des
Krieges — bis in die Nachkriegszeit hinein — hält das Gros
der Theologen an seiner politisch konservativen und nationalistischen
Grundeinstellung fest, auch wenn „wachsende
Zurückhaltung, . . . mitmenschliches Empfinden, ... betrübte
Ratlosigkeit" (71) zunehmen. Obgleich die Katholische
Kirche in Deutschland nicht ganz so nationalistisch wie in
Frankreich auftritt und der Einfluß Roms offensichtlich mäßigend
wirkt, wurde doch im allgemeinen „das katholische
Glaubensgut an das nationale angeglichen, wobei die konfessionellen
Lehrunterschiede nicht nur in der Praxis----

sondern auch in der Theorie immer mehr verschwanden"
(79).

Im „Systematisch-Theologischen Teil" (87-174) will Vf.
nachweisen, daß die Verirrungen der Kriegstheologie damit
zusammenhängen, daß das trinitarische Bekenntnis nicht
korrekt durchgehalten wurde. Vor allem die Betonung des
Ersten Artikels seit der Aufklärung und die antimetaphysische
Theologie A. Ritschis werden dafür verantwortlich gemacht
, daß fast alle deutschen Theologen — Professoren,
Pfarrer wie Männer der Kirchenleitung — in ihrem Einfluß
auf die Gemeinden zum Handlanger des deutschen Imperialismus
wurden. Sie unterschieden in der Gotteslehre nicht

zwischen Offenbarung und Geschichte und wendeten den
Vorsehungsglauben unkritisch auf ihr eigenes Volk an: es
ist Gottes Werkzeug wie Israel. Während der Krieg aufgrund
seiner angeblich positiven Elemente gerechtfertigt
wird, werden die wenigen Pazifisten belächelt oder gar zurückgesetzt
. Die Christologie betont das heroische Opfer
Christi, das zur Nachahmung im Heldentod aufruft. Die
Pneumatologie dient dazu, „dem Glauben an die bessere
Sittlichkeit, an die Pflicht, an das Recht, ... dem Glauben
auch an Vaterland, Nation, das Recht und die Tugenden des
Krieges" (135) theologisch aufzuhelfen. An diese im engeren
Sinn theologischen Überlegungen schließen sich dann
Gedanken zu den konkreten ethischen Begriffen Recht und
Pflicht, Vaterland und Patriotismus, Nationalismus und Antisemitismus
, Treue bis zum Tod an. Sämtliche Themen sind
vom deutschen und romantischen Idealismus, kaum von der
christlichen Offenbarung her ausgelegt worden. Abschließend
wird festgehalten, daß die deutsche Kirche in eine
Krise geriet, weil sie sich in die ideologische Abhängigkeit
vom deutschen Nationalismus begeben habe. Das Ganze
schließt mit einem Bedauern darüber, daß sich die Kirche
nicht stärker dem Sozialismus geöffnet habe.

Vf.s Urteile sind offensichtlich stark unter den theologischen
Prämissen der Theologie Karl Barths zustande gekommen
. Das erweist sich in vieler Hinsicht als nützlich und berechtigt
. Freilich darf man nicht übersehen, daß die vorwiegend
unter systematischen Aspekten vorgenommene reiche
Materialsammlung nicht alle Nuancen der deutschen Theologie
in den Kriegen erfaßt hat. Es fehlt an einer genaueren
Einordnung der Kriegstheologie in die Gesamttheologie der
damaligen Zeit ebenso wie an einer Überprüfung des Stellenwertes
der politischen Aussagen der einzelnen Theologen
in ihrem theologischen Denken überhaupt. Die Äußerungen
dazu besonders auf S. 89—93 befriedigen nicht. Die
hier und da erwähnte Diskrepanz zwischen individualistischem
und politischem Denken (z. B. 99, 153) bedarf der
Ergänzung. Es sind die theologischen Anliegen von Pietisten
, Konfessionellen und Liberalen nicht völlig eingeebnet
worden (172f). Sie kamen in der Verkündigung auch weiterhin
zum Zuge. Man konnte eben auch biblisch positiv,
evangelisch zentral und in einem guten Sinn human liberal
reden, wo es um das kirchliche und individuelle Leben der
Christen ging. Und die offiziellen Agenden wurden ja nicht
so abgeschafft, daß ihr theologischer Grundgehalt durch
Kriegsagenden völlig außer Kurs geriet. Auch hat die Seel-
sorge in den Kriegen gewiß nicht nur unter dem Vorzeichen
national-ideologischer Verdrehung ihre Aufgabe wahrgenommen
. Vf. nennt wohl an vielen Stellen einzelne Ausnahmen
; aber man hätte sich trotzdem noch eine deutlichere
Darstellung der Spannung zwischen theologisch legitimer
Verkündigung in Predigt, Liturgie und Seelsorge auf der
einen Seite und den großen Entgleisungen auf politischem
Gebiet auf der anderen Seite gewünscht. Es bliebe die Bilanz
trotzdem noch erschütternd genug: Unbußfertigkeit
und Abhängigkeit vom nationalistischen Geist der Jahrhundertwende
trugen zur Selbstrechtfertigung der damaligen
politischen Verhältnisse bei.

Rüdersdorf b. Berlin Friedrich Winter

Albrecht, Renate: Tillichs Auffassung vom universalen Heilen
(Wege zum Menschen 24, 1972 S. 138-141).

Congar, Yves: Erneuerung des Geistes und Reform der Institution
(Concilium 8, 1972 S. 171-177).

Diez-Alegria, Jose: Manipulation der Freiheit in der Kirche
(Concilium 7, 1971 S. 343-347).

Droß, Reinhard: Neuere Demokratisierungsbestrebungen im
deutschen Protestantismus (Concilium 7, 1971 S. 220 bis
224).

Exeler, Adolf: Bewußtseinswandel und Kirchenreform (Concilium
8, 1972 S. 191-195).