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Ausgabe:

1972

Spalte:

861-863

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Die Mennoniten 1972

Rezensent:

Obst, Helmut

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 11

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9en haben. Das Ganze entartete zum Spektakel, zur Volks- nitischer Theologie werden in großen Zügen dargestellt,
Belustigung, nebenbei auch zum Jahrmarktsgeschäft - Gärt- teilweise exegetisch begründet und verteidigt, aber auch
ncr, Bäcker, Schuhmacher strichen reichste Gewinne ein - hinterfragt und kritisch gesichtet. Die Ergebnisse sind kei-
"nd zu nachfolgenden Zechgelagen in den überfüllten Schän- nesfalls als allgemeinverbindlich und als charakteristisch
sen. Der Klerus, der später unter aufklärerischem Einfluß für die ganze Weltgemeinschaft anzusehen. Folgende Thestand
, empfand das Unwürdige des Unternehmens und hielt men werden behandelt:

sich fern. Als die letzte Angerprozession (1802), endlich von Die Orientierung an Wort und Geist; Die Gestalt des
Auswüchsen gereinigt, wieder große Massen Schaulustiger Glaubens in der Nachfolge; Die Gemeinde der Gläubigen;
anlockte, begann das Geschimpfe, denn die Besucher konn- Das doppelte Bekenntnis in der Taufe; Die Verweigerung
len nicht mehr über Kain oder Simson in Gelächter ausbre- des Eides; Sendung und Auftrag der Gemeinde; Gewalttaten
. Die Bauern kündigten gleich an, sie würden nicht wie- sigkeit als Kennzeichen der Gemeinde; Versuch einer öku-
«erkommen. Das Volksfest endete mit einer Schlägerei im menischen Theologie.

Katskeller, bei der ein Regierungsrat durch einen Leutnant Ohne eine Wertung vornehmen zu wollen, möchten wir
ermordet wurde. Zum Glück hatte im folgenden Jahr die nur auf zwei Beiträge eingehen. Hans-Jürgen Goertz geht
3anze Herrlichkeit ein Ende. es in seinem Aufsatz darum, die kritisch gewonnenen Einher
vorletzte Abschnitt behandelt Barockfrömmigkeit im sichten aus Tradition und Wort Gottes so zu verarbeiten, daß
tätlichen, akademischen und militärischen Leben Erfurts. das mennonitische Taufverständnis aus seiner Verengung
1802 ging dann die Mainzer Scheinherrschaft zu Ende. Der geführt und der freie Zugang zu den Taufgesprächen in der
j'akularisation fielen wie einst Kirchen, Klöster und geist- Ökumene gefunden wird (S. 70 — 99). Die mennonitische
hche Institutionen zum Opfer. Der katholische Einfluß in Verengung der alttäuferischen Taufauffassung sieht er in
"er Bürgerschaft sank tief. einem durch Gemeindetradition und Familienmilieu ge-
Wir haben gelernt, von „Lehren der Geschichte" mit Vor- förderten passiven Taufverständnis. .Die Erwachsenentaufe,
sieht zu reden. Gewiß erschienen im 17. Jahrhundert die nicht die Glaubens- oder Bekenntnistaufe, wurde als Märty-
Jesuiten als Retter in der Not und der einheimische zurück- rervermächtnis der Täufer bewahrt und von Generation zu
^altende Klerus als defätistisch. 1802 aber war das anfangs Generation vererbt" (S. 70). Sie wird als „kirchlicher Auf-
Hunderte Aufbauwerk des 17. Jahrhunderts in Fäulnis nahmeritus hingenommen" (ebd.). Hier müssen nach Mei-
oergegangen, und nun wiederholte die Kirchengeschichte nung von G. neue, an der Schrift und an dem sehr differen-
rturts die Nöte des 16. Jahrhunderts. Man fragt sich unwill- zierten Tauf Verständnis der mennonitischen Väter orientier-
^Urlich, ob Erfurts katholisches Kirchentum auf die Dauer te Maßstäbe gefunden werden. Eine Einigung in der Tauf-
°nne das pompöse jesuitische Intermezzo nicht besser ge- frage kann es nur geben, wenn die Mennoniten ihr tradi-
ahren wäre. tionelles Taufverständnis korrigieren und die Taufe „vor
Das Buch hätte manche Kürzung vertragen, ohne daß We- allem und zuerst als ein Handeln Gottes" begreifen, die
^entliches verlorengegangen wäre. Die breite Darstellung Großkirchen ihre Taufpraxis vielseitiger gestalten oder gar
"at insofern ihr Gutes, als sobald nicht wieder jemand so ändern und die Freikirchen, welche die Glaubenstaufe üben,
ein3ehend die gedruckten und archivalischen Quellen durch- endgültig die Wiedertaufe aufgeben (S. 99). Dieser in öku-
ar°eiten wird. menische Dimensionen reichende Vorschlag dürfte allerdings

im konfessionell geprägten mennonitischen Lager - und
nicht nur dort - auf Kritik und Widerspruch stoßen.
Das Bestreben der deutschen und niederländischen Men-

Goert u noniten, im Gegensatz zu den meisten anderen Gruppen in

Fv ,ans"Jur9en [Hrs9-]: Die Mennoniten. Stuttgart: der ökumenischen Bewegung aktiv mitzuarbeiten und einen

V?n Verla9swerk (19711- 286 s- 80 = °ie Kirchen der eigenständigen theologischen Beitrag zu leisten, kommt in

Wolf vi9' V' HarmS' Kruger- G- Wag"«'- H.-H. dem Aufsatz des niederländischen Theologen Johannes A.

, II. Lw. DM 32, - . Oosterbaan zum Ausdruck, der den „Versuch einer ökume-

lese Selbstdarstellung der ältesten protestantischen Frei- nischen Theologie" anbietet (S. 142-155). Er sieht die „fun-

^irche stellt sich bewußt in das Spannungsfeld von Tradi- damentalen theologischen Unterschiede zwischen den Täu-

°n und Neuaufbruch, Konfessionalismus und ökumenis- fern und der lutherisch-calvinistischen Reformation" nicht in

übUS ^amna^te Theologen und Kirchenführer informieren der Ekklesiologie, sondern im Offenbarungsverständnis be-

er Vergangenheit und Gegenwart der mennonitischen gründet (S. 45). O. tritt für die Erarbeitung einer täuferi-

eltbruderschaft. Nicht die statischen, sondern die dynami- sehen Theologie ein, die nach seiner Ansicht von ihrem hi-

* !en Kräfte des Mennonitentums geben den Ausführungen storischen Ansatz her „eine wichtige katalysierende Funk-

as Gepräge. Dadurch unterscheidet sich das Buch teilweise tion beim Durchdenken des großen Gegensatzes zwischen

eblich von den üblichen Selbstdarstellungen. Der Heraus- der katholischen und reformatorischen Theologie" ausüben

aeber war sich dessen bewußt. Die von ihm angestrebte könne (S. 146). Er illustriert diese These anhand einiger

.nthese zwischen der notwendigen konfessionskundlichen sehr bemerkenswerter Beispiele. Der Versuch, dessen kon-

/■formation und der wünschenswerten theologischen Neu- struktiver Charakter dem Vf. selbst bewußt ist, verdient

"sinnung nach innen und nach außen ist durchaus gelun- Beachtung und kann die ökumenische Debatte zweifellos

9en. Gelegentliche Überschneidungen, manche Disproportio- beleben. Er beleuchtet außerdem, wie auch die anderen Bei-

aütät wie auch eine unterschiedliche wissenschaftliche Qua- träge, die Fragwürdigkeit des durch die Reformatoren bis

«tat ließen sich bei 17 Mitarbeitern aus aller Welt nicht heute wesentlich geprägten Bildes der protestantischen

c"'g ausschließen. Großkirchen von den Täufern.

1. der vier Hauptkapitel des Buches, „Der historische Wie schwierig sich allerdings der Prozeß des Umdenkens

. ufbruch" (S. 11-27), gibt H. Fast einen gedrängten Über- und der Neubesinnung angesichts der großen Differenziert-

hek der Entwicklung „Von den Täufern zu den Mennoni- heit der „Mennonitischen Weltbruderschaft" gestalten wird,

en". Mit bemerkenswerter Nüchternheit kommt er darin macht das dritte Hauptkapitel deutlich (S. 159 - 246). Hier

?• a. zu dem Ergebnis, daß im Mennonitentum sehr früh eine findet der Leser nach Erdteilen gegliedert eine Fülle vor-

''°nfessionelle Entwicklung einsetzte, die „statt auf Sendung wiegend historischen und statistischen Materials über die

3u- Sicherung" bedacht war (S. 25). Mennonitengemeinden in den verschiedenen Ländern. Länge

-Der theologische Ansatz" des Mennonitentums wird im und Kürze der Darstellungen entsprechen nicht immer ganz

wesentlich umfangreicheren Hauptkapitel herausgearbei- den sachlichen Gewichten.

51 (S. 31 -155). Grundlagen und Propria täuferisch-menno- Die Frage nach der Zukunft des Mennonitentums wird

Gottfried Holtz