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Ausgabe:

1972

Spalte:

857-858

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Hakamies, Ahti

Titel/Untertitel:

"Eigengesetzlichkeit" der natürlichen Ordnungen als Grundproblem der neueren Lutherdeutung 1972

Rezensent:

Ludolphy, Ingetraut

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357

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 11

858

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Hakamies, Ahti: »Eigengesetzlichkeit" der natürlichen Ordnungen
als Grundproblem der neueren Lutherdeutung.

Studien zur Geschichte und Problematik der Zwei-Reiche-
Lehre Luthers. Witten: Luther-Verlag 1971. 163 S. gr 8"
= Untersuchungen zur Kirchengeschichte, 7.
Unter der Überschrift verbirgt sich, wie der Untertitel
deutlicher zeigt, zunächst ein kritischer Forschungsbericht
über die wichtigsten neueren Interpretationsversuche der
Zweireichelehre Luthers. Vf. beginnt mit Ernst Troeltsch,
Karl Holl, Georg Wünsch und führt über Karl Barth, Ernst
Wolf und Johannes Heckel zu Gustaf Törnvall, Franz Lau
und Paul Althaus. Die Anordnung ist nicht nur im wesentlichen
chronologisch bedingt, sondern bedeutet für Hakamies
eine immer größere Annäherung an Luthers Vorstellungen
. Scharfsinnig und minutiös, unter Heranziehung modernster
Literatur untersucht Vf. das Verständnis der Zweireichelehre
bei den einzelnen Forschern und baut ihre Meinung
in die Theologie- und Kirchengeschichte ein.

In die moderne Theologiegeschichte gehört der im Titel
gebrauchte Begriff der .Eigengesetzlichkeit". Er taucht nämlich
erst Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Das Problem
selbst gehört allerdings bereits in die geistesgeschichtliche
Entwicklung der Neuzeit.

Das eigentliche Ziel der Untersuchung von Hakamies ist
es, die häufig aufgestellte Bemerkung abzuwehren, daß die
Zweireichelehre Luthers zu der heute verfemten Vorstellung
■von der Eigengesetzlichkeit der Bereiche geführt habe.

Die Ursache dieser Fehlentwicklung sieht er in der Sozialtheorie
von Ernst Troeltsch, die nicht Luthers Intentionen
entspricht. Wenn auch Karl Holl die natürlichen Ordnungen
T>ei Luther nur als notwendige .Mittel" im Dienste des .absoluten
" Zwecks, des Gottesreichs, verstand, so setzte er
doch in seiner Lutherdeutung die Theorie von der Eigengesetzlichkeit
voraus. Georg Wünschs Lutherinterpretation war
2entral durch diese Theorie bedingt.

Karl Barth und seine Schule haben einerseits Luther und
entsprechend das Luthertum für die Auffassung von der
Eigengesetzlichkeit des politischen Bereichs verantwortlich
gemacht, andererseits suchten sie bei Luther eine christo-
2entrische Sozialethik.

Die charakterisierten lutherischen Theologen verstehen
Semeinsam die zwei Reiche als zwei Gottesordnungen, bieten
aber je ihre eigenen Lösungen des vorliegenden Problems
an.

Sicher wird sich jeder der besprochenen Forscher in Hakamies
Darstellung wiedererkennen. Daß er in allem der jeweiligen
Kritik zustimmt, wird niemand erwarten. Hier ist
der Reaktion der verschiedenen theologischen Schulen mit
Spannung entgegenzusehen.

Der Leser, der den inneren Gründen der von Hakamies
9ewählten Reihenfolge der Monographien zur Zweireichelehre
gern zustimmt, ist dankbar, am Schluß, wenn auch sehr
kurz, dessen eigene Sicht in bezug auf das Problem der
•Eigengesetzlichkeit" der natürlichen Ordnungen bei Luther
im Zusammenhang dargestellt zu finden, die allenthalben
seiner Kritik an den Interpretationen der Zweireichelehre
durch die verschiedenen genannten Lutherforscher zugrunde
üegt Und darüberhinaus in Text und Anmerkungen auch
expressis verbis zum Ausdruck kam.

Auf die Frage, wieweit die weltlichen Ordnungen von Luther
selbst tatsächlich als .eigengesetzlich" betrachtet wurden
, antwortet Vf. erstens, der Reformator habe durch seine
Unterscheidung der beiden Reiche den Eigen Charakter
(Sperrung nicht im Original) der natürlichen Ordnungen
stark betont und durch die Beseitigung des mittelalterlichen
Natur-Übernatur-Schemas die ursprüngliche .natürliche"

Existenz der weltlichen Ordnungen wiederhergestellt. Zweitens
war für Luther durch seine „nominalistisch-voluntari-
stische Gesetzesauffassung", die im Gegensatz zur mittelal-
terlich-thomistischen Tradition steht, zwar Gott auch seine»
weltlichen Ordnungen gegenüber souverän, aber die Ordnungen
sind Gott gegenüber keine „eigengesetzlich" souveränen
Wirklichkeitsgebiete. Drittens muß „zwischen dem
.relativ' autonomen Naturbegriff Luthers und dem .modernen
' .absoluten' Autonomiebegriff" unterschieden werden
(S. 137). Luthers Naturrechtsauffassung ist etwas ganz anderes
als die spätere „eigengesetzliche" Naturrechtstheoric.
Während beim modernen Autonomiebegriff die Naturgesetze
als ethisch neutral gedacht werden, schafft die .Natur"
bei Luther trotz ihres Verfallenseins an die Sünde die notwendigen
weltlichen, verbindlichen Ordnungen. Als Fazit
stellt Hakamies fest, dafj nicht Luther die Schuld an der
Entstehung der späteren Theorie der „Eigengesetzlichkeit"
trifft, sondern dafj durch Troeltsch die Frage nach den natürlichen
Ordnungen bei Luther in Abhängigkeit von dem
Troeltsch selbst wichtigen Autonomiebegriff geriet. Insofern
ist der Begriff der „Eigengesetzlichkeit" keine Erbschaft,
die wir Luther verdanken, sondern ein Erbe Troeltschs.

Die Gründlichkeit der Arbeit, der wir in ihren wesentlichen
Ergebnissen zustimmen, zeigt sich auch in den zahlreichen
umfänglichen, gedanken- und erkenntnisreichen Anmerkungen
, sowie in den beigegebenen Personen- und Sachregistern
.

Allerdings ist das Werk in sprachlicher Hinsicht mitunter
schwer zu verstehen, ja Mißverständnisse sind nicht ausgeschlossen
(vgl. z. B. S. 104, Z. 7). Die Diktion müßte klarer
und treffender sein.

Die Literatur sollte exakt angegeben werden (vgl. S. 116,
Anm. 24 und S. 156 „Der Kampf um das Naturrecht"; S. 157
„Sieg des Glaubens"; S. 129, Anm. 71 und S. 157 „Zur Verständigung
über das Problem der Ur-Offenbarung"; S. 29,
Anm. 12 und S. 149 „Unpart. Kirchen- und Ketzerhist.. .
1699/1700"). S. 85, Z. 6 Maßstäbe statt Maßnahmen.

Leipzig Ingetraut Ludolphy

Kohls, Ernst-Wilhelm (Hrsg.): Die „Leien Bibel" des Straßburger
Druckers Wendelin Rihel vom Jahre 1540 mit Holzschnitten
von Hans Baidung Grien. Marburg: Fotodruck
E. Mauersberger 1971. 28 S., 192 Abb. 8°.
Das liebenswerte Büchlein erscheint als Band 1 einer neu
von Kohls herausgegebenen Reihe „Quellen und Untersuchungen
zur Druckgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts".
Da die „Leien Bibel" nur noch in einem einzigen Exemplar
in Memmingen erhalten ist, hat die Neuherausgabe im Fotodruck
fast den Charakter einer Rettung. Wie zu erwarten
, ist die „Leien Bibel" eine Bilderbibel, aber nicht in typo-
logischer Zuordnung alt- und neutestamentlicher Motive
wie in der mittelalterlichen Biblia pauperum, sondern in
der kanonischen Ordnung. Darin allein schon dürfte ein reformatorisches
Motiv deutlich werden. Die Lage war bekanntlich
kompliziert. Straßburg, der Ursprungsort der Bilderbibel
, lag im Einflußbereich der Bilderfeinde. So überrascht
nicht, daß der Drucker und Verleger Rihel in seiner
Vorrede sich gegen die Bilderfeinde wendet, denen es, wie
er sagt, am rechten Gebrauch der christlichen Freiheit fehle.
Außerdem führt er einen Schriftbeweis zur Verteidigung der
Bilder und hebt ihre Bedeutung in der religiösen Erziehung
der Jugend hervor. Die 199 Holzschnitte stammen von Hans
Baidung Grien resp. aus seiner Werkstatt. 24 dieser Holzschnitte
, die schon Bucers „kurtzen Catechismus" illustriert
hatten, waren bereits 1967 durch Kohls als Werke Baidungs
erkannt - s. Theologische Zeitschrift 23, 1967, S. 267-284.
Der kunstgeschichtliche Nachweis für das Werk Rihels war
nun leicht. In einer Zeit, in der die Sakralkunst wegen Mangels
an Aufträgen fast zum Erliegen kam, wiesen Rihel und
Baidung den Künstlern neue Wege. Die Seiten des Haupt-