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1972

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 11

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auf die Unterscheidung der verborgenen Realität und der
Elemente („les apparances") in der Eucharistie, auf den
„eucharistischen Realismus" und auf die Kommunion (geistliche
und leibliche, deren beider Notwendigkeit und der Inhalt
der geistlichen Kommunion).

Der Schluß (433 - 482) bringt eine Zusammenfassung der
Abendmahlslehre Lanfrancs (eine solche Berengars wird
leider nicht geboten) und der Ursachen des Gegensatzes zwischen
Lanfranc und Berengar, die Vf. in einer unterschiedlichen
Auffassung „au sujet du röle que peut jouer la raison
dans l'explicitation du donne revele" (441 - 445), im Aristote-
lismus Berengars und im Piatonismus Lanfrancs sieht. Darauf
stellt er Stellung und Bedeutung der Abendmahlslehre
Lanfrancs in der weiteren Entwicklung von Theologie und
Dogma bis hin zu Thomas von Aquino dar mit einem Ausblick
auf die ökumenischen Auswirkungen.

Es folgen fünf Appendices (483 - 554), die einige Texte
zum Berengarschen Streit bzw. zur Abenmahlslehre Lanfrancs
enthalten (u. a. Berengars „Purgatoria epistola contra
Almannum" und Varianten zu Lanfrancs „De corpore et
sanguine Domini"). Die Arbeit schließt mit sechs Registern
(Manuskripte, Schriftstellen, Synoden, Personen und ihre
Schriften bis 1500 und nach 1500 und ein ausführliches
Sachregister, das eine ausgezeichnete Hilfe für die Arbeit
an diesem umfangreichen Werk darstellt).

Es ist unmöglich, diese (fast zu) umfassende und gründlich
gearbeitete Schrift ausführlich zu besprechen. Darum
sei nur zu drei Abschnitten noch etwas gesagt.

1. Mit Recht hebt Vf. neben der berühmten Schrift Berengars
„De sacra coena" die Bedeutung seiner Briefe hervor
und versucht, von ihnen ebenso wie von seiner Hauptschrift
aus die Abendmahlslehre Berengars aufzuzeigen. Gerade
seine Briefe können uns helfen, Berengar besser zu verstehen
. Dabei dürfte die genannte „Purgatoria epistola contra
Almannum", die Vf. gründlich analysiert (131-142), eine
Schlüsselstellung einnehmen. Als deren Ergebnis faßt Vf.
die Abendmahlslehre Berengars vor der römischen Synode
1059 in vier Sätzen zusammen: 1. „Brot und Wein bleiben
nach der Konsekration unversehrt auf dem Altar"; 2. „Die
Konsekration verändert also nicht die Beschaffenheit von
Brot und Wein, sondern sie fügt ihnen einen zusätzlichen
Wert hinzu, der darin besteht, daß sie .Sakramente' oder
.Zeichen' des Leibes und Blutes Christi sind"; 3. „Es ist nötig,
daß es eine Übereinstimmung zwischen den Sakramenten
und den durch die Sakramente bezeichneten Realitäten
gibt"; 4. „Man kann sagen, daß durch die Konsekration
Brot und Wein der wahre Leib und das wahre Blut Christi
geworden sind" (142-148). Dies erklärt Vf.: „Le pain et le
vin deviennent, par la consecration, les sacrements du corps
et du sang du Christ, ce qui implique qu'ils deviennent en
meme temps 'd'une certaine facon', le corps et le sang du
Christ. Cette conversion se fait non pas sensualiter,
mais intellectualiter; eile suppose non la Substitution
d'une realite ä une autre realite, mais la promotion
d'une realite preexistante et qui continue ä exister; eile
aboutit non ä un morceau de la chair et du sang du Christ,
mais ä la totalite de la chair et du sang du Christ" (147f).
Mit dieser Auffassung mußte sich nun die römische Synode
von 1059 auseinandersetzen.

2. Der Vf. hilft dabei, die confessio Berengarii von 1059
besser zu verstehen. Während Rez. in seiner Dissertation
von 1966 „Die Abendmahlslehre des Kardinals Humbert und
ihre Bedeutung für das gegenwärtige Abendmahlsgespräch"
(gedruckt Berlin/Hamburg 1971, S. 57) schon darauf aufmerksam
gemacht hat, daß die gerade von der römischen
Theologie bis heute als anstößig empfundenen Ausdrücke
„manibus frangi" und „dentibus atteri" bereits in Berengars
Brief an Adelmann stehen (als Beschreibung der herrschenden
vulgären Auffassung), hat Vf. auch darauf hingewiesen,
daß sie ebenso in dem Brief an Hildebrand, der unter Gaufried
v. Anjous Namen steht, zu finden sind. Zweifellos enthält
dieser Brief die Gedanken Berengars, doch steht er
nicht unter seinem Namen. Ob Vf. recht hat, wenn er im Rß"
gister auch diesen Brief bündig unter „Lettres ecrites paf
Berenger pour le compte d'autrui" anführt, ist mir nicht
ganz sicher. Aber das steht fest, beide Briefe enthalten also
die Aussagen, die Berengar in ihnen als „insania" bzw. „W
haeresim capitalem error ille vulgaris . . . evadit" bezeichnet
und die er nun in Rom 1059 beschwören muß! Humberts
confessio schnitt also Umdeulungen durch Berengar von
vornherein ab.

3. Die Abendmahlslehre Lanfrancs faßt Vf. unter den
Stichworten Presence reelle, Sacramentalisme eucharisticfue
und Communion spirituelle zusammen: „Die Abendmahlslehre
Lanfrancs zeigt sich als ein Gefüge auf drei Etagen
oder Ebenen. Auf der ersten wird die Gegenwart von Leib
und Blut Christi auf dem Altar bekräftigt, die unter den
Elementen Brot und Wein verborgen ist; auf der zweiten
wird an die sakramentale Feier erinnert: das Opfer von
Leib und Blut Christi im Ritus des Brechens und bei der
Kommunion ist eine Erinnerung („rappel") des Leidens des
Herrn; auf der dritten Ebene wird die geistliche Kommunion
angeführt, die eine Stütze findet in der leiblichen Kommunion
mit Rücksicht auf die Gefühle, die durch diese als
sakramentales Opfer suggeriert werden (s. zweite Ebene),
und mit Rücksicht auf die Gnaden, die der Empfang des
wahren Leibes und Blutes Christi verschafft (s. erste Ebene)"
(433f).

Diese Arbeit darf künftig nicht übersehen werden, will
man sich mit der Entwicklung der Abendmahlslehre beschäftigen
. Ein nicht gerade selten beackertes Stück der
Dogmengeschichte hat Vf. gründlich untersucht und dabei
wesentliche Gesichtspunkte neu zur Geltung gebracht. Es
wäre nur zu wünschen gewesen, der Vf. hätte sich kürzer
fassen können (aber nicht auf Kosten der ausgezeichneten
Register). Das wäre durchaus möglich gewesen. Daß der Vf.
auch auf die ökumenischen Auswirkungen zu sprechen
kommt, zeigt, daß er mit seiner Arbeit auch für das gegenwärtige
Gespräch zwischen den Konfessionen eine Hilfe
geben wollte. Dafür sollte man ihm dankbar sein.

Schlettau Erzgeb. Karl-Hermann Kandier

Buske, Thomas: Existenz als Accommendatio des Seins. Der
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