Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1972

Spalte:

851-853

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Barnes, Timothy D.

Titel/Untertitel:

Tertullian 1972

Rezensent:

Andresen, Carl

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

851

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 11

852

eine Einführung in dieses Werk geliefert (S. 116-135) und
Marcel Bataillon in „Laus stultitiae" (S. 136-147).

Der theologischen Seite des Lebenswerks des Erasmus
ist der Beitrag von Robert Stupperich gewidmet: „Die theologische
Neuorientierung des Erasmus in der .Ratio seu
Methodus' 1516/18" (S. 148-158). Ebenfalls berücksichtigt
diesen Bereich Raymond Marcel in seinem Beitrag: „Les
dettes d'Erasme envers l'Italie" (S. 159-173). Die Beiträge
von Cornelis Reedijk („Erasmus Final Modesty", S. 174 bis
192), Leon-E. Halkin („Signification du Congres Erasmien",
S. 193-198) und J. C. Ebbinge Wubben („Introduction ä
l'exposition' Erasme et son temps'", S. 199-201) beleuchten
am Schluß des Sammelbandes zusammenfassend sowohl
die verschiedenen Eigenarten der erasmischen Lebensarbeit
als auch die Grundzüge der Arbeit der Erasmusforschung
und -Verehrung. Leon Halkin hat Wesentliches davon zum
Ausdruck gebracht, wenn er sagt: „Erasme, signe de con-
tradiction en son temps, est aujourd'hui un facteur d'unite.
II est notre commun denominateur, notre patron ä tous. La
Solidalitas Erasmiana ne connait ni les frontieres rcligieuses,
ni les frontieres politiques, ni les frontieres linguistiques.
Elle acceille les jeunes comme les moins jeunes, assurant
ainsi la releve de nos etudes. Elle est ä peu pres tout ce qui
nous reste de la Res publica literaria dont revait Erasme"
(S. 197).

Marburg,Lahn Emst-Wilhelm Kohls

Barnes, Timothy David: Tertullian. A Historical and Literary
Study. Oxford: Clarendon Press; London: Oxford Uni-
versity Press 1971. XI, 320 S. 8°. Lw. £ 6.-.

Der Verfasser, seines Zeichens Altphilologe in Toronto,
erhielt (so sein Vorwort) die entscheidenden Anregungen
zu seiner Tertullian-Studie durch einen zehnjährigen Oxfordaufenthalt
. Neben Geoffrey de Ste. Croix, Peter Brown
and Henry Chadwick hebt er als seine Doktorväter Ronald
Syme und Fergus Miliar besonders hervor. Nach einer Einleitung
, die das bisher vorherrschende, recht spektakuläre
„Lebensbild" von Tertullian kurz skizziert (vgl. z. B. Alta-
ner-Stuiber, Patrologie, Freiburg 19667, 148), werden in
einem ersten Hauptteil bestimmte Bauelemente der neu zu
erstellenden Porträtstudie zunächst einer kritischen Überprüfung
unterzogen (3-56). Ihr kann die Tertullian-vita
von Hieronymus (de vir. ill. 53) nicht standhalten (3 -12):
Sie geht im wesentlichen auf das Schrifttum Tertullians selber
zurück. Nur die bekannte Cypriananekdote („Da ma-
gistrum"), die Hieronymus dem greisen Paulus von Con-
cordia verdankt, kann eigenständigen Quellenwert beanspruchen1
. Der Kritik hält auch des Hieronymus' Behauptung
a.a.O. nicht stand, Tertullians Vater sei ein „Centurio
proconsularis" gewesen, was durch eine Leseart des codex
Fuldensis gestützt werde, die im Zusammenhang eines Passus
über das nordafrikanische Ritual des Kindesopfers als
Zeugen Tertullians Vater aufführt: '. ... teste militia patris
nostri, quae ad ipsum manus illi proconsuli funeta est"
(Apol. 9,2). Dieser, z. B. von Carl Becker, Tertullians Apolo-
geticum. Werden und Leistung, München 1954, 211f, vertretenen
Auffassung, die dann in der Textgestaltung des Apol-
logetieum durch E. Dekkers (CCL. 102) ihren gewichtigen
Niederschlag gefunden hat2, hält Barnes entgegen (13-21),
daß sie mit ihrer Behauptung eines Fortbestandes der Menschenopfer
bis Ende 2. Jh. n. Chr. im Widerspruch zu den
historischen Tatsachen und insbesondere zur Feststellung
eines PILnius d. Ä. stünde, das Menschopfer sei aus dem Imperium
Romanum verbannt (Nat. Hist. XXX, 14). Man habe
daher die Lesart „patriae nostrae" der Vulgata zu bejahen,
was zugleich die traditionelle Auffassung, Tertullians Vater
sei Soldat gewesen, fraglich macht. - Der Vf. hat in dem
ersten Teil seiner Arbeit natürlich sich auch mit der umstrittenen
Frage auseinanderzusetzen, ob Tertullian von Karthago
mit einem gleichnamigen Juristen identisch ist, aus dessen
Arbeit in den Digesten und dem Codex Justinianus zitiert
wird (22 - 29). Auch in diesem Punkt kommt Barnes
nach Auseinandersetzung mit den Argumenten des Pro zu
einem Contra. Ohne die Möglichkeit eines Romaufenthaltcs
von Tertullian auszuschließen, vertritt er die Meinung, dat>
das legalistische Verständnis des Christentums durch Tertullian
kein Indiz für seine akademische Bildung In der
Jurisprudenz darstelle, sondern eher ein Symptom für ein
typisch „lateinisches Christentum" der späteren Entwicklung
sei (S. 29)3.

Ein besonderes Verdienst der vorliegenden „Biographie
erblicke ich darin, dafj sie die seit 1908 liegengebliebenen
Fragen einer Chronologie des tertullianischen Schrifttums-
wieder aufgreift (S. 30 - 56). Das wird besonders sorgfältig
in einem vierfachen Überprüfungsgang am Material nach
historischen Anhaltspunkten, nach Rückverweisen auf eigene
Schriften, nach dem theologisch-dogmatischen Gehalt und
endlich unter stilistischen Gesichtspunkten durchgeführt.
Daher wirkt das Ergebnis dieses Untersuchungsganges und
sein chronologischer Schriftenkatalog (S. 55) sehr überzeugend
, wobei ein Vergleich mit den üblichen Datierungen,
z. B. bei Altaner-Stuiber, Patrologie7, 148ff, beweist, daß auf
diese Weise innerhalb des bereits feststehenden, weiteren
Datenrahmens noch manche Präzisierung bzw. Einengung
der Randbreiten möglich geworden ist. Vf. dient dabei sowohl
seiner Sache als auch dem künftigen Forschungsgespräch
, wenn er seine Datenangaben gelegentlich mit einem
Fragezeichen versieht.

Nach einem kurzen Vorspann, der den durch eine kurze
literarische Schaffensperiode (196-212 n. Chr.) gekennzeichneten
Lebenslauf mit ca. 40 Jahren (170-212 n. Chr.) angibt
, beginnt dann der 2. Hauptteil und damit die eigentliche
Aufgabe (S. 60-232). Sie wird nach der Einleitung
(S. 2) darin gesehen, Tertullian „als eine lebendige Gestalt
darzustellen, indem „seine Erfahrungen mit der Gesellschaft
seiner Zeit und seine Reaktion darauf zum neuen Leben auferweckt
werden". Wie schwierig die Verwirklichung dieses
Darstellungszieles ist, zeigen die nachfolgenden Kapitel, die
sich mit der „Christenheit in Afrika" (cap. VII), mit dem
Zusammenleben von Juden, Christen und Heiden in Karthago
(cap. VIII)' und mit der Auseinandersetzung mit Gnosis
und Markion (cap. IX: „Knowledge or Revelation?") befassen
. Auch wenn der Vf. bemüht ist, möglichst viele Tertul-
lianschriften heranzuziehen, bleibt sein Autor doch nur Textbeleg
und Zeuge allgemeiner Tatbestände. Das ändert sich
erst, wenn das Verhältnis zum Montanismus angesprochen
wird (cap. X: „The new Prophecy")'' und damit persönliches
Engagement zur Sprache kommt. Hier gelingt das Vorhaben,
Tertullian zu neuem Leben zu erwecken, weit besser. Am
gelungensten erscheinen in dieser Beziehung noch die beiden
Schlußkapitel zum „heidnischen Bildungsgut" (cap. XIII)
bei Tertullian und dessen rhetorischer Verwertung im Dienste
der christlichen Sache (cap. XIV: „The Christian Sophist")-
So ergibt sich als bleibender Eindruck beim Abschluß der
Lektüre, daß Barnes vielleicht sowohl die objektiven Mög-
lichkeiten als auch seine subjektiven Fähigkeiten im typis^
akademischen „Understatement" unterbewertete, wenn er
sein Tertullianbuch im Untertitel als „a historical and Hte"
rary study" bezeichnete. Sein literarisch-kritischer Wach'
sinn hat für mein Verständnis vielmehr den überzeugenden
Nachweis geliefert, daß der Verzicht auf ein „Lebensbild
Tertullians, der aus der notwendigen Kritik an den spät-
antiken, ihrerseits bereits im Dunklen tastenden Quelle0
resultiert (Hieronymus!), noch nicht völlige Resignation zu
bedeuten hat. Mag für die Erhellung historischer Tatbestände
solche kritische Sicht Tertullian nur einen relativen
Stellenwert als Zeuge unter anderen zusprechen können,
so vermag sie doch gleichzeitig auch von ihm ein „literarisches
Porträt" zu entwerfen, das in seiner Selbstbeschrafl'
kung auch eindringlich wird".