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Ausgabe:

1972

Spalte:

837-839

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klinzing, Georg

Titel/Untertitel:

Die Umdeutung des Kultus in der Qumrangemeinde und im Neuen Testament 1972

Rezensent:

Delling, Gerhard

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837

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 11

83S

«US"). Immerhin könnte auf solche Weise der Eindruck entstehen
, als seien die gegenwärtigen Repräsentanten einer
.Kerygmatheologie" mit den „Enthusiasten" des Matthäusevangeliums
gleichzusetzen oder als seien sie sogar „heimliche
Gnostiker"! Als Korrektiv solchen „modernisierenden"
Tendenzen gegenüber wirkt aber i,m Grunde die eigene Arbeitsweise
des Vf.s: daß er nämlich seine Ergebnisse, und
zwar gerade in Hinsicht auf die Situation heute, stets vom
Text selbst her zu gewinnen versucht. In der Tat: „Wer so
arbeitet", wie dies der Vf. in allen seinen Beiträgen tut,
-nimmt die Menschlichkeit seines Textes ernst, also die Situation
, in der er geschrieben ist, mit ihren besonderen
Chancen und Gefahren, die sprachlichen und kulturellen
Vorgegebenheiten, damit auch die Differenzen und Spannungen
zwischen den verschiedenen Teilen der Sammlung
Neues Testament" (S. 7). Ganz abgesehen von aller Belehrung
im einzelnen, die dem Leser dieses Bandes zuteil wird,
lst dies vielleicht das eindrücklichste: daß in einer Zeit, da
verschiedentlich energische Vorbehalte gegenüber der historisch
-kritischen Arbeit am Neuen Testament geltend gemacht
werden, durch diese „Beiträge zur Theologie des Neuen Testaments
" das theologische Recht und die theologische Not-
Wendigkeit eindringlicher historisch-kritischer Analyse demonstriert
werden. Gerade so nämlich ist die Möglichkeit
Segeben, das Proprium des Evangeliums in der gegenwärti-
9en Situation erneut zur Geltung zu bringen und somit
nicht nur das zu verkünden, „was man, z. B. in einer revolutionären
Welt, im Wesentlichen auch ohne sie (sc.: die Texte
des Neuen Testaments) schon weiß" (S. 7). Nicht zuletzt von
diesem Ergebnis her gesehen, kann man dem vorliegenden
Band nur einen möglichst großen Leserkreis wünschen.

Jena Hans-Friedrich Weiß

Klinzing, Georg: Die Umdeutung des Kultus in der Qumran-
gemeinde und im Neuen Testament. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht (1971). 248 S. gr. 8° = Studien z. Umwelt
des Neuen Testaments, hrsg. von K. G. Kuhn, 7.
DM 40, -.

In einem einleitenden I. Teil (11-49) dieser überarbeiteten
Heidelberger Dissertation (eingereicht 1967)1 wird nach
der Stellung der Qumrangemeinde zum Tempelkult als Voraussetzung
für die Behandlung des speziellen Themas im
Hauptteil (II.) gefragt. Die Kritik an dem im Jerusalemer
Tempel ausgeübten Kult beruht auf dessen derzeitiger Illegitimität
(1. Kap.). Einen eigenen Opferkult hat die Gemeinde
nicht vollzogen (2. Kap.; hier werden auch „Die
Zeugnisse Philos und Josephus" ausgewertet [44-49]).

Die Vorstellungen von der Gemeinde als Tempel (3. Kap.),
die sich innerhalb der Qumrantexte nur in 1QS, CD und
10-pH findet (89), verbindet sich hier nach K. mit dem jü-
discherseits vorgegebenen Gedanken des künftigen (escha-
tologischen) Tempels von Jerusalem. Ihre Entstehung hängt
zugleich mit der Hochschätzung des Jerusalemer Tempels
als des grundsätzlich einzig legitimen Ortes des Kultes -
msbesondere der Sühne - zusammen, der in dem gegenwärtig
verunreinigten Heiligtum nicht gültig vollzogen werden
kann. Die Erwartung, daß der alte Kultus in ihm wiederhergestellt
wird, bleibt durchaus aufrechterhalten-'. Die
nicht zu übersehende Spannung zwischen dieser Erwartung
und dem Verständnis der Gemeinde als des Tempels weist
01- E. auf die Vorläufigkeit dieser Deutung und erschwert
Aren eschatologischen Bezug.

Die Bedeutung des Sühnegedankens wird sodann darin
sichtbar, dafj in Qumran Lobpreis und rechter Wandel als
Sühnopfer verstanden werden (4. Kap.). Diese Aussagen
Reiben im Rahmen kultischen Denkens; „das gesamte Leben
der Gemeinde" wird „in den Kultus einbezogen" (105).
K- nimmt an, dafj aus der Umdeutung des Opfers sich die
Umdeutung des Tempels ergab (106). - Im 5. Kap. wird

gezeigt, daß die Ausweitung des priesterlichen Lebens und
die Anwendung priesterlicher Begriffe auf die Gemeinde
als ganze in bestimmten Grenzen geschieht; auch in der
Gemeinde blieb der besondere Priesterstand in Geltung —
und das wohl nicht nur im Blick auf den künftig erneuerten
Kultus hin -. - Ein den II. Teil abschließendes 6. Kap.
hebt hervor, dafj die Umdeutung des Kultus in der Qumrangemeinde
„in engem Zusammenhang" mit ihrem Geschichtsverständnis
steht (151); „die gegenwärtige Zeit der
Opferlosigkeit" stellt „nur ein Interim in Gottes Geschichtsplan
" dar (150). Abgelehnt wird mit gutem Grund die Anwendung
des Begriffes „Spiritualisierung" auf die Umdeutung
(143 — 147). Zuletzt ergibt ein Vergleich entsprechender
Texte des zeitgenössischen Judentums (157-167),
daß „für sich genommen ... keine der Schriften eine wirkliche
Parallele" zu dem Besprochenen bietet, „sondern im
Höchstfall Einzelaussagen, die denen in den Qumrantexten
ähnlich sind" (156). Tatsächlich hat K. auf Texte der Apokryphen
und Pscudepigraphen zumindest anmerkungsweise
vielfach hingewiesen3; sie zeigen m. E. jedenfalls, wie verbreitet
bestimmte Ausdrucks- und Denkweisen mindestens
in Ansätzen in der Zeit waren.

Die abwägende Untersuchung der Qumrantexte erfolgt
an Hand einer kritischen Analyse der Quellen, die im 3.
Kap. zur Herausarbeitung einer in 1QS eingefügten Tradition
führt. Sie geschieht, in ständiger Auseinandersetzung
mit der modernen Literatur, in einer durchsichtigen Linienführung
.

In dem wesentlich kürzeren III. Teil (167-224) fragt K.
von den an Hand der Qumrantexte gewonnenen Gesichtspunkten
her nach entsprechenden Aussagen im Neuen Testament
. So behandelt er zunächst im 7. Kap. „Die Umdeutung
des Tempels". Sie wurde „als bereits geprägte Vorstellung
aus der Qumrangemeinde übernommen" (168). Als sicheren
Beleg dafür sieht K. 1 Kor 3,16f an (183). 2 Kor 6,16
und sein Kontext könnten ursprünglich einer qumranischen
„Liturgie in Verbindung mit Wasserriten" angehört haben
(179); übrigens hält K. die Einfügung des Stückes durch
Paulus für nicht unmöglich (182). Zu 1 Kor 6,9 muß er dann
schon annehmen, daß Paulus hier die (nota bene) „jüdischchristliche
Tradition" unter dem Einfluß hellenistischer Vorstellungweisen
verändert habe (184). Für Eph 2,19ff ergeben
sich nach K. einerseits auffällige Parallelen zu Qumran —
so das Motiv der eschatologischen Stadt (185f) —, andererseits
nicht wenige Unterschiede gegenüber der Gruppe4 und
bestimmte Entsprechungen zu anderen jüdischen Texten.
Auch für 1 Pt 2,4ff sind die Differenzen nach K. offenbar
nicht unerheblich (191-196). Außer 1 Tim 3,15 (196f) wird
dann noch eine Reihe von Stellen besprochen, die zu dem
behandelten engeren Aussagenbereich nicht sicher Zugehöriges
enthalten (197-210).

„Die Umdeutung des Opfers und des Priestertums" (8.
Kap.) im Neuen Testament kommt bezüglich des ersten nach
K. immerhin in Rom 12,lf dem Denken der Qumrangemeinde
sehr nahe (214); doch weist er auch auf die deutlichen
Unterschiede zu Qumran und auf Berührungen mit
der sonstigen jüdischen Tradition hin (214-216). Hinsichtlich
des Priestertums und weiterer kultischer Vorstellungen
ergibt sich keine größere Nähe zu Qumran (217 — 221). „Die
Begründung der Umdeutung im heilsgeschichtlichen Denken
" (9. Kap.) des Neuen Testaments ergibt auf Grund von
dessen Besonderheit ebenso bestimmte Abgrenzungen. Es
bleibt aber bei der Feststellung gemeinsamer „Denkvoraussetzungen
" in Rom 12,1 (221) und vor allem bei der Herkunft
der „Vorstellung von der Gemeinde als Tempel" aus
Qumran (222).

Sie ist nach K. nicht durch Jesus und auch nicht durch die
Urgemeinde von Jerusalem übernommen worden, sondern
taucht plötzlich bei Paulus und dann auch sonst in Briefen
des Neuen Testaments auf (210-212). Gerade die Interpretation
der herangezogenen Texte von Qumran zeigt indessen