Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1972

Spalte:

747-749

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Janssen, Enno

Titel/Untertitel:

Das Gottesvolk und seine Geschichte 1972

Rezensent:

Delling, Gerhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

747

zwischen göttlicher Erwählung und menschlicher Fragwürdigkeit
auf die Spitze getrieben (S. 74), abzuleitende Folgerung
, daß J. doch wohl mehr Schriftsteller als Sammler war.
Und das ist sicherlich richtig.

Halle/Saale Hans-Jürgen Zobel

Bratcher, Robert G.: A Translator's Note on Psalm 7,4b
(The Bible Translator 23, 1972 S. 241-242).

Dobson, J. H.: Translating Job — Prose or Poetry? (The
Bible Translator 23, 1972 S. 243-244).

Haran, Menahem: La recherche biblique en hebreu (EThR46,
1972 S. 145-159).

Martin-Achard, Robert: La theologie de l'Ancien Testament
apres les travaux de G. v. Rad (EThR 47, 1972, S 219-226).

Moor, Johannes C. de: New Year with Canaanites and Is-
raelites. I: Description. II: The Canaanite Sources. Kampen
: Kok 1972. 31 S. u. 35 S. 8° mm Kamper Cahiers, 21 u.
22. Kart je hfl. 5,50.

Simpson, W. W.: Learning from Other Faiths. III. Encoun-
ter with Judaism (ET 83, 1972 S. 228-231).

JUDAICA

Janssen, Enno: Das Goltesvolk und seine Geschichte. Geschichtsbild
und Selbstverständnis im palästinischen
Schrifttum von Jesus Sirach bis Jehuda ha-Nasi. Neukirchen
-Vluyn: Neukirchener Verlag des Erziehungsvereins
[1971]. 212 S. gr. 8° Lw. DM 36,-.

In der vorliegenden Untersuchung geht es nicht nur — wie
man nach der Einleitung zunächst meinen könnte — um das
Bild des palästinischen Judentums von seiner Geschichte,
gondern zugleich um dessen Auffassung von seiner Stellung
vor Gott bzw. von Gottes Verhältnis zu seinem Volk, wie sie
sich in Geschichte und Gegenwart kundtun, um die Auswirkung
des Geschichtsverständnisses im Verständnis der Gegenwart
und in der Zukunftshoffnung des Judentums1.
Dementsprechend ist weithin auch von dem die Rede, was
jeweils als die Mitte des Judentums, als entscheidende Gabe
Gottes an Israel, erscheint. J. setzt, wie angedeutet, zunächst
bei der Frage nach dem jüdischen Geschichtsbild ein,
entsprechend mit kritischen Bemerkungen zur neuesten Literatur
darüber, insbesondere zu D. Rössler2; wir werden
darauf auch im folgenden den Akzent setzen. Um so mehr
sei von vornherein hervorgehoben, wie förderlich es ist, daß
J. das Verständnis der Geschichte durch das Judentum der
zwei Jahrhunderte je v. und n. Chr. in seinem mannigfachen
Zusammenhang mit den religiösen Auffassungen der betr.
Autoren erhellt und gerade so seine Bedeutung sichtbar
macht. In den gegebenen Grenzen seien wenigstens einige
Ergebnisse J.s angedeutet.

In Sir 44f werden an den Großen der Geschichte Israels
weithin die Züge hervorgehoben, die dem Bild des Autors von
dem Hohenpriester Simon entsprechen. Der Rückgriff auf
die Geschichte zielt ab auf die Gegenwart, er dient deren Interpretation
. Das Bild des 1. Makk von der jüngsten Vergangenheit
ist darauf ausgerichtet, die Gegenwart als durch
Gott heraufgeführte Heilszeit zu kennzeichnen.

Die Aussagen der Apokalypsen werden nicht für die einzelnen
Schriften getrennt vorgeführt, sondern themalisch
geordnet: „Die Herrschaft der Weltreiche" (49—03); „Der
Sinn der Erniedrigung Israels" (64—09); „Das ... Bild der alten
Geschichte Israels" (69—81); „Vorherbestimmung und
Freiheit" (81—88); „Das Verhältnis von Offenbarung und
Wirklichkeit" (88—96). Die Zeit der Weltreiche beginnt für
den Apoknlyptiker mit der Zerstörung des ersten Tempels,
dessen Bestand für ihn „Zeichen der intakten Welt" ist,
„die von Gott beherrscht wird" (53). Das Leiden Israels seit

748

587 v. Chr. wird als Sühne oder als notwendiger Durchgang
(68f) bzw. als „Voraussetzung für den Empfang des zukünftigen
Heils" (68) verstanden. Die Zeit vor 587 ist insbesondere
durch das Heilshandeln Gottes gekennzeichnet, durch
die Erwählung Abrahams, die Gabe der Tora, den Tempel,
andererseits durch das Kommen der Sünde in die Welt. Die
Vorherbeslimmung der Zeiten durch Gott und die Freiheit
des Menschen im Gehorsam oder Ungehorsam gegen das Gesetz
widersprechen einander nicht. Die Vision zeigt die Geschichte
in der Schau von oben (91). Ein Exkurs versteht
„Die Apokalyptiker als Schriftgelehrte" (96—100).

Für die assumptio Mosis, die nach J. einer Sondergruppe
des 1. Jh.s n. Chr. angehört, ergibt sich eine Gliederung der
Geschichte Israels in drei Epochen vom Einzug in das heilige
Land an, deren jede durch eine Heilsgestalt bestimmt ist,
Mose, Esra, Taxo. Das Bild der Geschichte Israels nach der
Damaskusschrift ist, abgesehen von der Erzväterzeit (der
„Mitte der Zeit" [110]), völlig negativ bestimmt. Die Geschichte
wird auf die Gegenwart bezogen durch die typolo-
gische Exegese und durch die Deutung der Gegenwart vorn
Alten Testament her.

In Kap. 6 wird nacheinander das Geschichtsvcrsländm'
von sieben Rahbinen zwischen Jochanan ben Sakkai und
Jehuda ha-Nasi auf Grund kritischer Analyse der Tradition
herausgearbeitet. Dabei zeigen sieh nicht nur bestimmt8
Unterschiede gegenüber der Apokalyplik (129 usw.), sondern
auch zum Teil erhebliche Verschiedenheiten zwischen den
Rabbinen3. Ein Geschiclilsverständnis ist jedenfalls auch bei
diesen erkennbar, wenn man ihre Aussagen nicht an einem
modernen Geschichtsbegriff mißt (150). Elieser ben Hy*"
kanos versteht die Mosezeit als die alleinige Epoche der Ucils-
taten und der Offenbarung (141); sie entspricht typologisch
der Endzeit (145). Positiver wertet Jehoschua ben Chananja
die nachmosaische Zeit (147f); auch die cschatologischen
Auffassungen sind andere (1511). Aqiba sieht das Geschehen
der Mosezeit und der für ihn unmittelbar bevorstehende11
Endzeit wieder in einer typologischen Relation. Von Gottes
richtendem und rettendem Handeln in der Vergangenheit
her interpretiert er die Gegenwart. Bei R. Meli- spielt die
apokalyptische Lehre von den vier Weltreichen eine Rolle-
Bei Schimon bar Jochai wird u. a. eine Entsprechung von
Geschichtsbild und — übrigens rein irdischer — Zukuii"s"
erwartung sichtbar: Israel wird durch Umkehr errettet. Je'
huda ha-Nasi sieht in der Geschichte insbesondere das Walten
des immanenten Gerichtes Gottes.

Abschließend weist J. ausdrücklich noch einmal auf die
Variationsbreite der palästina-jüdischen Aussagen zu seinem
Thema hin. Aus der Vielfall hebt er immerhin drei Grundtypen
des Selbstverständnisses des jüdischen Volkes heraus,
die zunächst in Sir, 1. Makk und den Apokalypsen sichtbar
werden.

Das Material, aus dem Darstellung und Urteil J.s erwachsen
, wird umfänglich dargeboten; das gilt auch für die
Aussagen der behandelten Autoren zu den Ereignissen der
Geschichte Israels, die nach deren Ablauf vorgeführt werden.

Daß J. mehrere Schriften der von ihm berücksichtigt011
Zeit ausschaltet, begründet er ausdrücklich (14 Anm. H)>
insbesondere aus Ps.-Philo, üb ant bibl wäre freilicli nicht
wenig für das Thema zu gewinnen, manches auch aus Jub
(die Schrift wird zu Einzelheiten herangezogen'1). Das läßt
sich indessen gelegentlich nachholen.

Tatsächlich hat J. in seiner in sich gerundeten Arbeit wesentliche
Typen palästinischer Geschichtsbetrachtung ef
hoben und vergleichend vorgeführt. Er selbst fragt zuletzt
nach ihren Beziehungen zum Alten Testament (200); der
Neutestamentier wird angeregt, den Relationen zum Neuen
nachzugehen.

Halle/Saale Gerhard Delling

1 Vom Obertitel her gesagt: Wie versteht sieh das paläslinisehe Juden
tum von Gottes Handeln in seiner Geschichte her als Gottes Volk
Formal stehen Ober- und Untertitel in ehiaslischcr Relation zueinaudeJ

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 10