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Ausgabe:

1972

Spalte:

715-718

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Rössler, Andreas A.

Titel/Untertitel:

Die Predigttheorie Paul Tillichs 1972

Rezensent:

Rössler, Andreas

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 9

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chen kriegerischen Anlässen entfaltet werden, die im Zusammenklang
mit den bekannteren Veröffentlichungen in
den größeren politischen Schriften auf eine eindeutige Anwendung
der Zwei-Reiche-Lehre in den Stellungnahmen zum
Krieg hinweisen.

In den Kriegsfällen, die von schwärmerischen und sakra-
mentiererischen Gruppen oder von den unter dem Einfluß
des Papsttums stehenden weltlichen und geistlichen Gewalten
verursacht worden waren, kommt es Luther zunächst darauf
an, durch scharfe Trennung der beiden Reiche die Unvereinbarkeit
ihres gewaltsamen Vorgehens mit dem Evangelium
herauszustellen und einem Mißbrauch des Evangeliums für
politische Zwecke zu wehren. Wiederum versucht er, dem
Evangelium, das den Christen zur Feindesliebe, zum Versöhnen
und Vergeben anleitet, Eingang in die politische
Welt zu verschaffen. Die evangelischen Fürsten warnt Luther
, das Evangelium — unbeabsichtigt oder wissentlich —
in den Dienst machtpolitischer Interessen zu stellen. Weltliche
Obrigkeit und ihr Schwertamt empfangen wohl in den
Territorien, die die Reformation angenommen haben, eine
fast unerschütterliche Position, werden aber von dem Anspruch
des Evangeliums begrenzt, und die Person des Amtsträgers
wird im Gewissen zu einem christlichen Handeln in
der politischen Welt ermutigt. Damit ist die Frage nach dem
Widerstandsrecht einer untergeordneten Obrigkeit (Territorialfürsten
) gegenüber einer höhergestellten Obrigkeit
(Kaiser, Reichsregiment) gestellt. Unter bestimmten Ausnahmezuständen
— wenn der Kaiser etwa die Einführung
des reformatorischen Evangeliums verhindern will — wird
untergeordneter Obrigkeit das Widerstandsrecht zugebilligt,
und in ganz extremen Fällen wird jeder einzelne Untertan
zum Widerstand gar verpflichtet.

Es wird die Frage nach dem „gerechten Krieg" berührt,
wenn Luther etwa in den Packschen Händeln dem Landgrafen
Philipp von Hessen abrät, einen Präventivkrieg zu
beginnen. Luthers Antwort auf die Frage, ob Krieg oder
nicht Krieg, lautet: 1. Krieg ist zwar nicht generell von
Gott verboten, aber ein Ausschöpfen aller Möglichkeiten,
den Frieden zu erhalten oder wiederherzustellen, gefordert.
2. Krieg unter Gleichgestellten ist nur als Verteidigungskrieg
aus Notwehr möglich, wobei die kriegerischen Absichten
des Gegners offen zu Tage liegen müssen.

Durch die Arbeit und ihre weiteren Ergebnisse werden
Luthers seelsorgerliche Ratschläge an Christen in der politischen
Welt als echter Friedensdienst erkannt. Das Lutherbild
auf dem Gebiet der politischen Ethik wird richtiggestellt
und die genannten modernen Korrekturen an der
Zwei-Reiche-Lehre müssen sich fragen lassen, ob sie berechtigt
sind.

Trotz der immer wieder in Stellungnahmen zu beobachtenden
scharfen Trennung der beiden Reiche sind nach Luthers
Lehre Weltreich und Gottesreich auf doppelte Weise
miteinander verklammert: einmal durch Gott, der durch
beide Reiche bzw. Regimente die Welt erhält, zum andern
in einem Christenleben, das durch die Buße gegangen ist
und in dem Christperson und Weltperson nicht beziehungslos
nebeneinander bestehen können.

Rössler, Andreas A.: Die Predigttheorie Paul Tillichs. Diss.

Tübingen 1971. 163 S. Text, 131 S. Anmerkungen.

Diese Untersuchung verfolgt eine doppelte Absicht: sie
will die homiletische Theorie Tillichs ermitteln, und im Zusammenhang
damit die systematischen Grundstrukturen
von Tillichs Denken neu erarbeiten.

Teil A — Einleitung. Tillichs Predigtverständnis ist aus
seinen Predigten, aber auch aus seinem gesamten übrigen
Schrifttum zu erschließen (1. Die Fragestellung). Tillich war
ein Gelegenheitsprediger mit starker Wirkung (2. Tillichs
eigene Predigtpraxis).

Teil B — Form der Predigt: Religiöse Rede. Mit der Form
der Predigt ist zugleich ihr Ort im Leben von Kirche und
Religion zu bestimmen. Als religiöse Rede (3. Die Formaldefinition
„Religiöse Rede") bedarf die Predigt einer rhetorischen
Struktur, ist sie Anrede an eine Gruppe von Menschen
und eine Weise der Verkündigung, d. h. der existenzbezogenen
, vergegenwärtigenden Kommunikation des Glaubens
. Praktische Theologie untersucht die Kommunikation
des Glaubens. Als religiöse Rede ist die Predigt nicht nur
Rede über Religion, sondern vor allem Rede aus religiöser
Erfahrung bzw. Ergriffenheit und auf neue religiöse Erfahrung
zu. Ihre Ebene ist die der Religion im weiteren Sintt
d. h. die Ebene des Unbedingten. Gemäß dem Rcligions'
Verständnis Tillichs ist die Predigt im Rahmen des „rc!igi°"
sen Universalismus" zu sehen (4. Der „religiöse Universalismus
" der Predigt), d. h. der Überzeugung, daß es auch
außerhalb des christlichen Glaubens Offenbarung des Gesetzes
und des Evangeliums geben kann. Dieser religiöse Uni-
versalismus führt zur Konzeption einer „latenten Predigt ,
welche die Zuhörer nicht zur christlichen Religion bekehren
will, sondern sie zum neuen Sein ruft, in welchen Formen
und Traditionen auch immer es sich findet und das in Jesus
sein Kriterium, aber nicht seinen einzigen Ort hat. Die Unterscheidung
von Gemeindepredigt und Missionspredigt entfällt
zugunsten des durchgängig apologetischen Charakters
der Predigt (5. Der apologetische Charakter der Predigt)1
Die Predigt formuliert die Botschaft als Antwort auf die
Existenzfrage des Hörers, indem zuerst die Situation des Fragenden
aufgedeckt und an die gemeinsame religiöse Basis
von Fragendem und Gefragtem angeknüpft wird. Dementsprechend
ist die Predigt im allgemeinen aufgebaut (6. Die
Gliederung der Predigt). Das Spezifikum der Predigt gegenüber
der Theologie (7. Predigt und Theologie) liegt darin,
daß die Predigt eine Lebensäußerung der Religion ist und
die Botschaft bezeugt, während die Theologie über die Religion
reflektiert und die Botschaft analysiert. Beide stehen
aber auf dem Boden des „theologischen Zirkels".

Teil C — Aufgabe der Predigt: Interpretation der Situation
im Licht der Botschaft. Die Aufgabenstellung der Predigt ist
aus ihren verschiedenen Bauelementen zu gewinnen. Zunächst
sucht die Predigt die Situation als solche zu verstehen
(8. Die Analyse der Situation). Ausschlaggebend ist die religiöse
Vertiefung der Situation (9. Die Vertiefung der Situation
— universales Transzendenzbewußtsein). Die Gewißheit
des Unbedingten präjudiziert noch nicht den Inhalt der
Botschaft, macht sie aber erst sinnvoll und verstehbar. Die
Kategorie des universalen Transzendenzbewußtseins bewährt
sich angesichts von Phänomenen wie Zweifel, Verzweiflung
, Gleichgültigkeit, Atheismus und Säkularismus. Die
Botschaft (10. Die Botschaft — Behauptung und Begründung)
ist zu bedenken unter der Voraussetzung der Priorität des
Seins vor dem Reden und hinsichtlich der Korrespondenz
von Botschaft und Erfahrung. Zentraler Inhalt der Botschaft
ist das neue Sein in Jesus als dem Christus. Die lutherische
Dialektik von Gesetz und Evangelium begegnet in der Korrelation
von Situation und Botschaft, aber auch als Dialektik
innerhalb der Botschaft selbst sowie spurenweise in der Situation
. Die typisch „moderne" Predigt verkündigt die Botschaft
von der „Rechtfertigung des Zweiflers". Die Botschaft
kann nicht bewiesen werden, entgegen den Intentionen jeder
„totalen natürlichen Theologie". Sie bleibt eine Behauptung,
die aber in verschiedener Weise begründet werden kann:
etwa wird in der „apriorischen natürlichen Theologie" die
Unumgänglichkeit ihrer Thematik und in der „aposteriorischen
natürlichen Theologie" ihre Vereinbarkeit mit der allgemeinen
Erfahrung aufgewiesen. Verdeutlicht wird die Botschaft
in ihrer Abgrenzung gegenüber Dämonisierung und
Profanisierung als den zwei Spielarten der Idolatrie (H-
Die Kritik der Situation — Polemik). Die Verwirklichung
des in der Botschaft kommunizierten Glaubens im Erkennen
und Handeln (12. Die Anwendung der Botschaft — Paränese)