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Ausgabe:

1972

Spalte:

706-707

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stollberg, Dietrich

Titel/Untertitel:

Seelsorge durch die Gruppe 1972

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 9

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Panz zwischen „Auftrag" und „Alltagsfunktionen" zu über- Stollberg, Dietrich: Seelsorge durch die Gruppe. Praktische

winden. Sie geht „statt vom Anspruch der Institution eher Einführung in die gruppendynamisch-therapeutische Ar-

v°m Vollzug und von der Erfüllung der Funktionen aus", beitsweise. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht [1971].

sie fragt z. B. nach den spezifischen Funktionsbereichen 217 S. gr. 8°. Kart. DM 19,80.

er Kirche im Erwartungshorizont der Bevölkerung (Dar- Nach jahrzehntelanger soziologischer und psychologischer

e lung und Vermittlung grundlegender Werte; helfende, Erforschung der Gruppe und erfolgreicher Anwendung der

a^s°nders emotionale Begleitung in Krisensituationen und Gruppentherapie war eine Monographie über die seelsor-

n Knotenpunkten des Lebens). gerliche Bedeutung der Gruppe mit Spannung zu erwarten.

Eine kritische Darstellung verschiedener Konzeptionen Schon der Untertitel weist allerdings darauf hin, daß hier

von Kirchenreform in der BRD zeigt, dar) diese „zum über- noch nicht das Lehrbuch für die kirchliche Gruppenarbeit

■egenden Teil nicht unmittelbar auf die Praxis anwend- vorgelegt werden soll; auch um eine für jedermann ge-

ar s'nd" („Reform und Realität", 157—175). Die immer neu dachte Anleitung zum pastoralen Dienst in der Gruppe hansuggerierten
Konzeptionen können die Diskrepanz zwischen delt es sich nicht. Es geht nicht um funktionale, sondern um

Ucn und Sein ins Unerträgliche steigern. „Das Defizit der die ausdrücklich intentionale Gruppenseelsorge.

gegenwärtigen Reformbestrebungen ... scheint zum guten Der Vf. ist als psychoanalytisch ausgebildeter Theologe

eil in der Vernachlässigung der Bedingungen von religio- bereits durch andere bedeutsame Veröffentlichungen auf

Sen Einstellungen, nämlich der anthropologischen Konstan- dem Gebiet der Poimenik hervorgetreten (u. a. Therapeuti-

n eines Strebens nach Kontinuität, Spannungsausgleich sehe Seelsorge, 1969, Seelsorge praktisch, 1970) und hat

" Stabilisierung zu liegen" (174). Veränderungsbestre- sich um die Vermittlung von Erfahrungen aus der amerika-

ungen erfordern den mühsamen Weg organisierter Lern- nischen Seelsorgebewegung verdient gemacht. Er will in
Verarbeitungsprozesse. diesem Buch „die Möglichkeit einer heute praktikablen
Diesem Weg wendet sich der Beitrag über „Humanität kirchlichen Seelsorge durch die Gruppe für diejenigen" dar-
Und Lernprozeß" zu (176—189), der apologetisch zeigen stellen, „die auf dem Hintergrund eigener Gruppen-Selbst-
m°chte, dafj die potentiell inhumanen theologischen Nor- erfahrung als Seelsorger wie als Pastoranden in ein kritischen
und Vorstellungen nicht genug christlich und deshalb didaktisches Gespräch mit dem Autor eintreten möchten"
Zu revidieren sind. Die dazu erforderlichen Lernprozesse (19). Damit wäre der Leserkreis von vornherein sehr eingeben
sich am besten durch Kleingruppenarbeit in Gang schränkt, denn bisher haben nur wenige Theologen grup-
setzen, die nicht nur die kognitiven, sondern auch die emo- penpsychologische Selbsterfahrung. Aber wenn Vf. in sei-
'onalen Faktoren zu bewältigen vermag. Apologetisch nem Vorwort als Ziel der didaktischen Gruppenarbeit, die
Rentiert sind auch die „Erwägungen zur Zukunft der Reli- er seit 1966 in Erlangen mit Theologiestudenten betrieben
9'°n" (190—201), die nach sinnvollen Möglichkeiten einer hat, anführt: „die Schulung des Einfühlungsvermögens
"nktionalen Deutung und Praxis von Religion heute fragen. für die seelsorgerliche Praxis", dann kann dies auch der

Der 3. Teil behandelt „Probleme einer aufgabenorientier- Gewinn sein, den jeder Leser — über den allgemeinen In-

en Praxis". Ausgehend von den persönlichen und arbeits- formationszuwachs hinaus — von der Lektüre haben wird.

°r9anisatorischen Schwierigkeiten pfarramtlicher Praxis er- In den „Prolegomena" schildert Vf. zunächst kirchliche

autert Dahm zunächst thesenartig Notwendigkeit und Chan- Gruppensituationen und informiert kurz über einige Grund-

ue" der Kooperation im Pfarrerberuf (205—217). Prägnant begriffe der Gruppendynamik sowie über Ausbildungsmög-

methcdisch klar zeigt der Vf., dafj kommunikations- lichkeiten (CPT, Sensitivity-Training, Balint-Gruppen etc.).

issenschaftliche Erkenntnisse für den Dienst der Pfarrer Der 2. Teil „Praxis" nimmt mehr als die Hälfte des Buches

' reich sind. Ein Beleg dafür ist auch der Aufsatz über ein und behandelt ausführlich — manchmal sogar etwas

" oren und Verstehen" (218—244), der die Bedingungen des weitschweifig und mit vermeidbaren Wiederholungen — die

orens in kommunikationssoziologischer Sicht darstellt. Be- Methoden der therapeutischen Gruppenarbeit. Vf. stützt sich

°nders interessant ist die Analyse der Stationen der Wahr- dabei vornehmlich auf Battegay (Der Mensch in der Gruppe,

enmung und Verarbeitung, die einerseits ein System redu- 3 Bde., 1967ff); auch Brocher, Heigl-Evers, Rogers, Know-

.'erender Filterung, andererseits eine Kettenreaktion von les u. a. werden häufig zitiert (für den Leser aus der DDR

(JSOziationen ergeben. Die Mechanismen der Perzeption wäre hier auf K. Hock, Hrsg., Gruppenpsychotherapie in

j^er Selektion werden erläutert, wozu umfangreiche Hörer- Klinik und Praxis, Jena 1967, hinzuweisen). Man erfährt

s«ragungen aufschlußreiches Material bereitstellten, des- über die Vorbereitung, das Auswahlgespräch, die Zusam-

" Publikation durch O. Schreuder erfolgen soll. (Dem mensetzung der Gruppen (bes. wichtig die Kontraindikatio-

allenser Rezensenten sei es erlaubt, hier auf die ähnlichen nen, 45ff), die Dauer der Sitzungen, die immer auch notwen-

°e'ten von E. Lerle und E. Altmann in Halle hinzuweisen.) digen Einzelaussprachen usw., alles Wesentliche. Danach

Kommunikationsprobleme bestimmen auch die Thesen werden (57ff) die eigentlichen gruppendynamischen Pro-
Ur -Kleingruppenarbeit in der Gemeinde" (245—263). Be- zesse beschrieben (Kommunikation, Identifikation, Konfrontieren
Wert legt Dahm auf das Feedback als methodi- tation etc.), wobei Vf. aus seiner Orientierung an der Psy-

nes Mittel, emotionale Vorgänge und kognitive Strukturen choanalyse nach Freud keinen Hehl macht.

s Gesprächs einsichtig zu machen und aufzuarbeiten. Die Auch das einzelne unterscheidet sich methodisch nicht von

•seelsorgerliche Kommunikation" als eine zunehmend be- der Gruppentherapie und soll es wohl auch nicht. Proble-

St tsame Aufgabe des Pfarrers ist Gegenstand des näch- matisch wird diese Identität etwa im Blick auf die Rolle

en Beitrags (264-277), der im Anschluß an die non-direc- des Gruppenleiters, die eingehend erörtert wird (91-110,

J,6 "Methode Kommunikationshindernisse im Seelsorger- aber auch vielfach sonst). Denn die Frage erhebt sich, ob ein

"-nen Gespräch bedenkt Pfarrer — selbst wenn er psychotherapeutisch qualifiziert

ühnin fUerst in "K"nst und Kirche" veröffentlichter Aufsatz ist ~ die erforderliche Distanz zu seinen Gemeindegliedern

dl .^Alicnes Bauen im Wandel kirchlicher Aufgaben", überhaupt aufbringen kann (und darf) <He beim Therapeu-

ieUS1Ch "at«rgemä6 auf die Verhältnisse in der BRD be- ten fur eme erfolgreiche Funktion in der Gruppe vorausge-

TeH f l "661 den 3- HauPtteil ab (278-287). Der kurze 4. seJzt we'den mu& ^f^K J ^ der,relativ

eJ faßt die Ergebnisse des anregenden, sachlichen und gut phc™J »T'f f ( }' u* Z ,k"ne Slatte Lösun3

barcn Buches in knappen Thesen zusammen welS (da§ Psychotherapie auch ohne Geld auf die Mitarbeit

Holl»'Sooio der Kenten rechnen kann, wird hierzulande täglich bewie-

Eberhord Winkler sen|) yQt ajjem jedoch scheint uns dje immer wieder be_

tonte Forderung, daß der Seelsorger als Leiter sich niemals
ganz in die Gruppe integrieren und gar nicht mitagieren