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1972

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 9

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dung, anstatt zu einem Werkzeug ihrer Bewältigung geworden
" (S. 211). F. Haarsma schreibt: „Vor allem das Vater
-Sohn-Verhältnis, das von manchen Konzilsdokumenten
auf die Beziehung Bischof-Priester angewandt wird, scheint
theologisch übertrieben und psychologisch unpassend zu
sein" (S. 242). J. O. Zöller kritisiert, daß nach Nummer 6 des
Priesterdekrets die Priester „im Namen des Bischofs" die
Gemeinde versammeln und zu Gott führen; richtig wäre
„im Namen Christi" (S. 249). — W. Kasper hat Verständnis
für Luthers Eheauffassung; sie sei „keine Abwertung, sondern
geradezu eine Entdeckung und Befreiung der Ehe vom
Schöpfungsglauben her" (S. 327). Er fordert „ein höheres
Mafj von innerkirchlicher Toleranz gegenüber der konkreten
Gewissensentscheidung des einzelnen" (S. 329). — Bemerkenswert
sind die Aufsätze von Skydsgaard, Nissiotis und
Macquarrie über: „Was trennt uns noch von der römischkatholischen
Kirche?" aus protestantischer, orthodoxer und
anglikanischer Sicht (S. 410—436). — Erstmalig erscheint
1971 das allgemein gewünschte Personen- und Sachregister,
ferner als Beilage ein Register für das Theol. Jahrbuch 1970.
In den folgenden Jahren sollen die Register der vorausgegangenen
Bände kommen.

Halle/Saale Erdmann Schott

Dressel, Heinz: Die Evangelische Kirche angesichts der brasilianischen
Herausforderung (Die evang. Diaspora 42,
1972 S. 122-140).

Jaspert, Bernd: Regula Magistri. Regula Benedicti. Bibliographie
ihrer Erforschung 1938—1970. S. A. aus Studia
Monastica, XIII (1971). S. 129-171. Montserrat: Publi-
cacions de l'Abadia de Montserrat 1971. gr. 8".

Marin, Manuel Gutierrez: Der spanische Protestantismus
(Die evang. Diaspora 42, 1972 S. 158—168).

Müller, Reinhart: „Brasilien" als Lernprozeß (Die evang.
Diaspora 42, 1972 S. 7-32).

Spuler, Bertold: Die orthodoxen Kirchen LXV (IKZ 62, 1972
S. 1-28).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Asendorf, Ulrich: Die europäische Krise und das Amt der
Kirche. Voraussetzungen der Theologie von A. F. C. Vil-
mar. Berldn-Hamburg: Lutherisches Verlagshaus 1967.
163 S. gr. 8° = Arbeiten zur Geschichte u. Theologie des
Luthertums, 18. Kart. DM 22.50.

Unter den sich mehrenden Beiträgen zur Theologicgc-
schichte des 19. Jahrhunderts ragt diese, K. H. Rengstorf
gewidmete Vilmar-Monographie von Ulrich Asendorf beträchtlich
heraus. Mit der sonst üblichen knappen Besprechung
ist es hier nicht getan; ich möchte etwas ausführlicher
werden.

Der churhessische Schulmann, Germanist, Politiker und
Theologieprofessor August Vilmar (1800—1868) ist zu seinen
Lebzeiten und danach immer beachtet worden. Er gehört
nicht zu den großen Unbekannten des 19. Jh.s, deren
heutiger Einfluß im umgekehrten Verhältnis zu ihrer ursprünglichen
Wirkung steht. Asendorf kann der Neigung,
Vilmar in diese Richtung zu stilisieren, nicht immer widerstehen
. Aber auch bei ihm wird deutlich genug, daß Vilmar
stets ein fleißiger und erfolgreicher Publizist gewesen ist
und daß man ihn mehr als einen solchen denn als Systematiker
nehmen muß. Ergebene Freunde und Schüler haben
die Vorlesungen des Meisters ziemlich vollständig herausgegeben
. Viele der Schulreden und Artikel sind nachträglich
in Sammelbänden veröffentlicht worden. Sehr viel
weniger allerdings wurde neu aufgelegt. Aber Vilmariana
sind keine antiquarischen Raritäten. Leider läßt das Quellen
- und Literaturverzeichnis hier einige Lücken offen und

Wünsche unerfüllt1. Freilich blieb Vilmar mit all diesen
Titeln ein größerer Bucherfolg versagt. Einen solchen hatte
er nur mit seiner „Geschichte der deutschen National-Lite-
ratur", die aus Vorlesungen erwachsen und 1845 zuerst veröffentlicht
worden ist. Sie wurde noch in unserem Jahrhundert
neu bearbeitet und nachgedruckt. Asendorf zitiert
die 12. Auflage von 1868. Soweit ich zitiere, richte ich mich
nach der 9. Auflage von 1862. Die Theologiegeschichte hat
sich mit Vilmar immer emsig befaßt; die fast einzigartige
und höchst wirksame Verknüpfung von Literaturgeschichte
und christlicher, speziell lutherischer Theologie hat man,
soviel ich sehe, mehr oder weniger ignoriert. Asendorf
nennt hier nur Fr. Melzers Buch von 1933,-' das damals
aber wenig Echo gehabt zu haben scheint. So ist es Asendorfs
erstes großes Verdienst, daß er die eminente Bedeutung
der Vilmarschen Verknüpfung von Literaturgeschichte
und Theologie wahrnimmt und einprägt. Gerade weil Vilmar
nicht zu den ,Kulturprotestanten' im herkömmlichen
Sinn gerechnet wird, ist es um so wichtiger, zu sehen, wie
hier Theologie und Literatur, ja Kultur zusammen gesehen
und vertreten wird. Dabei schlägt sofort die Vilmarsche
Grundformel von Wissenschaft und Leben als einem fast
unversöhnlichen Gegensatz durch.

„Die Gelehrsamkeit, die Wissenschaft, die Kritik waren
und sind anderwärts auf diesem Gebiete hinreichend vertreten
, dem Leben war und ist noch immer verhältnismäßig
wenig dargeboten worden. Dem Leben aber hat diese
Geschichte der deutschen Literatur dienen wollen, dem
ganzen und vollen Leben meines Volkes, in der Kraft seiner
Thaten, wie in der Macht seiner Lieder, in dem Stolze
seiner angebornen Weltherrschaft, wie in der selbstverschuldeten
Demütigung unter Fremde, in dem lachenden
Glänze seiner Fröhlichkeit wie in dem tiefen Ernst seiner
christlichen Frömmigkeit. Daß für dieses ganze und volle
Leben unseres Volkes, für das Erleben, nicht bloß für das
Wissen seiner Geschichte noch Sinn und Empfänglichkeit
in reichem Maße verbreitet ist, das hat die freundliche Aufnahme
dieses Buches auch in den letzten schweren Zeiten
bewiesen, in welchen die Mehrzahl sich von der Vergangenheit
und den wahrhaftigen Erlebnissen des deutschen
Volkes gänzlich ab und den nur allzu unbestimmten Gedanken
einer zweifelhaften Zukunft mit Leidenschaft zuzuwenden
schien. Gewiß, unsere Aufgabe ist noch nicht erfüllt
und eine reiche Zukunft liegt noch vor uns; aber der Zeiger
, welcher still und unverrückt auf die Stunde der Zukunft
hinweist, ist kein anderer, als der Sinn für das Leben
der Vergangenheit, der Sinn für die Treue, die Liebe und
die Freude unserer Väter; der Beruf des deutschen Volkes
in der Zukunft wird kein anderer sein als der er seit fast
zwei Jahrtausenden gewesen ist: ein Hüter zu sein unter
den Völkern für Zucht und für Sitte, für Gerechtigkeit und
für Hingebung, für Dichtung und Wissenschaft in ihrer
stillen Innerlichkeit und für den Glauben der christlichen
Kirche in seiner weltüberwindenden Herrlichkeit".

„Der Sinn für das Leben der Vergangenheit" — darin faßt
sich Anliegen und Programmatik Vilmars auf allen Gebieten
seiner Tätigkeit zusammen, in Schule und Kirche, in
Politik und Theologie. „Das Gymnasium hat nicht unsere
dermalige Kultur, sondern nur die Grundlagen, auf welchen
diese Kultur beruhet, darzustellen, zu lehren und einzuprägen
; es hat das zu lehren, was gewesen ist, insofern
dieses dazu dient, aus demselben dereinst die Gegenwart
begreifen zu lernen"'. Soweit sich Vilmars Abkehr
vom skeptisch-liberalen Rationalismus seiner frühen Jahre
zum konfessionellen Luthertum, von der Theologie der
Rhetorik zur Theologie der Tatsachen auf Formeln bringen
läßt, dürfte es sich um die Entdeckung der Realität und
Gewißheit der Geschichte und in ihr der Kirche handeln.
Vilmar hat es selbst so geschildert: „Nun nahete die Jubelfeier
der Augsburgischen Konfession. Jetzt nahm ich diese
und mit ihr die Apologie ernstlich vor und erkannte nun-