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Ausgabe:

1972

Spalte:

675-677

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Écriture et culture philosophique dans la pensée de Grégoire de Nysse 1972

Rezensent:

Treu, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 9

676

Autor eher um die Darlegung des Forschungsstandes als
um neue Thesen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu tun
war. Sich solche gleichsam programmatisch vorzunehmen,
wäre auch ein eitles Unterfangen sowohl im Hinblick auf
die schwierige Problematik des Objektes als auch wegen
der Anzahl der Vorarbeiten, der Vielfalt der Meinungen
und ihrem notwendigerweise oft hypothetisch bleibenden
Charakter.

So wird der Leser zunächst mit der Veroneser Handschrift
bekannt gemacht und mit der Geschichte ihrer Erforschung,
weiter ausführlich mit Inhalt und Aufbau des Sakramentars
und noch besonders mit der Gestalt des Festkalenders. Für
die Datierung wichtig und dem Historiker auch am interessantesten
sind dabei die Anspielungen auf Zeitumstände in
einzelnen Formeln. Aber auf wie schwankendem Boden man
sich dabei bewegt und wie wenig wirklich voll gesicherte Ergebnisse
erzielt werden können, ist jedem Könner bewußt.
Auch Hope kommt, soviel ich sehe, nicht über das bisher Bekannte
hinaus und sieht sich gar in lobenswerter Vorsicht
zu Einschränkungen genötigt. In besonderer Weise untersucht
werden die Preces diurnae mit ihren mehr oder weniger
deutlichen Bezügen auf kirchliche Notlagen und Streitigkeiten
, wobei schon immer an römische Schismen und vor
allem an die symmachianische Epoche gedacht wurde, weiter
die Formeln zum Gedächtnis der Bischofsweihe, die
seit Lietzmann in die Zeit des Papstes Vigilius datiert werden
, endlich Kirchweihformeln und Formeln zum Feste Johannes
des Täufers. Ein nächstes, freilich nicht recht befriedigendes
Kapitel ist dem theologischen Gehalt des Sakramentars
gewidmet und greift die Loci Weihe, Weihnachten,
Himmelfahrt, Pfingsten, Totengedächtnis sowie Peter und
Paul heraus zu einer Analyse, die unter komparativer Heranziehung
auch andere, zum Teil allerdings weit hergeholter
Texte erfolgt. Ein erneuter Vergleich mit Werken Leos
des Großen, nach dem das Sakramentar benannt ist, führt
nur zur Bekräftigung der alten These, daß zwar einzelnes
auf den Papst zurückgehen kann, keinesfalls aber das Sakramentar
in seiner Gesamtheit. Dieses dürfte, wie schon Zwischenergebnisse
angedeutet haben, aufgrund römischer Materialien
außerhalb von Rom zu rein privaten Zwecken wohl
Endes des 6. Jh.s zusammengestellt worden sein.

Wer sich von der Untersuchung mehr erwartet hat, mag
das Buch enttäuscht aus der Hand legen. Für die klare Aufzeichnung
aller Probleme darf man aber durchaus dankbar
sein.

Saarbrücken Harald Zimmermann

Harl, Marguerite [Ed.] i Ecriture et culture philosophique
dans la pensee de Gregoire de Nysse. Actes du colloque
de Chevetogne (22—26 septembre 1969). Leiden: Brill 1971.
XX, 267 S., 1 Taf. gr. 8°. Lw. hfl. 56.-.

Auf dem 5. Internationalen Patristikerkongreß in Oxford
1967 (dessen Akten in Studia Patristica X—XI = TU 107—108
vorliegen) war eines der Master Themes Gregor v. Nyssa
gewidmet. Damals entstand der Plan eines besonderen Treffens
der Gregorforscher. Die Vorbereitung wie auch die
Veröffentlichung der Akten lag in der Hand von Marguerite
Harl vom unlängst etablierten Pariser Forschungszentrum
für den Späthellenismus. Das belgische Benediktinerkloster
Chevetogne, bekannt durch seine ökumenisch bahnbrechende
Zeitschrift „Irenikon", bot den Teilnehmern einen gastlichkongenialen
Rahmen. Unter den 31 Gelehrten aus Frankreich
und den benachbarten Ländern, USA, Canada und
Griechenland überwogen jüngere Nachwuchskräfte. Zehn
Vorträge wurden gehalten, gefolgt von Diskussionen und
ergänzt durch Arbeitsberichte. Die Druckfassungen sind z.
T. überarbeitet. Aus der Diskussion sind offenbar nur die
wichtigsten Äußerungen aufgezeichnet worden. Sie vermitteln
einen Abglanz des lebendigen Austausches, und man

vermißt nur eine abschließende Stellungnahme der Referenten
zu den teilweise recht massiven Einwürfen.

Im Unterschied zu den großen Kongressen, die oft unter
der Disparatheit der Themen leiden, ist bei einem solchen
ausgewählten Kreis eine thematische Geschlossenheit erreichbar
und auch nachdrücklich angestrebt worden. So bezeichnet
der Titel des Bandes wirklich prägnant die beiden
Zentralthemen. Fünf Vorträge gelten dem Verhältnis Gregors
zur Bibel, zwei dem zur Philosophie. Zumindest war
so das Tagungsprogramm überschrieben. Im Druck wird die
Verflechtung beider Aspekte bei Gregor deutlicher, denn die
Überschriften lauten jetzt ,Exegese und Theologie' sowie
.Theologie und Philosophie': es ist durchaus eine einheitliche
Theologie, in welche die biblischen und die philosophischen
Züge eingehen.

Die Mehrzahl der Beiträge geht von bestimmten Werken
Gregors aus. Monique Alexandre (Sorbonne) zeichnet die
Theorie der Exegese in De opificio hominis und In Hexae-
meron, E. Corsini (Turin) benutzt hauptsächlich dieselben
Werke für seine Darstellung des menschlichen und kosmischen
Pleroma, R. L. Wilken (New York) behandelt Liturgie,
Bibel und Theologie in den Osterhomilien, Mariette Canevet
(Brest) stützt sich auf Vita Moysis und Hoheliedkommentar,
M. van Parys (Chevetogne) auf Contra Eunomium (mit guter
Gegenüberstellung der unterschiedlichen Auslegungen
der dogmatischen Schlüsselstellen Joh 20,17, Prov 8,22 und
Mt 28,19). Ebenfalls aus Contra Eunomium erhebt E. Mühlenberg
(Claremont) Gregors philosophische Bildung. Breiteres
Material benutzt R. Hübner (Bonn), um Gregors Verhältnis
zu Märkell v. Ankyra darzustellen.

Es ist bezeichnend, daß die philosophischen Aspekte gerade
in der Auseinandersetzung mit den Antinizänern hervortreten
, und Mühlenberg unterstreicht denn auch, daß
Gregor gegenüber Eunomius auf biblische Argumentation
ganz verzichte und ihn von seinen eigenen philosophischen
Positionen aus zu schlagen suche. Wie so oft gibt es bei klaren
Thesen die meisten Einwände. R. Staats (Heidelberg)
fragt, ob die aus einer Schrift gewonnene These auch allgemein
passe (eine Frage, die dem Leser analog auch bei anderen
Beiträgen kommt) und resümiert (S. 247): Gregor
»war als ein typischer orthodoxer Theologe der alten Kirche
ein Eklektiker im guten Sinne. Er wollte sicherlich kein Theologe
mit einer eigenen originellen Konzeption sein, wie es
Brauch unter neuzeitlichen Theologen ist".

Schon Hübner führte über die spezielle Thematik etwas
hinaus. Ebenso vermitteln die drei einleitenden Beiträge des
Bandes größere Überblicke. J. Danielou (Paris), dessen Buch
von 1944 über „Platonisme et theologie mystique" in Frankreich
die Aufmerksamkeit auf Gregors Spiritualität lenkte,
gibt einen Literatur- und Forschungsbericht. Hadwig Hörner
(Frankfurt/M.) unterrichtet über Genese und Stand der
großen Gregor-Edition, in einer methodisch gelungenen Art,
durch die die beteiligten Forscher ebenso vor Augen treten
wie ihre Probleme und Stellungnahmen: Ulrich von Wilam°-
witz^Moellendorff, der den 23jährigen Werner Jaegcr für
eine lebenslange Aufgabe gewann, Jaeger selbst und sein
Nachfolger Langerbeck, von dessen Persönlichkeit sich seine
Schülerin beeindruckt zeigt. Hoffen wir, daß es ihr und H.
Dörrie gelingt, den auf S. XVIIf vorgeführten Gesamtplan
der ,Gregorii Nysseni Opera' bald zu vollenden!1

G. May (München) stellt zusammen, was über die Chronologie
von Leben und Werk Gregors zu wissen oder vermuten
ist. Es muß den modernen Forscher zur Bescheidenheit
mahnen, wenn er bedenkt, daß wir vom Denken und
Fühlen antiker Persönlichkeiten oft ein ganz lebendiges
Bild haben, aber ihre Lebensdaten nicht kennen, ja oft kaum
auf das Jahrzehnt festzulegen vermögen. Daß wir von Basilius
den Todestag wissen, ist eher Ausnahme als Regel. Das
Interesse für Todesdaten, zumindest der Heiligen, verdanken
wir der wachsenden Heiligenverehrung. Bin Beispiel
dafür gibt P. Maraval (Rom—Paris), wenn er in der Diskus-