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Ausgabe:

1972

Spalte:

656

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Die Palästina-Literatur 1972

Rezensent:

Elliger, Karl

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 9

656

keit, die an der Gerechtigkeit Gottes zweifelt. Die Folge:
man versteift sich in einem .historischen Pragmatismus',
dessen klassisches Beispiel Jer 44,16—19 bietet (31).

Es wäre allerdings falsch, alles nur schwarz-weiß sehen
zu wollen. Der Standpunkt des Volkes ist gewiß als Ganzes
abzulehnen, aber in Einzelheiten enthält er auch richtige
Momente. So mußte es unter äußeren Einflüssen dazu kommen
, daß die kollektive Verantwortung einer individuellen
weichen mußte. Da hätte der Vf. gute Gelegenheit gehabt,
theologisch selbständiger vorzugehen. Es stimmt nicht, daß
das Hiobproblem geschlossen von der vox populi abzuleiten
ist. Hiob spricht nicht dieselbe Sprache (gegen den Vf.,
37) I1

III. Wen Gott berufen hat, der konnte nicht anders, als
Prophet werden. Das schützte jedoch niemanden vor eventuellen
Verfehlungen, wie es besonders anschaulich die berühmte
Szene mit dem Gottesmann aus Judäa schildert
(1 Kön 13; 39ff). Der Vf. gibt ausführlich die Exegese dieser
Perikope durch Karl Barth (Kirchliche Dogmatik II.2,
vgl. Biblische Studien 10) wieder. Dieser große Theologe
zeigt auf dem Hintergrund des Gesprächs zwischen dem erwähnten
Gottesmann und dem alten Propheten aus Bethel
den Unterschied zwischen einem Propheten Jahwes und
einem Berufspropheten, und weiter noch zwischen dem
sündigenden Jerusalem und dem verführerischen Samaria,
die beide demselben Gott angehören und demnach im gegenseitigen
Gespräch bleiben müssen.

Die Szene ist bezeichnend dafür, daß es keinen deutlichen
und festen Unterschied zwischen wahren Propheten und
Lügenpropheten gegeben hat (49ff). Weder Erfüllung noch
Nichterfüllung, weder Heils- noch Unheilsverkündigung,
weder das moralische Profil des Propheten (vgl. die Eheschließung
Hoseas mit einer Dirne) noch sonst ein anderes
Kriterium können in Anspruch genommen werden. Ja, selbst
ein Prophet konnte über einen anderen kein sicheres Urteil
fällen.

IV. Die Unvermeidlichkeit falscher Prophetie liegt in der
menschlichen Sünde verankert, wie bei den Propheten, so
bei ihren Zeitgenossen. Der Gottesmann aus Judäa hat das
Verbot Gottes übertreten, der heidnische Seher Bileam hat
sich ihm gefügt. Nicht nur Arnos muß Bethel, das königliche
Heiligtum', verlassen, auch die Zeit eines Salomo war
für prophetische Betätigung nicht günstig (69). Manchmal
scheinen die Propheten selbst desorientiert gewesen zu sein.
So ,ging Jeremia seines Weges' (Jer 28,11), bevor eine Offenbarung
Jahwes in bezug auf Hananja an ihn erging (72f).
Um so eher waren die Hörer verwirrt. Wo liegt denn wirklich
die Wahrheit?

Auch die /Lügenpropheten' konnten doch Werkzeuge Gottes
sein, wenn er sein Volk oder den König strafen wollte
(vgl. 1 Kön 22). Jahwe allein schafft Gutes und Böses, in
seinem Dienst steht alles. Die Tätigkeit der Xügenprophe-
ten' läßt sich also nicht nur auf den menschlichen Faktor beschränken
. An einigen Texten wird der Sache exegetisch
nachgegangen (81ff), wobei u. a. auch die Frage aufgeworfen
wird, warum über Micha und Elia unter demselben König
Ahab so verschieden berichtet wird. Handelt es sich nicht
um ein und dieselbe Gestalt (84f)?

V. Die Geschichte des Prophetentums ist kompliziert und
abwechslungsreich. Ihren Höhepunkt erreichte sie bei den
großen vorexilischen Gestalten. Aber selbst von denen kann
nicht behauptet werden, daß sie von ihren Zeitgenossen bejahend
aufgenommen worden wären. Es fehlte nicht an
Märtyrern (95). Erst viel später wurden sie geehrt (vgl. besonders
das Werk des Chronisten), aber die Tradition weiß
sehr gut, daß das Volk zur gegebenen Stunde der Botschaft
den Propheten grundsätzlich ablehnend gegenüberstand.

Die Prophetie hat es nicht geschafft, das Problem der Geschichte
befriedigend zu lösen und somit Herrin der Gegenwart
zu werden (106). Sie mußte das Feld der Weisheit und
der Apokalyptik räumen. Die letztere fand den Ausweg in

der Flucht in die Zukunft. Erst dann wird Gott Großes schaffen
; die Gegenwart steht unter der Gewalt dämonischer
Mächte. Die erstere gewann Boden hauptsächlich seit dem
2. Jh. v. Chr. Sie lud alle, auch Könige, zum Hören ein und
vertrat autoritativ eine konsequente Vergeltungstheologie-
Als Beispiele, wie man sich verschiedenartig bemühte, mit
dem Problem des Bösen fertig zu werden, mögen die Bücher
Hiob und Kohelet dienen (108). Beide Richtungen stehen
jedoch unter gewissen prophetischen Einflüssen.

Abschließend stellt der Vf. fest, daß die Wurzeln des besprochenen
prophetischen Konflikts im eigentlichen Wesen
der Prophetie liegen (HOf). Gott redet den Menschen an und
der Mensch reagiert auf diese Anrede nach seinen Fähigkeiten
. Das heißt, daß er auch falsch reagieren wird, ja er
wird unter Umständen auch reagieren, wo es keinen Anlaß
dazu gegeben hat. Das ist dann falsche Prophetie. Aber der
ganze Fragenkomplex ist nicht nur auf anthropologischer
Ebene zu lösen. Der eigentlich Handelnde bleibt Gott; er
handelt oft gegen den menschlichen Willen und ruft in seinen
Dienst, wen er will. Sein Wort ist in eine konkrete Situation
hinein gerichtet. Das heißt, daß die Verkündigung
je nach der Lage verschieden sein wird, aber immer werden
die Propheten Jahwes nur einen kleinen Umkreis von Hörern
für die auferlegte Botschaft gewinnen. Diese wenige0
werden jedoch ihre Worte bewahren und weitergeben.

Praha. Milos Bic

1 Vgl. M. Bic, Le juste et l'impie dans le livre de Job. Congress
Volume, Supplements to Vetus Testamentum XV, i960, 33-43.

Thomsen, Peter f [Hrsg.]: Die Palästina-Literatur. Eine internationale
Bibliographie in systematischer Ordnung mit
Autoren- und Sachregister. Mit Unterstützung der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin hrsg. VD!
Die Literatur der Jahre 1940—1945. Die Drucklegung überwachten
O. Eißfeldt u. L. Rost. Berlin: Akademie-Verlag"
1969-1972. XI, VII, 783 S. gr. 8".

Nachdem die erste und zweite Lieferung (S. 1—176 bzW-
177-320) bereits 1969 und die dritte (S. 321-496) 1970 erschienen
waren, hat der Jahresanfang 1972 den Freunden
der Palästina-Wissenschaft die Schlußlieferung (S. 497—784)
beschert. Damit liegt nun auch der letzte Band des Lebenswerkes
von Peter Thomsen vor. In seinem Nachlaß — Thomsen
starb am 26. 4. 1954 — fand sich für die Literatur der
Jahre 1940—1945 eine vorbereitende Zettelsammlung, die
außer den im Titel genannten Otto Eißfeldt und Leonhard
Rost die Herren Dr. Dr. Günter Morawe, Herbert Haas und
Dr. Götz Schmitt ergänzten, ordneten und für die Drucklegung
zubereiteten. Das allein fast die Hälfte der letzten
Lieferung ausmachende Register stellte Frau Dr. Mechthild
Kellermann her. Dank all dieser soliden Mitarbeit schließt
sich der vorliegende Band seinen Vorgängern würdig a_n
und ist nur uneingeschränkt zu empfehlen. Eine beunruhigende
Frage beschleicht den Leser beim Durchblättern dieser
11 506 Titelangaben, die gar nicht selten durch Inhaltsangaben
erweitert sind: wird das nun wirklich der letzte Band
sein oder darf man auf eine Fortsetzung hoffen, wenn aucn
vielleicht mit eingeschränktem Programm?

Tübingen Karl Elliger

Aharoni, Y.: Khirbet Raddana and its Inscription (IEJ 21'

1971 S. 130-135).
Amiran, Ruth: The First and Second Walls of Jerusalem

Reconsidered in the Light of the New Wall (IEJ 21, 19?1

5. 166-167).

Avi-Yonah, M.: The Newly-Found Wall of Jerusalem and
Its Topographical Significance (IEJ 21, 1971 S. 168-169)-