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1972

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Systematische Theologie: Ethik

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 8

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zierte und komplexe Materie handelt und daß manche
Unklarheiten zu Lasten der Autoren gehen, deren Schriften
der Vf. untersucht hat. So wird man z. B. schwerlich
davon sprechen können, daß der Vf. das protestantische
Eherecht in dem genannten Zeitraum dargestellt hat. Im
wesentlichen behandelt er vielmehr nur das lutherische
Eherecht in Norddeutschland und in Württemberg;
gelegentlich werden die Pfalz, Nördlingen und andere
Orte erwähnt. Die Arbeiten von W.Köhler über die Anfänge
des Eherechts in Zürich und Genf werden noch nicht
einmal im Literaturverzeichnis genannt. Ebensowenig
wird die eigentümliche Entwicklung in Hessen erwähnt,
die Entwicklung in der Pfalz und in Nürnberg nur gestreift
. Ohne jeden Zweifel war es Luther, von dem die
Anregung zu einer Umgestaltung des überlieferten Ehe-
rechtes ausging; und auf seine Auffassung geht der Vf.
als Jurist in einer Weise ein, die Respekt abnötigt, auch
wenn die von ihm verfochtene These von Luthers Rechtsdualismus
schwerlich zutreffen dürfte. Im ganzen wird
man sagen müssen, daß die Entwicklung des gesamten
protestantischen Eherechtes wesentlich komplizierter
verlaufen ist, als der Vf. sie darstellt. Es scheint mir auch
nicht genügend zum Ausdruck zu kommen, daß auf
katholischer wie auf protestantischer Seite deswegen eine
ähnliche Entwicklung stattgefunden hat, weil die Rechtsauffassung
von der Ehe sich im 16. Jh. in beiden Konfessionen
erst herausbilden mußte. Der politische Einfluß
auf die Gestaltung des Eherechtes setzt von Seiten
der weltlichen Obrigkeit schon vor der Reformation ein,
und zwar in der schon früh zu beobachtenden Auseinandersetzung
der sich bildenden Territorialstaaten mit
den geistlichen Gewalten. Gerade hierbei spielt die Kompetenz
in der Ehegerichtsbarkeit eine bedeutsame Rolle.
Man wird dabei auch berücksichtigen müssen, daß der
Kampf um die Ehegerichtsbarkeit in eine Zeit fällt, in der
in weiten Teilen des deutscheu Reiches eine offensichtlich
große sittliche Verwahrlosung herrschte. Die Landesherren
waren schon frühzeitig bemüht, dem moralischen
Verfall Einhalt zu gebieten, indem sie - zur Ehre Gottes
und im Interesse des „gemeinen nutz" - die Aufsicht über
die Ehesachen und damit die Ehegrichtsbarkeit an sich zu
ziehen versuchten. Wenn gerade in diesem Zusammenhang
schon frühzeitig das Stichwort „Reformation"
fällt, so ist damit eine pädagogische Aufgabe gemeint, der
sich die Landesfürsten im Interesse der Hebung der allgemeinen
Moral unterzogen. (Daß dabei auch handfeste
politische Machtansprüche im Spiel waren, soll nicht geleugnet
werden). Mit dieser Intention, die sich frühzeitig
mit der Verkündigung des reinen Wortes Gottes verbindet
, geht Hand in Hand die Neubildung des Territorialstaates
, der die Predigt des Evangeliums, die Kirchenzucht
, die Ehegerichtsbarkeit und die „Polizei" in
den Dienst seiner Konsolidierung stellt. Damit hängt zusammen
, daß ein gewisser Individualismus, d.h. eine gewisse
Selbständigkeit des einzelnen gegenüber „Staat"
und „Gesellschaft", wie sie sich in den gelegentlichen
Laientrauungen, aber auch in dem Protest der Wiedertäufer
erkennen läßt, im Laufe des 16. Jh.s allenthalben
durch landesherrliche, aber auch durch geistliche Reglementierungen
zurückgedrängt wird.

Die vorliegende Untersuchung hätte nur gewinnen
können, wenn sie die angedeuteten allgemeineren Gesichtspunkte
berücksichtigt und den Versuch unternommen
hätte, ein Fazit zu ziehen, also die Folgerung zu
bedenken, die sich aus der großzügigen, toleranten, durch
die Rücksicht auf die Gewissen diktierten Einstellung
Luthers gegenüber dem Eherecht seiner Zeit für die uns
heute bewegenden Fragen ergeben. Aber auch so handelt
es sich um eine Arbeit, die sich - in dem genannten beschränkten
Rahmen eines lutherischen Eherechts - durch
die Sorgfalt der Untersuchung und durch die Lesbarkeit

der Darstellung auszeichnet. Es wäre zu wünschen, daß m
absehbarer Zeit die folgende Epoche, in der sich das reformatorische
Eherecht noch eindeutiger und folgenreicher
zu einem staatlichen Eherecht entwickelt, dargestellt
würde. Dann würde noch deutlicher, als es sich
aus dieser Dissertation ergibt, welche verhängnisvollen
Konsequenzen es hat, daß man Luthers Grundauffassung
immer mehr preisgibt. Dann könnte aber auch der Säkularisierungsprozeß
auf dem Gebiet des Eherechtes mit
seinen negativen und positiven Voraussetzungen und
Folgerungen noch klarer zutage treten und es würde
deutlich, wie sehr die Entwicklung des Eherechtes sich
nur aus größereu Zusammenhängen erklären läßt.

Marburg Alfred Nteberg»U

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Diese soziologische Untersuchung, deren Autoren auch
Theologie studierten, prüft die kirchliche Organisation,
insbesondere das Gemeindepfarramt, auf ihre Ziel- und
Umweltadäquatheit. Der Untertitel deutet das negative
Ergebnis an: Theorie und Praxis kirchlicher Organisation