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Ausgabe:

1972

Spalte:

627-632

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Dieterich, Hartwig

Titel/Untertitel:

Das protestantische Eherecht in Deutschland bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts 1972

Rezensent:

Niebergall, Alfred

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627

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 8

628

Weidlich, Wolfgang: Zum Begriff Gottes im Felde zwischen

Theologie, Philosophie und Naturwissenschaft (ZThK 68,

1971 S. 381-394).
Weiland, J. Sperna: Over het einde van de religio en het

christelijk geloof. Een antwoord aan Prof. H. Goddijn

(Bijdragen 32, 1971 S.303-308).
Weth, Rudolf: Heil im gekreuzigten Gott (EvTh 31, 1971

S. 227-244).

Zalotay, Joseph: Die Erbsünde (Concilium 7, 1971 S.725-729).

ETHIK

Dietrich, Hartwig: Das protestantische Eherecht in Deutschland
bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. München: Claudius
Verlag 1970. 296 S. gr. 8° = Jus Ecclesiasticum. Beiträge z.
evang. Kirchenrecht u. z. Staatskirchenrecht, hrsg. v.
A.v.Campenhausen, M.Heckel, K.Obermayer, G.-A.Vi-
scher, R.Weeber, 10. Kart. DM 28,—.

In unserer Zeit kann eine Arbeit aus der Geschichte des
protestantischen Eherechtes aus mancherlei Gründen erhöhte
Aufmerksamkeit beanspruchen. Einmal stehen wir
ohne Zweifel vor einer tiefgreifenden Änderung der Auffassung
vom Sinn und Wesen der Ehe und demzufolge
des Eherechtes, so daß eine rechtshistorische Abhandlung,
die sich mit den Fragen von Ehe und Eherecht beschäftigt
, zur Klärung der anstehenden Probleme beitragen
kann. Ferner kann man von einer solchen Untersuchung
eine gewisse Orientierungshilfe für die Frage nach der
Möglichkeit einer sog. Gemeinsamen Trauung, also der
Trauung eines evangelischen und katholischen Partners
unter Mitwirkung des evangelischen Pfarrers und des
katholischen Priesters erwarten. Schließlich wird man
von einer Arbeit aus dem Gebiet des protestantischen
Eherechtes genauere Informationen über das Verhältnis
von katholischer und evangelischer Rechtsauffassung,
über die Beziehung von Kirche und Staat, von Theologie
und Recht, aber auch über die Rolle erwarten können, die
der einzelne im Rahmen der Gesellschaft und der von ihr
gesetzten Normen einnimmt. Eine Untersuchung über
einen bestimmten Abschnitt in der Geschichte des Eherechtes
wird also deswegen ein ganzes Bündel von Gesichtspunkten
und Beziehungen berücksichtigen müssen,
weil beim Zustandekommen einer Ehe eine Vielzahl von
theologischen, rechtlichen, soziologischen und politischen
Überlegungen und Vorstellungen zusammentreffen.

Der Vf. der vorliegenden Abhandlung, einer bei M. H e k-
kel in Tübingen angefertigten juristischen Dissertation,
beschränkt sich darauf, das „Wesen des älteren evangelischen
Eherechts zu erfassen und einen Überblick von
seiner Entfaltung in Deutschland zu gewinnen" (S.5).
Der große Vorzug dieser Arbeit besteht darin, daß der Vf.
zunächst stets die theologischen Grundlagen zu ermitteln
sucht, bevor er die ellerechtlichen Konsequenzen daraus
zieht und eherechtliche Einzelfragen erörtert. Man wird
ihm bescheinigen müssen, daß er sich um die theologischen
Grundsatzfragen eindringlich bemüht hat. Mit
Recht spricht der Vf. des öfteren davon, daß bei dem
Studium der Materie dem „arglosen Leser eine Fülle von
Widersprüchen und Unklarheiten" begegnen (S.5). -
Diese sicher nicht zu bestreitende Tatsache wird freilich
weniger mit der mangelnden Fähigkeit reformatorischer
Theologen und Juristen zusammenhängen, auf dem Gebiet
des Eherechtes neue und klare Konzeptionen zu entwerfen
, als vielmehr damit, daß die Reformation in dieser
Hinsicht nach wie vor eine offene Situation antrifft. Denn
man wird schwerlich annehmen können, daß sich am
Vorabend der Reformation das kanonische Eherecht
überall in Deutschland durchgesetzt hat. Trotz des Verbotes
kommen - um nur ein Beispiel zu nennen - nach
wie vor Laientrauungen vor. Und von einem einheitlichen

römisch-katholischen Trauritus kann vor dem Triden-
tinum kaum die Rede sein.

Nach einem kurzen, vielleicht etwas allzu knappe"
überblick über die Verhältnisse am Vorabend der Reformation
wird in einem ersten Kapitel die „Ehe in der
Rechtslehre Luthers" ausführlich und kenntnisreich dargestellt
. Mit Recht geht der Vf. davon aus, daß die Rechtfertigungslehre
den Ausgangspunkt für Luthers eherechtliche
Auffassungen bildet und daß in diesem Zusammenhang
die Lehre von den beiden Reichen eine hervorragende
Rolle spielt. Der Vf. zeigt sich mit der einschlägigen
Literatur gut vertraut; ob man freilich das
„Reich der Welt" mit dem „großen, verlorenen Haufe»
(der) gottverlassenen impii" (S.27) und das „Reich
Christi" mit der „Schar der wahrhaft Gläubigen" (S.28)
so ohne weiteres gleichsetzen kann, scheint zumindest
fraglich. Daraus ergibt sich nach Ansicht des Vf.s für
Luther eine „Doppelung des Rechtes, die ihre Ursache
im Sündenfall hat" (S.29). Der Vf. spricht geradezu von
einem vom Luther „entdeckten Recht3dualismus" (S.35
u.ö.). Daraus will er die Tatsache ableiten, daß Luther die
Ehe sowohl als „weltliches Ding" wie als „geistlichen
Stand" bezeichnen kann: „Die Christenehe ist geistlich
und weltlich zugleich, sie trägt einen Januskopf!"(S.35):
Die Ehe ist nach Luther als Schöpfungsordnung (,,Dei
ordinationem in creatione"; WA 44,218,15), als Pflanzschule
der Kirche und als Mittel gegen die Erbsünde zu
bezeichnen; daß Luther den sakramentalen Charakter der
Ehe leugnet, verstellt sich von selbst. Aus der Genesis-
Vorlesung teilt der Vf. eine bemerkenswerte Definition
der Ehe mit: „Coniugium est divina et legitima coniunctio
maris et foeminae spe prolis, vel saltem vitandae forni-
cationis et peccati causa ed gloriam Dei. Finis ultimus
est obedire Deo, et mederi peccato, invocare Deum, qua"
erere, amare, educare prolem ad gloriam Dei, habitare
cum uxore in timore Domini, et ferre crucem: Quod si non
sequitur proles, tarnen tua uxore eontentus vivas, et
vites vagas libidines." (S.4öf.; WA 43,310,24). Die Doppelnatur
der Ehe als weltliches Ding und geistlicher Stand
hat bei Luther nach Ansicht des Vf.s den erwähnten
Rechtsdualismus zur Folge. Er besteht darin, daß die Ehe
einerseits dem weltlichen Recht unterworfen ist, wie es
sowohl im Naturrecht als auch in einzelneu Teilen des
kanonischen Rechtes zutage tritt, andererseits dem „Recht
aus dem Reiche Christi", wie es in der Lex Christi und im
kirchlichen Recht, etwa in Trauung und Kirchenzucht, erkennbar
wird. Davon ist nach Auffassung des Vf.s bei
Luther das „göttliche Recht" zu unterscheiden, unter das
die göttliche Einsetzung der Ehe, einschließlich der
Priesterehe, das Gebot der Monogamie und der Unauflöslichkeit
der Ehe fallen. - Ob man wirklich bei Luther
von einem „Rechtsdualismus" sprechen kann, erscheint
mir zweifelhaft, obgleich in Luthers Auffassung von Ehe
und Eherecht eine Dialektik sicher nicht auszuschließen
ist. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Vf. recht, wenn
er sagt: „Obwohl Luther die Ehe als weltliches Ding
wertet, versäumt er es zu keiner Zeit, klar zu machen, wie
nach seiner Meinung das weltliche Eherecht auszusehen
hat, ohne daß es mit der Tatsache der göttlichen Stiftung
der Ehe und mit dem weltlichen Naturrecht in Konflikt
gerät" (S.52). Genau an dieser Stelle liegt jedoch das Problem
. Wenn Luther, wie etwa in dem Fall des Caspar
Beyer, Entscheidungen zu fällen hat, so haben theolo-
gisch-seelsorgerliche Argumente den Vorrang vor allen
anderen Überlegungen. Der Vf. kommt des öfteren gerade
auf diesen entscheidenden Gesichtspunkt zu sprechen,
so wenn er bei Luther als das entscheidende Motiv die
„Sorge um die Gewissen" feststellt (S.44; ähnlich auch
3.53, 77 u.ö.). Aber bisweilen hat man den Eindruck, daß
dieser Gesichtspunkt vor der Fülle der einzelnen Erörterungen
zurücktritt.