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Ausgabe:

1972

Spalte:

621-625

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Feil, Ernst

Titel/Untertitel:

Die Theologie Dietrich Bonhoeffers 1972

Rezensent:

Kuske, Martin

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 8

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es wohl zuzuschreiben, daß Verkürzungen, die zu Verzeichnungen
von theologischen Intentionen führten (bes.
fler dialektischen Theologie), manchmal die Freude an der
theologiegeschichtlichen Darstellung trüben, und daß
Begriffe wie „Geschichtstatsachen", „Heilstatsachen",
nicht genügend geklärt werden.

Der Ertrag der Untersuchung und die Konsequenzen
für das Selbstverständnis der Kirche werden in den letzten
vier Kapiteln umrissen. Die Lösung des Vf.s ruht im allgemeinen
auf der exegetischen Arbeit Cullmanns. Die
Verheißungstat Gottes in Jesus ist als horizontale Belegung
zu begreifen, in der Gott seine Sache dem Ende
entgegen vorantreibt. An Gottes Tat wird die Kirche beteiligt
, die weder das Reich Gottes selbst ist, noch seine
».Anticipation, Jetztgestalt" oder „Keim", wohl aber das
dem Ziel entgegen wandernde Gottesvolk, dessen Handeln
sich „der göttlichen Praxis einfügt", das als „Zeichen
des Heils" mit Wort und Sakrament seine Verantwortung
für die Welt „erfinderisch und wach für die neue
Situation" wahrnimmt - ohne sie auf „formale Beschwörung
des kommenden Heils" oder reine Kritik der Ideologien
einzuschränken, weil es mit dem schon Ereigneten
rechnet, von der Zuversicht des Angeldes lebt, sich dementsprechend
verhält und wartet auf den „Ertrag der Geschichte
", die Erfüllung und Enthüllung des Heils in der
Auferstehung.

Richmond, Va Mathlas RIsbi

Feil, Ernst: Die Theologie Dietrich Bonhoeffers. Hermeneutik,
Christologie, Weltverständnis. München: Kaiser; Mainz:
Matthias-Grünewald-Verlag [1971]. 430 S. 8° = Gesellschaft
und Theologie. Abt. Systematische Beiträge, hrsg.
v. H.Baier, K.v.Beyme, E.Feil, I.Fetscher, J.B.Metz,
J.Moltmann, W.Oelmüller, K. Scholder, A. Schwan, R. Weth,
6. DM 29,—.

Seitdem H.Müller (Von der Kirche zur Welt, 1960,
355) die These aufgestellt hat, daß „in den Jahren der
Haft bei Bonhoeffer ein qualitativer Sprung in seiner
Entwicklung erfolgt" sei, muß jede Bonhoeffer-Inter-
pretation, die nicht nur einen kleinen Ausschnitt, sondern
einen größeren Zusammenhang oder das Ganze behandelt
, sich mit dieser These auseinandersetzen.

F., Professor für katholische Theologie in Dortmund,
stellt die These auf, „daß die Theologie Bonhoeffers eine
kontinuierliche Einheit bildet" (15). An anderer Stelle
präzisiert er diese These „gegen bisherige Interpretationen
" (H.Müller; J.A.Phillips; R.Mayer) dahingehend,
,,daß auch die letzte Theologie Bonhoeffers als kontinuierliche
Fortsetzung seiner voraufgegangenen theologischen
Bemühungen anzusprechen ist, die demnach
nicht einfach als abgetan und überholt angesehen werden
dürfen, sondern zur Interpretation der z. T. so aphoristisch
formulierten Gefängnisbriefe heranzuziehen sind" (323).

Durch die Entfaltung dieser These verlieren die Gefängnisbriefe
viel von ihrer Rätselhaftigkeit, die manchen
urteilen ließen, es lohne sich eigentlich nicht, sich mit
ihnen zu beschäftigen. F.s Buch macht es in Zukunft
unmöglich, dieses Urteil mit der Rätselhaftigkeit von
».Widerstand und Ergebung" zu begründen. Darin sehen
*ril die Bedeutung dieser Arbeit.

Die Rezension möchte aber nicht diese Bedeutung entfalten
, sondern versuchen, aufgrund der Ergebnisse F.s
und im Rahmen der These von der Einheit der Theologie
Bonhoeffers das Neue von „Widerstand und Ergebung"
betonter herauszustellen als F. Auch er spricht von einer
;,neuen" Erkenntnis Bonhoeffers im Gefängnis: „Die
,neue' Erkenntnis ist für Bonhoeffer nicht neu im Sinne
der Novität, die das Alte beseitigt, sondern im Sinne der
tieferen Erfahrung und des tieferen Verständnisses des

sich geschichtlich wandelnden Alten" (130), aber eben
nur in Anführungszeichen! Von dem Risiko Bonhoeffers,
mit seinen Briefen um der Lebenswichtigkeit bestimmter
Fragen willen auch „anfechtbare Dinge zu sagen" (Brief
vom 3.8.1944) wird in der Arbeit F.s zu wenig sichtbar.

F. kann aufgrund der Analyse des Gesamtwerks Bonhoeffers
, aber besonders seines Frühwerks nachweisen,
daß die Gedanken Bonhoeffers aus „Widerstand und Ergebung
" an vielen Stellen vorbereitet sind. Diesem Nachweis
dienen drei historische Überblicke: einer „über Bonhoeffers
Verständnis der Theologie" (I A; 23-80), ein
anderer „über die Christologie Bonhoeffers" (II; 137-220)
und ein dritter „über Bonhoeffers Weltverständnis" (III
A; 223 -323). Dem ersten Überblick folgt eine „Systematische
Zusammenfassung der herineneutischen Implikationen
der Theologie Bonhoeffers" (I B; 81-133); dem
dritten Überblick eine „Systematische Zusammenfassung
des Weltverständnisses bei Bonhoeffer" (III B; 324-396),
während F. auf eine systematische Zusammenfassung der
Christologie Bonhoeffers verzichtet.

Der erste Überblick zeigt, daß Bonhoeffer gleich zu
Heginn (Dissertation und Habilitation) die Struktur seiner
Theologie so bestimmt hat, daß sie „im Dienste christlicher
Praxis" steht (Überschrift für „Teil I: Bonhoeffers
hermeneutischer Ansatz: Die Theologie im Dienste christlicher
Praxis"). Diese Bestimmung der Theologie hält sich
bei Bonhoeffer durch. Damit ist die „Einheit der Theologie
Bonhoeffers" gekennzeichnet (128).

Innerhalb dieser so bestimmten Einheit kann man aber
doch von einem gewissen Sprung sprechen, der sich in der
„Ethik" anbahnt und in „Widerstand und Ergebung"
vorliegt. F. selbst spricht von der sich nach 1939 anbahnenden
„Wende", die auf dem Hintergrund von Bonhoeffers
politischem Engagement in dem „Ernstnehmen
der Welt" besteht (292). Weil die Theologie der „Ethik"
und von „Widerstand und Ergebung" diese neue Praxis
bedenkt, darum sollte man sich nicht scheuen, die Theologie
der Gefängnisbriefe als „neue Theologie" zu bezeichnen
(so E.Bethge, D. Bonhoeffer2, 958ff.; in der
dritten Auflage aber zurückgenommen!).

In bezug auf die Christologie findet man erst in „Akt
und Sein", nicht schon in „Sanctorum Communio" die
Aussagen, auf denen Bonhoeffer aufbaut. In SC, wo er
von einem ekklesiozentrischen Ansatz ausgeht, fehlt eine
explizite Christologie (141-149). In AS dagegen ist der
christozentrische Ansatz vorhanden, der besagt, „daß
Jesus Christus die Mitte ist, von der her die Theologie
entwickelt ist" (156). Bis zur „Nachfolge" findet eine zunehmende
Zentrierung auf Christus statt (157-176). Die
Christologievorlesung von 1933 verankert die schon bei
Bonhoeffer vorhandenen Themen (Problem der Sozialität
; Grenze; Grenze und Mitte; konkretes Gebot und konkrete
Geschichte; Jesus Christus als Mitte und Mittler) in
der Christologie. In der mittleren Periode ist die christo-
logische Konzentration am stärksten (177-188). Wichtig
ist, daß in der Zeit des verstärkten kirchlichen Engagements
Christus immer mehr zur Mitte wird, womit das
Fundament für Bonhoeffers spätere Überlegungen über
die Welt gelegt ist. Mit der späten Christologie ist dann
ihr Weltbezug gegeben (189-220).

Mit diesem Weltbezug beginnt eine neue Phase in der
Theologie Bonhoeffers (189). Der Brief an Th. Litt (1939),
in dem sich „ein christologisch fundiertes positives Weltverständnis
endgültig" durchsetzt, „setzt ... deutlich
neue Akzente" (291). F. überbetont also selbst nicht seine
These von der kontinuierlichen Fortsetzung der Theologie
Bonhoeffers (vgl. a. 368f.!). Die kontinuierliche
Fortsetzung bringt etwas Neues!

Dieses Neue zeigt sich auch in dem Christus-Titel von
WE: „Mensch für andere", von F. „die zentrale systematische
Aussage der letzten Briefe" genannt (209). Die-