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Ausgabe:

1972

Spalte:

620-621

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Escribano-Alberca, Ignacio

Titel/Untertitel:

Das vorläufige Heil 1972

Rezensent:

Rissi, Mathias

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 8

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ihn von allen anderen religiösen Überzeugungen unterscheidet
", kann man ihn nur noch für tot erklären (7).

Um diesem Besonderen auf die Spur zu kommen, wählt
der Vf. im I. Teil die Methode der kritischen Deskription
derjenigen maßgebenden theologischen Gegenwartsströmungen
, die zwar unter wechselnden Aspekten, aber
doch gleichbleibenden Insuffizienzen in bezug auf das Proprium
des christlichen Glaubens, nämlich „die organische
Verbindung von Werk Gottes und menschlicher Geschichte
" (9), jener Identitätskrise angeblich Vorschub geleistet
oder sie gar begünstigt haben. Diese tour d'hori-
zont liest sich nach den Kapitelüberschriften folgendermaßen
: Entmythologisierung? (13-32); Der „historische
Jesus" - dem Glauben fremd? (33-61); Hermeneutik in
der Schwebe? (62-82); Totale Säkularisierung? (83-121);
Atheistisches Christentum (122-133); Anbetung der Zukunft
? (134-144). M. ist der Ansicht, daß diese nach Fragestellung
und Zielsetzung so sehr unterschiedlichen theologischen
Entwürfe doch darin konvergieren, daß sie „die
Verbindungen, durch die der christliche Glaube in der Geschichte
verwurzelt bleibt, ... lockern, wenn nicht gar ...
zerstören" (215). Die Entmythologisierung z.B. durch
ihren „Ultra-Personalismus" (22), durch ihre „Entleib-
lichung" des Christentums (24), durch das Desinteresse
an der weltlichen Arbeit in der Anthropologie Bultmanns
(26), weswegen von hier aus dann auch gar keine auf
Weltveränderung zielende Theologie möglich sei, durch
„minimalisierende Interpretation" der Sakramente (29),
durch eine Verwerfung der „Heilsgeschichte" (29f.). Die
moderne Leben-Jesu-Forschung verfehlt den geschichtlich
-konkreten Charakter der Offenbarung dann, wenn sie
das „Zusammenspiel von Weihnachten und Ostern" (52)
nicht beachtet. Und die totale Säkularisierung muß das
Proprium des christlichen Glaubens darum verfehlen, weil
letzteres die Verbindung von Werk Gottes und menschlicher
Geschichte meint. Erst recht gilt dieses für ein
atheistisches Christentum, das die transzendente Dimension
völlig entbehren kann und sich mit einem Rück-
verweis auf die historische Gestalt Jesu begnügt. Aber
dieser Rückverweis ist in allen Fällen entbehrlich. Jedoch
nicht darum, weil es ein Rückverweis auf einen puren
Menschen unter andern Menschen ist (132), sondern weil
die Inhalte der einem atheistischen Christentum allein
noch verbleibenden „Jesulogie" auch anderweitig ableitbar
sind. Die unglückliche Überschrift des 6. Kapitels
(„Anbetung der Zukunft?") macht deutlich, wo M. hier
seine Kritik ansetzt: an einer Überbewertung der futurischen
Dimension auf Kosten der an ein konkretes geschichtliches
Ereignis rückgebundenen Offenbarung.

Man wird nicht sagen können, daß M. den inkriminierten
Entwürfen in allen Punkten Gerechtigkeit widerfahren
läßt. Aber man wird sagen können, daß er sie sehr
genau studiert hat und daß einige von ihnen tatsächlich
durch mißverständliche Formulierungen, Einseitigkeiten
usw. mit dazu beigetragen haben, daß christlicher Glaube
heute im Spannungsfeld zwischen Kirche und Welt seine
Identität zu verlieren droht.

Der II. Teil des Buches („Unter .Gestalten und Zeichen''')
ist ein systematischer Versuch, unter Aufnahme des Positiven
aus den inkriminierten Entwürfen die Einzigartigkeit
des christlichen Glaubens herauszuarbeiten. Daß die
Offenbarung Geschichte ist, genauer, daß sie ein paradoxes
Ereignis ist, das den Namen Jesus Christus trägt,
wird betont. Und so ist denn dieser ganze Teil nichts anderes
als die Durchreflexion einer heilsgeschichtlichen Theologie
, wie sie heute im wesentlichen von Oscar Cullmann
und Wolf hart Pannenberg vertreten wird, jedenfalls der
Versuch, „den organischen Bezug zur Geschichte neu zu
betonen, der die Einzigartigkeit des Christentums begründet
und bestimmt" (215). Die Notwendigkeit dieses
Versuches wird angesichts der gegenwärtigen theologischen
Situation niemand bestreiten. Seine Durchführung
indessen, die in den Mittelpunkt eine (übrigens vorzügliche
) Klärung des Geschichtsbegriffes und eine (weniger
überzeugende) Darstellung des Kirchenverständnisses
nach dem Vaticanum II stellt, wird nicht jeden überzeugen
, da nicht nur eine reichlich mystische Terminologie*
sondern auch eine zu beflissene Apologetik hinsichtlich
des Dogmas und der hierarchischen Struktur der Kirche
das Verständnis erschwert. Oder ist es nicht Mystik, wenn
es heißt: „Die bleibende und stets neue Einzigartigkeit
des christlichen Glaubens gründet auf jenem einzigen
Punkt in Raum und Zeit, wo sich endgültig der geheimnisvolle
Austausch zwischen Gott und menschlicher Geschichte
, der Übergang Gottes in unsere Welt und unserer
Welt in Gott vollzieht" (155f.)? Und daß ausgerechnet
die „der kirchlichen Gemeinschaft wesentliche (!) hierarchische
Struktur" (182) die „Offenheit für eine aktuelle
Universalität und eine wirksame und faßbare Verbindung
mit allen über den Erdkreis verstreuten Gemeinschaften
(180) sicherstellt; ferner, daß nun gerade das je geschichtlich
bedingte Dogma „für den katholischen Glauben
paradoxerweise zum Garanten seiner Offenheit und Freiheit
wird" (197), mag manchem als schwer nachvollziehbare
theologische Interpretationsakrobatik erscheinen.
Im übrigen aber bietet der im wesentlichen an Bonhoeffer
geschulte Kirchenbegriff (communio) dem Vf. die (weithin
überzeugende) Möglichkeit, einem „Christentum in
Bewegung" das Wort zu reden, ohne doch die für den
Glauben konstitutive Rückbindung an das geschichtliche
Ursprungsgeschehen der Offenbarung Gottes in Jesus
Christus preisgeben zu müssen. In dieser Hinsicht ist das
Buch ein hilfreicher Wegweiser durch den gegenwärtigen
Dschungel theologisch sich widersprechender Meinungen.

Bochum Erich GräBer

Kscribano-Alberen, Ignacio: Das vorläufige Heil. Zum christlichen
Zeitbegriff. Düsseldorf: Patmos-Verlag [1970]. 120 S.
8° = Theologische Perspektiven zur gegenwärtigen Problemlage
. DM 10,80.

Auf wenig mehr als 100 Seiten breitet der Vf. die vielfältige
Problematik des christlichen Zeitverständnisses
aus und führt damit in die zentralen Fragen der Theologie
hinein. Denn „wer das Zeitgefühl des Christentums analysiert
, hat alle Aussicht, das Wesen des Christentums
zu treffen". Der Vf. beschäftigt sich mit den geschichts-
mächtigsten Antworten der Theologie- und Philosophiegeschichte
, wobei er bemüht ist, ihre frühesten Erscheinungsformen
aufzudecken. Voraussetzung des rechten
Einstiegs in die Probleme ist das biblische, spannungsvolle
Ineinander und Gegeneinander der drei Zeiten des
Heils (Kp. 1), das alle einseitige Ausrichtung auf die Vergangenheit
, die irgendwie zu vergegenwärtigen ist, oder
auf die Gegenwart als den Moment der Entscheidung in1
Angesicht der Ewigkeit, oder auf die reine Zukunft des
Heils ausschließt.

Im zweiten Kap. wehrt sich der Vf. gegen den zyklischen
Zeit- und Geschichtsbegriff, der besonders unter
griechischem Einfluß zur Verführung der Theologie
wurde, im dritten Kp. gegen die vermeintliche Überwindung
der Spannung auf dem „Weg nach innen" (Erfahrung
der „Begeisterung", die der Vf. exemplarisch in
seiner Hegeldeutung darstellt), im vierten Kp. gegen „die
Verschiebung des Heils auf die letzte Zukunft" (die der
Vf. mindestens als Gefahr in Moltmanns Theologie der
Hoffnung erkennt: „Die Christologie (Moltmanns) ist nur
dazu da, eine eschatologisch vorgezeichnete Hoffnung
zu mobilisieren, von deren Nützlichkeit in den geschichtlichen
Räumen der verite ä faire man sicherlich überzeugt
sein kann". Der Skizzenhaftigkeit der ganzen Arbeit ist