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Ausgabe:

1972

Spalte:

608-610

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Frieling, Reinhard

Titel/Untertitel:

Die Bewegung fuer Glauben und Kirchenverfassung 1972

Rezensent:

Althausen, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 8

608

äußert hatte, steht mit der stärker fundierenden Sicht
des Glaubens, der fast zu einer prinzipiellen Bedingung
wird, näher bei Melanchtbon, während Tübingen und
Jena mit Hunnius und seiner Antwort übereinstimmen.
Lübeck legt den Ton auf den Aspekt der Bekenntnis-
gemäßheit. Ein Literaturverzeichnis, bei dem besonders
eine Bibliographie der Schriften Samuel Hubers zu erwähnen
ist, und ein Namensverzeichnis beschließen die
Arbeit.

Immer wieder blendet der Vf. in seine Untersuchung
kritische Passagen ein, die vergleichen, orientieren und
Konsequenzen aufzeigen. Bei Huber bemerkt er, daß die
Heilsgewißheit nicht im speziellen Zuspruch des Wortes
Gottes, sondern in der allgemeinen Universalität seiner
Geltung begründet sei, daß die eschatologische Perspektive
fehle, da im Grunde die Geschichte Gottes mit den
Menschen schon an ihr Ziel gekommen sei, daß Huber von
der Rekapitulationstheorie des Irenäus herkomme und
ganz im protologisch-schöpfungstheologischen Horizont
stehe, aber auch dadurch, daß er das Zentrum seiner
Theologie prinzipalisiere und vereinsamen lasse, ähnlich
stark dem rationalen Geist verhaftet sei wie sein Gegenspieler
Beza (S.98ff.; 123f.; 127f.; 164f.; 197ff.). Huber
denkt völlig undialektisch (S. 119) und ist ein „durch und
durch monistischer Geist" (S. 199). Bei Hunnius findet der
Vf. eine drohende Psychologisierung des Sündenbegriffs
(S. 148) und fragt, ob die Bindung der praedestinatio an die
praescientia wirklich eine letzte Lösung des Problems
bringe oder nicht vielmehr Gott zum Gerichtsvollzieher
mache, der offenbar macht, was der Mensch ins Werk-
gesetzt hat (S.165). Damit steht das Problem des Synergismus
vor der Tür (S.204L). Als Folgerung für die
gegenwärtige Formulierung der Erwählungslehre sieht
Vf. die Notwendigkeit, „Erwählung in Übereinstimmung
mit dem reformatorischen Ansatz zu entfalten und nicht
als Konkurrenz dazu". Prädestination sei ein „Implikat
der Rechtfertigungsaussage" (S.207).

Immer wieder bemüht sich die Arbeit um die theologiegeschichtliche
Einordnung der Kontrahenten. Bei Huber
macht sie auf die interessante Erscheinung eines Krypto-
luthertums im reformierten Bern, also auf einen dem
Philippismus gegenläufigen Prozeß aufmerksam (S. 18).
Interessant sind ferner die Schwierigkeiten, die man in
Bern mit der Berufung auf Bullinger bekam (S.75). Für
die Einordnung von Hunnius hilfreich ist der dogmengeschichtliche
Überblick über die Verhältnisbestimmung
von Präscienz und Prädestination (S. 152ff.). Im übrigen
macht Vf. auf bestimmte Verschiebungen Luthers gegenüber
aufmerksam, die für Hunnius charakteristisch sind
(S. 146), wenn ihm auch die Zukunft gehört hat (S. 204f.).

Man wird froh sein können, eine so sachkundige Arbeit
über einen wichtigen Ausschnitt der Theologiegeschichte
der Frühorthodoxie zur Verfügung zu haben. Zeigt sie
doch zu ihrem Teil, wie wenig der Eindruck zutrifft,
daß mit der Konkordienformel das theologische Denken
zum Stillstand gekommen ist.

Druckfehler häufen sich vor allem im letzten Drittel des
Buches, freilich selten aufstörende oder sinnentstellende Weise.
Vermerkt seien nur: S.93 Anm.8 Z.2: 1592. - S.132 Abs.2
letzte Z.: et utuntur ad. - S.165 Abs.2 letzte Z.: ullum. -
S.184 Abs.2 Z.2: antecedentis. - S.185 Abs.4 Z.3: universalem
(?).

Kisenach Ernst Koch

Flörken, Norbert: Ein Beitrag zur Datierung von Luthers
Sermo de indulgentiis pridie Dedicationis (ZKG 82, 1971
S. 344-360).

Fousek, Marianka Sasha: Spiritual Direction and Discipline:
A Key to the Flowering and Decay of the 16th Century
Unitas Fratrum (ARG 62, 1971 S.207-227).

Fraenkel, Pierre: Institut d'histoire de la Reformation (RThPh
105, 1972 S.42-50).

rlempsall, David S.: The Languedoc 1520-1540: A Study of
Pre-Calvinist Heresy in France (ARG 62, 1971 S.225-244).

Kahler, Ernst: Nicht Luther, sondern Karlstadt [zu WA 6,26f.]
(ZKG 82, 1971 S. 351-360).

Midelfort, H.C. Erik: Witchcraft and Religion in Sixteenth-
Century Germany: The Formation and Consequenee of
an Orthodoxy (ARG 62, 1971 S.266-278).

Plath, Uwe: Ein unbekannter Brief Calvins vom Vorabend dor
Religionskriege in Frankreich (ARG 62, 1971 S. 244-266).

Schmidt-Clausing, Fritz: Zwingiis Zürcher Protokoll eingeleitet
, übers, u. kommentiert. Frankfurt/M.: Lembeck 1972.
47 S. kl. 8°. Kart. DM 3,60.

Seebaß, Gottfried: Die Vorgeschichte von Luthers Verwerfung
der Konditionaltaufe nach einem bisher unbekannten Schreiben
Andreas Osianders an Georg Spalatin vom 26. Juni 1531
(ARG 62, 1971 S. 193-206).

Steglich, Wolfgang: Die Stellung der evangelischen Reichsstände
und Reichsstädte zu Karl V. zwischen Protestation
und Konfession 1529/30. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des
Augsburgischen Glaubensbekenntnisses (ARG 62, 1971
S. 161-192).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Frieling, Reinhard: Die Bewegung für Glauben und Kirchen-
Verfassung 1910-1937 unter besonderer Berücksichtigung
des Beitrages der deutsohen evangelischen Theologie und der
evangelischen Kirchen in Deutschland. Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht [1970]. 319 S., 1 Zeittafel gr. 8°
Kirche und Konfession. Veröffentl. d. Konfessionskundl-
Instituts d. Evang. Bundes, hrsg. v. H.Bornkamm, J.Lell,
W.v.Loewenich, M.Schmidt, R. Stupperich, W.Suckert t>
16.

Im Jahre 1970 war die Bewegung für Glauben und
Kirchenverfassung fünfzig Jahre alt. Das ist ein angemessenes
Datum für Rückbesinnung und Standortbestimmung
. Deshalb greift man auch gern zu einer
Dissertation, die die ersten Jahre (in diesem Fall 1910 bis
1937) im Zusammenhang versucht zu erfassen. Die zeitliche
Abgrenzung ist gerechtfertigt, liegen doch die Wurzeln
auch dieses Zweiges der ökumenischen Bewegung bereits
in der großen Weltmissionskonferenz von

Edinburgh

1910. Mit der zweiten Weltkonferenz für Glauben und
Kirchenverfassung 1937 tritt eine Zäsur in der Arbeit ein.
Die Kriegsereignisse zerreißen viele Fäden der Kommunikation
. Sie werden erst in Vorbereitung der 1. Vollversammlung
des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948
wieder aufgenommen, nun aber auch mit neuen Themen
und einer Reihe neuer Partner.

In ausführlichen Einzeldarstellungen, ohne zu umständliche
lange Zitate, aber mit vielen Belegen, werden
die Hauptstationen der Geschichte nachgezeichnet.
Naturgemäß sind die Konferenzen die Höhepunkte. Vor-
und Nacharbeit sowie einschlägige weichenstellende
Korrespondenzen werden sorgfältig zugeordnet und Verbindungsfäden
hin und her aufgewiesen. Die Fülle des
Materials wird nicht nur vollständig erfaßt, sondern auch
gegliedert und durchsichtig gemacht. Das letzte Kapitel
stellt den theologischen Ertrag noch einmal zusammen-
Literaturverzeichnis, Personen- und Sachregister sowie
eine Zeittafel helfen, den Stoff zu erschließen.

Als umfassende Historie von Glauben und Kirchenverfassung
will das Buch allerdings nicht verstanden sein-
Vielmehr geht es ihm um die Darstellung des deutschen
Beitrages in dem genannten Zeitraum. Das ist außerordentlich
dankenswert. Sowohl im Bereich von Glaube
und Kirchenverfassung als auch in eigentlich allen anderen
Bereichen der ökumenischen Diskussion ist der Dialog
zwischen der angelsächsischen Tradition theologischen
Denkens und der kontinental-deutschen noch im vollsten
Gange. Man denke an die Kontroverse über sozialethische