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1972

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 8

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Vf. fand die literarkritische Methode zur Erklärung
dieser Spiele ungenügend. Sie begnügt sieb mit dem Hinweis
auf den zugrunde liegenden biblischen Text and den
liturgischen Zusammenhang als Quelle für ihre Entstehung
: For thesn critics a pilgrim-play is a hiblical
story refracted bhrougb the pnsm of Qturgy (5). Damit
werden in der Tal weder gewisse poetische Stücke und
Elemente in diesen Spielen erklärt noch sind sie überhaupi
in ihrem eigentlichen literarischen (ienre, nämlich als
dramatisches Kunstwerk, erfaßt.

Frühere Arbeiten (Prosser, Marchai) versuchten, diesem
Mangel abzuhelfen, indem sie ein den dramatischen
Ablauf bestimmendes Thema aufspürten, dessen Quelle
im Kontext der zeitgenössischen Geisteslage oder in der
Tradition der Kirchenväterliteratur gesuebt wurde. Die
sen als ergebnislos beurteilten Versuchen gegenüber geht
Vf. von der Tatsache aus, daß in den Spielen der eigentliche
Inhalt des biblischen Textes, nämlich die Oster-
botsebaft, durch das Thema Pilgrimschaft überfremdet
sei, ein Thema, das zwar in den drei nach EmmauB Wan- '
dernden seinen Anhaltspunkt habe, aber in Wahrheit
metaphorisch die Pilgerschaft des Menschen durch das
Exil dieser Welt zum himmlischen Vaterland ineine, also
ein anderwärts, Hebrll,13-l'i. in der Hibel anstehendes
Thema.

Durch Arbeiten J. Leclercq's inspiriert findet Gardiner
schließlich bei Gregor d. Gr. den Anfangs- und Ausgangspunkt
eines pattern of pilgrimage, das sich in drei literarischen
Gattungen, in Bibelkommentaren, in Briefen
und eben in den Peregrinus-Spielen niedergeschlagen
habe und nachweisen lasse. Bei Gregor handelt es sieh
um zweierlei. Das erste ist - vor allem durch Moralia
XV1I1 belegt - die Entfaltung und Beschreibung der
geistlichen Erfahrungen der Pilgrimschaft des Menschen
in der Dialektik des Besitzens und Nichtbesitzens, von
Gegenwart und Ferne des Göttlichen, von Lieht und
Dunkel, Glauben und Schauen. Das dafür typische Wortfeld
: Pilgrimschaft, Exil, Reise, Mühsal, himmlische
Sehnsucht (desire), Liebe, himmlisches Vaterland,
Schmecken und Sehen und die Bedeutung von Menschen
und Worten, die das Himmlische vermitteln, läßt sieh
von Gregor ausgehend durch die Jahrhunderte wie ein
Leitfossil verfolgen. Das zweite ist die Verbindung dieses
pattern of pilgrimage mit der Emmaus-Erzählung, die
Gregor im Proömium seines Hohelied-Kommentars, in
einer Pfingst- und einer Ostermontagspredigt vollzieht.
Im Gegensatz zu Augustin, der die Emmausjünger vor
ihrer Begegnung mit Christus als moralisch tot ansieht,
versteht Gregor ihre Haltung als dialektisches Ineinander
von Liebe zum Herrn und Zweifel an seiner Auferstehung.
Alle Phasen der Emmausgeschichte: die Begegnung mit
dein Fremdling, die Gespräche, Jesu Hinweis auf die
Schrift, die Fiktion, als wolle er weitergehen, die Nötigung
zum Bleiben, die Mahlszene, Jesu Selbstoffenbarung
und sein sofortiges Verschwinden, das Entflamnitwerdcn
der Jüngerherzen unter seinen Worten, bieten, wie leicht
einzusehen, eine Fülle von Anhaltspunkten, um die Dialektik
der pilgrimage of desire, Sehnsucht und Erfüllung,
Entbehren, Haben und Wieder verlieren, die Bedeutung
des Wortes und des Liebeshabitus als Mittel der Vergegenwärtigung
des Göttlichen zu entfalten.

En den vier Kapiteln des Buches geschieht- nun nichts
anderes, als daß in einer eindringenden Analyse der behandelten
Kommentare (I), Briefe (II) und Spiele (111
und IV) das Sichdurchhalten und die Abwandlungen der
Thematik Gregors nachgewiesen wird. Am unmittelbarsten
leuchten diese Nachweise begreiflicherweise bei den
Bibelkommentaren ein, die ja weitgehend wörtliche Übernahmen
von Gregors Text enthalten. Dagegen wird man
dem Scharfblick, mit dem der Vf. das pilgrim-pattern
in den sehr individuellen brieflichen Äußerungen zu finden

meint, nicht immer folgen können, zumal hier ja ganz
andere Briefsituationen an die Stelle der Emmaus-
situation treten. Seinen Höhepunkt erreicht dieses Inter-
pretationsverfahren bei der Analyse der Spiele, wo der Vf.
jede Nuance der Sprache, jeden Gestus, auch die Spielanweisungen
in den rubra der Liturgien, die Funktionen
des Chors und der von ihm gesungenen Texte in ihrer
Wechselbeziehung zu den handelnden Personen, und
natürlich den dramatischen Aufbau und Ablauf insgesamt
von der Idee der Pilgrimschaft her erklärt und
durchleuchtet. Sein Ziel, den Spielen ihr Recht als
Literatur werden zu lassen, hat Vf. erreicht, zugleich
mit seinem Nachweis, how the ambivalence of life find
consonant expression in the figure of pilgrimage (159).

Jtostock Konrad WelBS

Bilm, Kaspar: Entstehung und Reform des belgisch-niederländischen
Kreuzherrenordena (ZKG 82, 1971 S.292-31H). .

Laourdas, BasO: The Letter of Photius to the Archbishop ot
Aquileia (Kleronomia 2, 1970 S. 66-68).

Pattin, A.: Petrus Abelard (1079-1144) als mens en als denk«
Tijdschrift voor Filosofie 33, 1971 .S.572-.r)82).

l'olite, Linos: Agnosto ergo toy Nikephöroy Kalli'stov Xan-
thopo^loy: Exegese stön [o&nne tes Klfmakos (Kleronomw

2. 1970 K. 69-84).

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

llüiiHin, Remigius: Nachwirkungen des konziliaren Gedankens
in der Theologie und Kanonistik des frühen 16. Jahrhunderts.

Münster/W.: Aschendorff [1971]. XVIII, 274 S. gr. 8° = Re-
formationsgeschichtl. Studien u. Texte, in Verb. m. H.J*"
din, T.Freudepberger, R.Bäumer, E.Iserloh, K.Ropgen
W.-W.Zeeden hrsg. v. A.Franzen, 100. Kart. DM 48,—.

Nach einem instruktiven forschungsgeschich fliehen
(Iberblick, der bereits deutlich macht, daß eine Darstellung
der Nachwirkungen des konziliaristisehen Gedankens
im 1 (i. Jahrhundert nur aufgrund der Ansichten der
mittelalterlichen Kanonistik über Papst und Konzil seit
dein M. Jahrhundert erfolgen kann, wendet sich Bäume*
einigen Hauptproblemen der Konzilstheologie zu: Difl
KonzilsberufUllg ohne Papst: Wer beruft das papstlose
Konzil?; Das Verhältnis von Papst und Konzil; Die Absetzbarkeit
des Papstes durch das Konzil; Die Appell'1'
tion vom Papst an das allgemeine Konzil: Die Lehrautorität
der Konzilien; Die Teilnahme von Laien ani
Konzil; Konzil und Kirchenreform. Bäumer will nioht
den Fragenkomplex entscheiden, „ob beispielsweise die
papalistische oder die konziliaristische Literatur in den
Jahrzehnten vor dem Konzil von Trient überwiegt
(S. 12). An einigen einflußreichen Theologen wie Decius,
Almain, Major, Gozzalini und Ugonius, deren Beiträge
zum Thema in die genannten Kapitel des Buches eingearbeitet
sind, soll das Nachwirken konziliarer Gedankengänge
im 16.Jh. aufgewiesen werden. Bäunicr
meint, daß von den Ansichten konziliarer Theologen 00"
Kanonisten auch die späteren Aussagen Luthers über
Papst und Konzil, die 1518 noch z.T. entschieden „papst-
freundlich" lauteten, in einem neuen Licht erscheinen
könnten. In manchen selbständigen Arbeiten ist B. dieser
Frage bereits nachgegangen. Bäumer erhärtet die schon
von H.Jedin vertretene Auffassung, daß Ansichten übei
die Konzilsberufung im Notstand keineswegs immer BW
konziliaristische Einflüsse zurückzuführen sind. Auch entschiedene
Vertreter der „päpstlichen Vollgewalt" (S.4J)
glaubten um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert
nicht auf das Notventil des Konzils gegenüber dem Papst
verzichten zu können. Ugonius gibt als Meinung aller