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Ausgabe:

1972

Spalte:

591-593

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Ernst

Titel/Untertitel:

Jesus 1972

Rezensent:

Haufe, Günter

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Seite 1, Seite 2

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591

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 8

592

vom nichtlukanischen zu scheiden. Aber wem sage ich das 1
Sch. selbst hat ja doch für die sprachliche Scheidung zwischen
Tradition und Redaktion im dritten Evangelium
die Pionierarbeit geleistet, und man kann nur wünschen,
daß sein Lukaskommentar, auf dessen zweite Hälfte wir
warten, dieser Aufgabe neue Impulse vermitteln möge. Es
ist dafür hohe Zeit.

Göttingen Joachim Jeremias

Fuchs, Ernst: Jesus. Wort und Tat. Tübingen: Mohr 1971.
IX, 159 S. 8° = Vorlesungen zum Neuen Testament, 1.
DM 17,—.

Dieses Jesus-Buch fällt in mehr als einer Hinsicht aus
der Reihe der neueren Jesus-Bücher heraus. Einmal schon
dadurch, daß es einfach den Text einer Vorlesung wiedergibt
, die der Vf. bereits im Sommersemester 1963 gehalten
hat. Formal ist sie in demselben eigenwilligen exegetisch
-meditativen Stil gehalten, der alle Veröffentlichungen
des Autors kennzeichnet und sie einerseits überaus
anregend, andrerseits so leicht verworren erseheinen
läßt. Inhaltlich bietet F. keine abgerundete historischsystematische
Darstellung seines Gegenstandes, wie sie
heute üblich ist, sondern gewissermaßen Variationen über
„das Geheimnis des historischen Jesus" (9). Und dies
unter Abbiendung aller biographischen und soziologischen
Details! Offensichtlich ist F. bemüht, den Begriff des
„historischen Jesus" einerseits festzuhalten, andrerseits
hermeneutisch aufzusprengen, so daß er methodisch legitim
nach der „ontologischen Seite des Problems der Offenbarung
" gerade im Blick auf den historischen Jesus fragen
kann bzw. danach, ob das urchristliche Taufbekenntnis
recht hatte, als es den historischen Jesus „Sohn Gottes
" nannte (9). Eben darin sieht F. den „hermeneutischen
Umschwung", der aus der „Sackgasse" der neutestament-
lichen Wissenschaft herausführen kann. Ob er freilich
dies wirklich zu leisten vermag und nicht umgekehrt in
ein methodisch und begrifflich verunsichertes Gelände
führt, darüber dürften die Akten noch nicht geschlossen
sein.

Das Ergebnis solcher Fragestellung deutet schon die
„Vorrede" an: „Thema probandum ist nach wie vor die
Eschatologie. Ich meine, gerade sie sei von dem Jesus der
Gleichnisse verinnerlicht worden. Das wollte diese Vorlesung
zeigen. Man gerät so in die Nähe eines sakramentalen
Geschehens, das Glauben fordert und gewährt."
Solche am Ende „sakramentale Interpretation der Verkündigung
Jesu" (106) bildet das hermeneutische Rezept,
das nach F. aus dem gegenwärtigen Dilemma der Theologie
herausführen kann.

Auf die damit berührten Vorüberlegungen zum Thema
der Vorlesung (1-9) folgt ein Kapitel „Einübung" (11-25).
Die Auslegung von Mk 10,17-31 zeigt, daß Gott selber
gewinnt, wer die Zukunft wählt, und daß Jesus seinem
Wort vorausgeht, insofern sein Wort an ihm selbst anschaulich
wird. Die Auslegung von Mt 20,1-16 macht
deutlich, daß „die verborgene Pointe" der Parabel die ist,
daß Gott „auf dem Recht seines Wunders besteht", nämlich
des Wunders seiner Güte, womit die Frage nach der
Vollmacht Jesu gestellt ist.

Kap.3 handelt vom „Standpunkt Jesu", an dem Jesus
nach Auffassung der Evangelisten anzutreffen ist (26-46).
Hier führt die Auslegung der Parabel vom Schalksknecht
Mt 18,23-35 zu der Einsicht, daß Jesus mit dem Ereignis
der Barmherzigkeit des Herrn in der Parabel selber die
Barmherzigkeit „vermittelt" und insofern anschaulich
macht, daß seine Person „das Ereignis der Barmherzigkeit
ist" (32). Das Kerygma „präzisiert" dann nur den
Standpunkt Jesu, nämlich das Entweder-Oder seiner
Person: „Entweder siehst du Jesus, und zwar den historischen
Jesus, auf der Seite Gottes oder nicht, und davon
hängt alles ab. Das ist auch der eigentlich hermeneutische
Sinn der Frage nach dem historischen Jesus, wie wir sie
verstehen" (36). So führen gerade die Parabeln aus dem
Mt-Sondergut zu der Erkenntnis: „Von Gott kann und
muß jetzt so geredet werden, wie Jesus von ihm spricht.
Das Thema probandum ist Gottes Gegenwart in der
Gegenwart Jesu" (40). Freilich darf das nicht substantiell
verstanden werden, sondern im Sinne des „Sprachereignisses
", durch das Jesus den Glauben an Gottes wunderbare
Gegenwart schon in der Welt der Sünde gewährt -,
womit erwiesen ist, daß Jesus kein Ethiker war. F. erwägt
sogar, ob Jesu Kreuz bei den Jüngern gerade nicht
Erschütterung, sondern das volle Verstehen ausgelöst
hat.

Kap. 4 verdeutlicht „Jesu Verhalten" an der Heilung
des epileptischen Knaben Mk 9,14-27 (47-57). Negativ
betont F., daß die übliche Charakterisierung Jesu als
theios aneer verfehlt ist. Positiv lautet das Ergebnis:
,, Jesus verhält sich so, daß er sich nur mit den zum Glauben
Berufenen sozusagen identifiziert. Das Wortspiel
in Mk 9,23 besagt, daß Jesus auffordert, in seinem Namen
Gottes Gegenwart in Anspruch zu nehmen. Gott will da,
wo Jesus ist, Glauben finden, in Anspruch genommen
sein. Deshalb dient Jesu Verhalten nicht einfach der
Leibesnot, sondern der ewigen Errettung" (57).

Kap. 5 entfaltet das „Entweder-Oder", vor das der
Anspruch Jesu den Hörer stellt, anhand der Antithesen
der Bergpredigt (58-72). Der antithetische Stil, auch wenn
er sekundär ist, entspricht genau dem Anspruch der Verkündigung
Jesu: „Jesus spricht als Stellvertreter Gottes
das Wort Gottes unmißverständlich neu"; er macht
„seine eigene Zeit ... als neue Zeit geltend" (70), was zugleich
bedeutet, daß „die Anwesenheit Gottes" in allen
Antithesen „als Wunder vorausgesetzt" ist (71). Eine
nur ethisierende Auffassung verkennt „den Wundercharakter
des Seins Jesu", der sich gerade in seinem Einlassen
auf die Sünder äußert, in dem „etwas vom Reichtum
und Überfluß Gottes" zum Vorschein kommt (72).

Kap. 6 dringt unter der Überschrift „Die Entscheidung
des Glaubens" auf ein neues, quasi sakramentales Verständnis
der Gleichnisse Jesu (Mt 13), für das Reich
Gottes und Glaube auswechselbare Größen sind (73 bis
99). „Ein Gleichnis ist ein dem Hörer zuvorkommendes,
ihn zu seinem Heil ablenkendes, ihn daher nicht nur
mahnendes, sondern auch bewegendes und daher in der
Tat dem Sakrament vergleichbares Wort" (77). Als
solches Wort, nämlich als Sprachereignis, dem im Unterschied
zum Sprechereignis die Kraft des Einlassens innewohnt
, sprechen die Gleichnisse die Zeit des Glaubens zu.
Zugleich „vollenden" sie Jesu Person (88), sind sie „lichtvolle
Selbstzeugnisse Jesu" (94), mit dem Jesus U>
seinen Hörern Gott riskiert (96). ((

Kap. 7 behandelt „Die christologische Fragestellung
(100-109). Christologiscli greifbar ist nur das egoo des
legoo hymin. Im übrigen gilt: „Jesus muß als Verkündiger
jede Selbstbezeichnung ablehnen, nicht nur, wen
die Bezeichnungen nicht ausreichen, sondern weil er Verkündiger
ist", der durch sein Wort den Hörer „in die
Nähe Gottes als Wunder" einführt (104f.). Oder anders
formuliert: „Als Verkündiger der Basileia ist er gerade der
Geber der Basileia. Verlangt ist also eine sakramentale
Interpretation der Verkündigung Jesu" (106). So ist das
Unmessiamsche des Auftretens Jesu eine innere Notwendigkeit
, die aus seiner „Selbstpreisgabe als Verkündi-
ger Gottes" resultiert (107).

Kap. 8 endlich reflektiert über „Die Notwendigkeit
des Glaubens im Horizont verfremdeter Wirklichkeit
(110-124). Im Gegenzug zur üblichen religionsgeschichtlichen
Auslegung verficht F. die These: „Erst die Evangelien
haben die Dämonisierung der Welt auf die Bahn ge-