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Ausgabe:

1972

Spalte:

590-591

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schürmann, Heinz

Titel/Untertitel:

Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien 1972

Rezensent:

Jeremias, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 97 Jahrgang 1972 Nr. 8

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lieferten Jesus-Logien beibringen; und gerade in bezug
auf die Bergpredigt ist solches Verfahren ja auch schon
mehrfach „durchgespielt" worden (vgl. z.B. P.Fiebig,
Jesu Bergpredigt Rabbinische Texte zum Verständnis
der Bergpredigt ins Deutsche übersetzt, Göttingen 1924).
2u welchen Ergebnissen solches Verfahren aber führt,
wird um nur ein Beispiel zu nennen - besonders un den
Ausführungen des Vf.s zu Mt 5,38ff. bzw. zu Mt 5,43 ff.
deutlich (S.öOff.): Das „Neue" an der Lehre Jesu in der
Bergpredigt besteht in einem „auf die Spitze getriebenen"
Babbinismus! (S.52f.; vgl. auch S.2 und S.85f.). Letztlich
läßt sich das methodische Verfahren des Vf.s nur aus
einer ganz bestimmten Absicht verstehen, die ihn bei sei-
"ei Interpretation sowohl der rabbinischen Texte wie
auch der "Gospel teachings" geleitet hat und die durch
»USZeitgeschichtlich bedingt ist (vgl. dazu auch E.Mihaly :
S.XV und S. XVI): Das ganze Wei l; von Montefiore dient
ij« Grunde wie E. Mihalv formuliert (S. XXI) einer
"«Position of Liberal Judaism" (vgl. auch S. VI II f.

llf. und S.XIX), woraus im übrigen auch der Vf.
selbst keinen Hehl macht: "I look at both the Gospel and
Etabbinic material through the spectacles of Liberal
Judaism" (S.XXXIX). Dementsprechend ist dann auch
das Bemühen des Vf.s fast durchweg darauf gerichtet, die
grundsätzliche Übereinstimmung der Lehre Jesu bzw.
der "Gospel teachings" mit dem rabbinischen Judentum
aufzuweisen (vgl. hierzu besonders die ausführliche Erörterung
der „Antithesen" der Bergpredigt, S.38ff., und
besonders zu Mt 5,43ff.: 8.59-111; weiter: S.160ff.
-Ol ff. and S.312ff.).

Jedoch wäre der tatsächliche Wert des Buches zu sehr
relativiert, wollte man in ihm nichts anderes als eine Darstellung
der Position eines „liberalen Iteformjudentums"
sehei». Ganz abgesehen davon, daß in einzelnen Fällen
doch immerhin der Versuch gemacht wird, zwischen der
Lehre Jesu und den entsprechenden rabbinischen Texten
«u differenzieren (vgl. z.B. S.221 ff. 237ff. 299), behält
das Werk auch heute noch seinen Wert vor allein als Ergänzung
und Korrektur der Materialsam ml ung von P. Bil-
'erbeek (vgl. auch das Urteil von E.Mihaly: S.X und
^•XXIl,n.l6; ähnlich urteilten bereits M. Guttinann und
»■Sandniel: ebd., S.XXIII, n.25, sowie P.Fiebig, in:
IhLZ 5ti, 1931, Sp.271f.). Besonders hinzuweisen ist in
diesem Zusammenhang u.a. auf die energische Stellungnahme
des Vf.s gegen eine offensichtlich durch die lutherische
Position von P. Billerbeck bedingte „paulinische"
Interpretation bestimmter Texte aus der Bergpredigt
(S.5.17f.; vgl. auch S.201.291). Auf solche Weise werden
hier zugleich sehr deutliche Warnschilder gesetzt angesichts
eines z.T. bis heute noch wirksamen polemisc h -
apologetischen Bemühens, allzu schnell und allzu vordergründig
die schlechthinnige „Originalität" Jesu und des
Urchristentums im Gegenüber zum Judentum ihrer Zeit
■0 behaupten. Kein Zweifel, daß Montefiores Buch gerade
[n dieser Hinsicht auch heute noch seinen Dienst tun
^anu und wird.

Abschließend ist noch auf einen Sachverhalt grundsätzlicher
Art hinzuweisen: Implizit jedenfalls wird auch durch
dieses Buch wiederum die alte und stets neue Frage nach
dem Verhältnis Judentum Christentum gestellt. Wie der
VI- selbst diese Frage beantwortet hat, ist deutlich: "Iiis
concern was to demonstrate that Judaism and Christianity
shared, by and large, the same spiritual and ethical goals"
(E.Mihaly: S.XVI). Nach kritischer Lektüre des Buches
*ird man sich solche Auffassung nicht in jedem Falle zu
eigen machen können trotz der vom Vf. beigebrachten,
einzelnen durchaus beeindruckenden Parallelen.
H.Loewe seinerseits betrachtet die Dinge offensichtlich
auf einer anderen Ebene, wenn er am Ende des einen seiner
Beiträge formuliert (S.389): "The test is not the legal
"etion, not the institution, but the effect of the soteriology

on life. Judged by this test and not by a few carefully
selected details, ... the Rabbinic and the Christian Systems
, widely different but eacli appealing to millions of
human souls, may be declared not to have crashed but
to be fulfilling their God-ordained purpose". Dieser Formulierung
ist - da die Dinge hier nunmehr auf die eigentliche
Existenzfrage des Judentums wie des Christentums
hinauslaufen - an dieser Stelle nichts mehr hinzuzufügen.

Jona QanfeFriedrich Weiß

Le Deaut, R.: Un phenom£ne spontane de l'hermeneutique
juive ancierme: Ig "targumisme" (Bibl 52, 1971 S.505-525).

NEUES TESTAMENT

Schiumann, Heinz: Traditionsgeschichtliche Untersuchungen
zu den synoptischen Evangelien. Düsseldorf: Patmos-Verlag
[1908]. 367 S. gr. 8° = Kommentere und Beiträge zum
Alten u. Neuen Testament. Lw. DM 44,—.

In der Reihe „Kommentare und Beiträge zum Alten
und Neuen Testament" hat Heinz Schürmann, Professor
für neutestamentliche Exegese am Philologisch-Theologischen
Studium in Erfurt, zwei Bände gesammelte Aufsätze
erscheinen lassen. Der erste (hier anzuzeigende)
Band trägt den Titel „Traditionsgesehichtliehe Untersuchungen
zu den synoptischen Evangelien" und geht der
synoptischen Überlieferung von den vorösterlichen Anfängen
bis zur lukanischen Redaktion nach; der zweite
Band „Ursprung und Gestalt" (Düsseldorf 1970) hat
stärker „bibel-pastoralen" Charakter und möchte einen
breiteren Kreis ansprechen. Die 18 (sämtlich bereits früher
erschienenen) Aufsätze des ersten Bandes sind durch
Literaturnachträge ergänzt, im übrigen aber nur unwesentlich
redigiert.

So ist viel Gutes über diese 18 Aufsätze zu sageu. Das
fängt beim Äußerlichen an: der alles andere als einfache
Satz ist von vorbildlicher Zuverlässigkeit. Auf den Inhalt
gesehen wird vielen Lesern die subtile Analyse des
lukanischen Sprachgebrauchs, zu der verstreut an zahlreichen
Stellen Material geboten wird, das Wichtigste
sein; auf diesem seinem ureigensten Forschungsgebiet
entfaltet der philologisch vorzüglich geschulte Verfasser
sehr wertvolle Einzelkenntnisse. Dankbar für die vielen
linguistischen und sprachstatistischen Informationen wird
der Leser den mit Stellenangaben überladenen Satzbau
in Kauf nehmen und sich auch mit der erstaunlichen Hypothesenfreudigkeit
des Vf.s abfinden (ein Beispiel für
viele: Lk 11,27f. soll aus einer schriftlichen Quelle, die
auch Matthäus zugänglich war, stammen, von Matthäus
jedoch übergangen worden sein, dem aber das Stichwort
xoMa erinnerlich blieb, das ihn zum Ausbau von Lk 11,30
zu der Prophetie Mt 12,40 veranlaßte).

Da der Vf. auch seine ausführliche Rezension von Kr
Rehkopf, Die lukanische Sonderquelle. Ihr Umfang und
Sprachgebrauch (WUNT 5), Tübingen 1959, wieder abdruckt
, muß zu dieser Besprechung, die auch mich anredet
, ein Wort gesagt werden. Schürmann unterstellt
dem Buch von Rehkopf die Absicht, daß es die Spracheigentümlichkeit
einer protolukanischen Redaktion herausarbeiten
wolle und kritisiert diese angebliche Absicht
auf 16 Seiten. Das ist ein mir völlig unerklärliches Mißverständnis
. Rehkopf hat schlechterdings nichts dergleichen
im Sinn, sondern will lediglich Kennzeichen
nichtlukanischen Sprachgebrauchs ermitteln. Er hat damit
methodisch Wichtiges für die lukanische Redaktionsgeschichte
geleistet. Denn diese hängt völlig in der Luft,
wenn sie sich nicht bemüht, als Allererstes so sorgfältig
wie möglich das lukanische Gut sprachlich - stilistisch