Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1972

Spalte:

567-572

Autor/Hrsg.:

Müller, Gerhard

Titel/Untertitel:

Edition der Werke des Andreas Osiander 1972

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

567

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 8

568

nicht mehr bloß ratschlagend mit bei mir selbst feststehender
Entscheidung die heilsamen Entschlüsse, die
im Gange waren, behinderte, so daß ich deshalb schwere
Drangsale und Beschwerden erlitt. Aber deshalb durfte
ich doch nicht hartnäckig verstockt gegen die Wahrheit
bleiben, weil anders zu meinen mich die Unwissenheit eine
Weile gezwungen hatte". Und dann folgt der Rückgriff
auf Gal2,ll in der Interpretation Cyprians; Pelagius
schreibt an Sapaudus: „Die Meinung des seligen Cyprian
geht vor, in der er den Apostelfürsten als Beispiel nennt
und daran erinnert, daß dieser sich von Paulus habe zurechtweisen
lassen. Cyprian fügt sogleich hinzu: Damit
hat er uns ein Beispiel der Eintracht und Geduld gegeben,
daß wir uns nicht hartnäckig an die eigene Meinung verlieren
, sondern was von Brüdern nützlich vorgebracht
werde, wenn es wahr und rechtmäßig ist, uns zu eigen
machen sollen..." (MG, Ep.III, S.443). Pelagius beruft
sich dann auf Augustin, der in seinen retractationes auch
bereit gewesen sei, frühere Irrtümer einzugestehen und zu
verbessern. So liegt der Gedanke im Bereich des Möglichen
, daß Pelagius auch bei seinem Rückgriff auf
Cyprians Auslegung zu Gal2,llff. gar nicht direkt auf
Cyprian fußt, sondern diese Stelle aus der Taufschrift
des Augustin kennt. Aber vielleicht kannte er auch diesen
Cyprian-Brief und ließ nun ganz bewußt den ursprünglich
antirömischen Akzent weg. Ein Papst, der sich auf den
irrenden Petrus von Gal 2,11 ff. beruft, ist ja auf jeden
Fall ein erstaunliches Bild. Man muß aber beachten, daß
sich der Papst Pelagius I. zu dieser Meinungsänderung
durchgerungen hat, weil sein Vorgänger Vigilius eine entsprechende
Entscheidung getroffen hatte. Es war eben
der damalige Diakon Pelagius, der geirrt hatte, nicht
etwa der nachmalige Papst Pelagius. Dennoch sagte
E.Caspar in seiner Geschichte des Papsttums mit gutem
Grund, daß dieses „Cyprian-Zitat über den irrenden Petrus
im Munde eines Papstes doch in Hinsicht auf den Lehrprimat
höchst gefährlich" war (II, S.303). Letztlich sah
man es damals in den Kirchen des Abendlandes doch so,
daß Papst Vigilius und sein erst so tapferer Berater und
späterer Nachfolger Pelagius in Byzanz „umgefallen"
waren. Nun bittet Pelagius um „Eintracht und Frieden",
wie ihn einst Petrus und Paulus in Antiochien bewiesen
hätten, zwar nicht nach dem Wortlaut von Gal 2, aber
doch in der Auslegung dieser Stelle durch Cyprian. Wahrscheinlich
war diese Stelle Gal 2,11 ff. für Pelagius innerlich
hilfreich zur Bewältigung jener Verhältnisse: Nicht
nur er war schwach gewesen und hatte seine Meinung
ändern müssen, auch sein erster Amtsvorgänger Petrus
hatte innerhalb der Kirche mit Mißverständnis und
Widerspruch zu ringen. Ob die Zeitgenossen im Abendland
ihm dieses Argument abgenommen haben, ist sehr zu bezweifeln
: Es ist doch ein Unterschied, ob sich der irrende
Petrus von dem Mitapostel Paulus zurechtweisen ließ
oder ob ein Nachfolger Petri sich vom byzantinischen
Kaiser Justinian unter Druck setzen läßt. Pelagius freilich
hätte sich wohl verteidigt mit dem Argument, daß
für ihn nicht Justinian, sondern sein Amtsvorgänger
Vigilius der „zurechtweisende Paulus" gewesen sei.

Die Ergebnisse lassen sich in drei Punkte zusammenfassen
: Da ist zunächst der rein formale historische Befund
. Der Jubilar, dem diese Zeilen gewidmet sind, kennt
sicher aus seiner jahrzehntelangen Arbeit an mittelalterlichen
Texten eine Fülle ähnlicher Vorgänge: Bibelworte
werden zitiert, gleich gekoppelt mit der Auslegung
eines älteren Kirchenvaters. Wie oft mag wohl auch Meister
Eckhart die Bibel zitiert haben im Rahmen etwa
einer Augustin-Auslegung! Dieser historische Vorgang,
der nicht nur die Wirkungsstelle einer Bibelstelle, sondern
dazu auch die Wirkungsstelle einer Auslegung im Auge hat,
kounte hier an einem besonders instruktiven Beispiel dargestellt
werden. Einmal ist schon die Auslegung Cyprians
zu Gal 2,11 ff. eigenwillig, indem er den Text so ergänzt,
daß Petrus ausdrücklich dem Paulus zugestimmt habe
aus Gründen der Vernunft. Um so schöner wird erkennbar,
wie solche Auslegung jeweils nach eineinhalb Jahrhunderten
wieder aufgenommen wird und dabei jedes Mal
wieder in einen völlig neuen Kontext gestellt werden
konnte. Das zweite Ergebnis betrifft die Papstgeschichte:
Cyprian hatte im Ketzertaufstreit 255 den Paulusbericht
Gal 2,11 ff. eigenwillig interpretiert als documentum con-
cordiae et patientiae. Sein Ziel war es, den erstmals auftauchenden
, auf Petrus begründeten, Primatsanspruch
aus Rom zurückzuweisen. Äugustin greift in vier anti-
donatistischen Schriften um 400 zurück auf Gal 2,11 im
Zusammenhang mit der Berufung der Donatisten auf
Cyprian. Daß Gal 2,11 bei Cyprian ursprünglich zur Abwehr
eines römischen Anspruchs herangezogen wurde, ist
bei Augustin nicht mehr erkennbar. Bei dem Zitat des
Papstes Pelagius im Jahre 557 hat sich die Lage erneut
geändert : Für ihn geht es darum, den römischen Primat
im Abendland hindurchzuretten, allen Verdächtigungen
und Feindschaften zum Trotz. Mit dieser Zielsetzung zitiert
er Gal 2,11 in der Auslegung Cyprians. Die theologisch
aktivsten Gegner sind Nordafrikaner: Facundus von
Hermiane und seine Freunde. Es geht also um dieselbe
Frontstellung zwischen Rom und Nordafrika, es geht uro
dieselbe Bibelstelle und dieselbe Auslegung! Um so deutlicher
ist der Unterschied: Einst zitierte Cyprian die
Stelle zur Abwehr päpstlicher Ansprüche, drei Jahrhunderte
später zitiert der Papst Pelagius I. diese Stelle
zur Aufrechterhaltung dieser päpstlichen Ansprüche. Noch
ein 3.Gesichtspunkt sei hinzugefügt: Über alle zeit-
gebundene kirchenpolitische Taktik hinaus, die 255 bei
Cyprian ebenso wirksam war wie um 400 bei Augustin
und 557 bei Papst Pelagius, könnt« diese cyprianische
Auslegung von Gal 2,11 ff. für uns heute etwas bedeuten-
Die Interpretation der Auseinandersetzung zwischen
Petrus und Paulus in Antiochien im Sinne eines documentum
concordiae et patientiae muß keine Fehlinterpretation
sein. Wohl hätte Paulus es in Gal 2 berichtet,
wenn Petrus ihm sogleich zugestimmt hätte; aber letztlich
stand Petrus doch der Meinung des Paulus nahe. Je;
denfalls könnte auch uns geholfen sein, wenn wir bei
theologischen Auseinandersetzungen in unserer Zeit diese
alte Auslegung Cyprians zu dem Bericht des Paulus in
Gal 2,11 ff. mit bedenken würden.

Edition der Werke des Andreas Osiander

Von Gerhard Müller, Erlangen

Man wird fragen müssen, ob es ratsam ist, schon wieder
eine neue Ausgabe in Angriff zu nehmen. Bekanntlich hat
man sich im 19. Jh. mit Quellenpublikationen zur Reformationsgeschichte
übernommen. Günther Franz formulierte
1954: „Nicht nur die .Reichstagsakten', auch die
Ausgaben der .Akten zur Kirchenpolitik Herzogs Georgs
von Sachsen' oder der politischen Korrespondenz des Kurfürsten
Moritz von Sachsen und des Herzogs Albrecht von