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Ausgabe:

1972

Spalte:

519-522

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Siggins, Ian D. Kingston

Titel/Untertitel:

Martin Luthers doctrine of Christ 1972

Rezensent:

Beintker, Horst

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 7

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von Worms auch den Kaiser unter die Laien rechnet, dann
kann man das gleiche in den Briefen Rathers lesen, eines
der leidenschaftlichsten Protagonisten der Kirchenpolitik
Ottos d. Gr.

Wenn aber diese Art von Tendenzkritik an den Quellen
versagt, dann bleibt nichts übrig, als eben diesen Quellen
die Frage nach den Diözesanrechten spezifizierter noch einmal
zu stellen. Hier scheinen mir die Dinge bei weitem
so klar nicht zu liegen, wie Erzbischof Wilhelms Brief von
955 glauben machen möchte. Nichts scheint leichter, als
Sprengelgrerazen und Besitzgrenzen auseinanderzuhalten.
Aber wie sehr komplizieren die Dinge sich im kirchlich
nicht fest organisierten Missionsgebiet, zu dem der Ostteil
des Mainzer Sprengeis nun einmal gehörte. Noch der Zehntstreit
des 11. Jh.<s zwischen Mainz und Hersfeld zeigt, wie
tief die jahrhundertelang nicht bereinigte Rechtsunsicherheit
reicht. Ebensowenig geklärt scheint mir die Frage nach
der Abgrenzung der Wirkungsbereiche der Bistümer Mainz
(also nicht des Erzbistums Mainz) und Würzburg im frühen
Mittelalter. Im Bistum Naumburg z. B. lassen sich Würzburger
Einflüsse bis ins 14. Jh. verfolgen.

Und an dieser Stelle regt sich in mir ein gewisser
Widerspruch gegen den Titel, den Quiter seinem Buch gegeben
hat. Er nennt es Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte
der Kirchenprovinz Magdeburg. Was er bietet,
ist aber eine Nachzeichnung der verschiedenen Stadien der
Errichtung des Magdeburger Erzbistums. Eine Geschichte
der Kirchenprovinz müßte den Kreis der Untersuchungen
sehr viel weiter ziehen. Sie müßte nach dem Verhältnis
zur Hamburger Kirchenprovinz fragen, für die das Jahr
948 nicht weniger wichtig ist als für die Magdeburger.
Ebensowenig käme sie vorbei an einer Erörterung der
Posener, der Prager und der Meißener Frage. Der Sachkenner
weiß, welche Labyrinthe sich hier angesichts der
umstrittenen Urkundenüberlieferung auftun.

So berechtigt Quiters Feststellung (S. 176) ist, daß wir
eine Erweiterung des zur Verfügung stehenden Quellen-
materiales nicht mehr zu erwarten haben, so scheint mir
doch, daß Fortschritte in der Erhellung dieses Materials in
mehr als einer Hinsicht möglich sind. Eine wurde oben
angedeutet. Eine andere könnte darin bestehen, das theologische
Profil der einflußreichsten Ratgeber Ottos herauszuarbeiten
. Ob nicht das Vorurteil des saeculum obscurum
beteiligt war, wenn Historiker und Theologen sich haben
abhalten lassen, einem Brun von Köln, Rather von Verona
oder Liutprand von Cremona so eindringliche Studien zu
widmen, wie es z. B. Beumann gegenüber Widukind von
Corvey und Einhard mit so sichtbarem Erfolg getan hat?

Hoffentlich zeigt die Rezension, wie rekhe Anregung
wir diesem gediegenen Buch verdanken, dessen zuverlässige
Hilfe kein künftiges Studium der Kirchengeschichte
Magdeburgs wird missen mögen.

Naumburg Wolfgang Ullmann

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Siggins, Jan D. Kingston: Martin Luther's Doctrine of
Christ. New Häven and London: Yale University Press
(1970). XI, 331 S. gr. 8° = Yale Publications in Religion,
14.

Luthers Christologie zählt zu den schwierigen Problemen
der Forschung. Man muß nicht erst bis zu Andreas Oslanders
mißglücktem Versuch, Luthersche Christologie und
Rechtfertigungslehre richtig zu verbinden, zurückgehen,
um zu erfahren, welch dornigen Weg die Deutungsversuche
beschreiten. Dem Erkenntnissuchenden geben auch die Bemühungen
K. Holls, E. Vogelsangs, E. Seebergs, H. Thim-

mes, W. Maurers u. a. trotz aller Förderung der Problem-
läge noch keine befriedigende Antwort. Man kann es
daher verstehen, daß der neu in diese Forschung Eintretende
sich für die Auseinandersetzung mit den bereits
vorliegenden Entwürfen bekannter Lutherforscher erst in
Luther selbst umschauen möchte. Siggins ist kein Lutheraner
und hat wenig Vertrauen in die Sekundärliteratur bekundet
, obschon er sich verschiedenen Werken der Lutherrenaissance
verpflichtet fühlt, sofern sie „erfreulicherweise
Protestanten und Katholiken vereine. Die auswählende
Sammlung aus der Weimarer Gesamtausgabe führt Siggms
zu einer geordneten Darstellung des erhobenen Materials;
zu einer Sichtung und Einordnung der Darlegungen Luthers
zu Person und Werk Christi nach systematisch-theologischen
Gedanken gelangt er aber nicht, ebenso zu keiner Diskussion
oder Fortführung bisheriger Versuche dieser Art, wohl
nicht nur deshalb, weil er sie für unangemessen hält. „Be"
kanntschaft mit der Sekundärliteratur hat mich überzeugt,
daß eine frische, induktive Beschreibung der Quellenbefunde
(description of the Originals) hilfreich sein würde" (3).

„Hilfreich" für zutreffendes Lutherverständnis können
Sammlung, Ordnung und Beschreibung vorfindlicher

Äußerungen
über Christus schon sein, aber die gewählte induktive
Methode, mit der Luthers eigener Art, Christus zu
predigen, nachgegangen werden soll, hat auch bestimmte
Schwächen. Sie macht z. B. blind gegen die längst fest"
gestellten Zusammenhänge zwischen Rechtfertigungs- und
Versöhnungslehre bei Luther, wonach auch traditionelle
Wendungen aus der Christologie, bei denen Siggins viel
Fehlinterpretation Luthers befürchtet (267), ihre Funktion
und ihren Sinn durch ihre Einordnung in die Rechtfertigungslehre
erhalten. Doch wie geht Siggins im einzelnen
vor?

Einen neuen Zugang zu Luthers Lehre von Christus
sucht Siggins zu finden, indem er mit Luthers Vorhaben
Ernst machen will, das mit WA 45, 511, 4 ff. zu Joh 14.17
darin besteht, „des Christen einzige Kunst" zu üben: "t0
learn Christ aright" (1). Wie dem Ansatz nach zu erwarten
und durch das "Register of Luther Citations" (277-315)
bestätigt ist, wird das johanneische Material für die Predigt
von Christus bei Luther bevorzugt. „Daß seine GlaU'
benspredigt mindestens ebenso johanneisch wie paulinisch
ist" (9 f.), hofft Siggins entgegen der allgemeinen Überzeugung
, daß Luther ein ,Paulinist' ist, zeigen zu können-
Der paulinische Einfluß wird nicht geleugnet, aber Luthers
Hochschätzung des johanneischen Gedankenguts, insbesondere
für die christologische Frage, wird ihm Übergeordnetin
der Einführung und im Nachwort stehen methodische
und grundlegende Einsichten über die vorgenommene
Untersuchung. Methodisch zwinge schon das Materia'
zum induktiven, will heißen nach- und beschreibenden Vorgehen
. Luther predige Christus und reflektiere keine
Christologie. Er habe Genie, das Wesentliche eines Textes
zu erfassen, es auch in den Kontext und in den Gesamtzusammenhang
der Bibel zu stellen. Luthers eigene Warnung
vor Hochschätzung seines Frühschrifttums wird streng be"
folgt und Material vor 1520 nur vergleichsweise herangezogen
. Zuerst wurde das Vokabular der Christuspredig1'
dann die Thematik (also die Sachproblematik!?) ausgewertet
; denn „richtige hermeneutische Auslegung" dürfte nicht
vom Grammatischen ausgehen, sondern müsse zu ihn*
hinführen. Dieser überspitzte Grundsatz beruft sich auf
einen an sich bekannten und oft zitierten philosophischen
Satz; er kommt in der Bearbeitung von Luthers Genesis-
vorlesungen (z. B. WA 42, 195,3-21; 272,13 ff.; 358, 33 ff-;
597,17-20; 598,17 f.; 599, 6 f.) theologisch reflektiert vor
und gipfelt stets in der Forderung: zuerst die Sache, dann
die Worte! „Non enim ex verbis nascuntur res, sed verba
ex rebus" (WA 43,144,9 f.). - Die Berufung auf eine solche
Unterscheidung, wenn methodisch im einzelnen doch immer
von Titeln und Namen, die freilich im apostolischen Wort