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Ausgabe:

1972

Spalte:

517-519

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Quiter, Eduard

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte der Kirchenprovinz Magdeburg 1972

Rezensent:

Ullmann, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 7

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Genüssen der domini (3, 290 ff.), der allgemeinen Geldgier von Halberstadt gegen die Magdeburgpläne Ottos allein

(i 886- 911) oder der Dialog eines Schlemmers mit seinem auf hierarchischen Starrsinn zurückführt. Dagegen kann

'ener bzw. Koch (4,205-220) und vieles andere. Der Quiter zeigen, daß der Kaiser offenbar selbst der Meinung

marcius würde einer sozialkritischen Untersuchung sicher- war, da5 die diözesanrechtlichen Belange nicht umgangen

>ch reichen Stoff bieten. Die Grundlage für derartige oder mit Gewalt beiseite geschoben werden durften. Eben-

ntersuchungen, eine moderne Ausgabe mit ausführlichem so triftig wie erhellend erscheint mir Quiters Einspruch

ommentar, liegt nun in mustergültiger Form vor. Eine gegen Lintzels These von der Nutzlosigkeit der Italien-

ankenswerte Aufgabe, und sehr zu begrüßen wäre es, politik Ottos hinsichtlich der Magdeburger Pläne. In der

wenn sich der Hrsg. nun auch zu einer Prosaübersetzung Tat: Wer verfassungsgeschichtlich denkt, erkennt sofort,

. Deutsche entschließen könnte, da das Gedicht - bisher welches Interesse Otto an der Mitwirkung der Päpste bei

unübersetzt - erst von da aus für breitere interessierte seinen Bistumsplänen haben mußte. Aber wie sollte diese

reise voll zugänglich würde, die noch durch das latei- Kirchenpolitik ohne Italienpolitik realisiert werden? Auch

n'sche Sprachgewand abgehalten werden, sich mit der in der heißumstrittenen Frage nach der Unterstellung des

heologiegeschichtlich, philologisch (Nachwirkung der An- Bistums Posen unter das Erzbistum Magdeburg vermag die

l'ke) und kulturhistorisch bemerkenswerten Schrift in- von Quiter vertretene kirchenrechtliche Betrachtungsweise

tensiver zu beschäftigen. Der erste wesentliche Schritt dahin die zum Glück schon eingetretene Versachlichung der Dis-

lst mit vorliegender Ausgabe getan. kussion gegen unsachgemäße Aktualisierungen zu sichern.

Leipzig Wlafrled TH ITItMeh Mir scheint sogar, daß die vom Vf. vertretene Fragestellung
Präzisicrungen zuläßt, die in seiner Untersuchung
noch nicht verwirklicht sind. So hat Quiter zweifellos recht,

Q . wenn er (S. 26) Schlesingers Begründung seines bistums-

u"»er, Eduard: Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte geschichtlichen Verfahrens als „typisch protestantisch" kri-

aer K.rchenprovinz Magdeburg. Ein Beitrag zur Ge- tisiert Abcl. wcnn es cin modernistisches Mißverständnis

Richte des kirchlichen Verfassungsrechtes im zehnten jst sich wie Schlesinger die mittelalterliche Kirche als

[1969rndert' Paderb°r": Verlag der Bonifacius Dickere! Gegensatz zu einer spiritualistisch gedachten unsichtbaren

J. 212 S. gr. 8°. Kirche vorzustellen: Heißt es nicht genauso moderne Theo-

Liest man die Darstellung mittelalterlicher Kirchen- logumena einführen, wenn Quiter dem Spiritualismus Schle-

9eschichte in den neuen Handbüchern von Schmidt-Wolf singers die „inkarnatorische Struktur" der Kirche entgegen-

0der Jedin, so festigt sich die Überzeugung: Eine umfas- stellt? Ist es nicht eine Überinterpretation der Kirchen-

sende Neubearbeitung der Kirchengcschichtc des Mittel- konstitution des II. Vatikanum, wenn das Mysterium der

alters, die trotz der noch immer klassischen Darstellung Inkarnation als Begründung der territorialen Verfassung

Vor> Hauck für den deutschen Raum dringend erforderlich der Kirche verstanden wird? Nein, was dem Schlesinger-

I», setzt unter anderen Vorarbeiten auch eine monogra- sehen Spiritualismus entgegengehalten werden muß, ist

Phische Behandlung der wichtigsten Bistümer bzw. Kir- nicht moderne Ekklesiologie, sondern das Kirchenrecht des

. "Provinzen voraus. Wertvolle Beiträge zu solcher Arbeit 10. Jahrhunderts, das sich von protestantischer Ekklesio-
smd für

den sächsischen und magdeburgischen Raum schon logie ebenso grundlegend unterscheidet wie von der des

£Clt einigen Jahren in den von Hoffmann und Sonntag Vatikanum II. So lehrt etwa Rather von Verona: Alles,

^ausgegebenen Studien zur katholischen Bistums- und was der Zuständigkeit des Bischofs untersteht, ist grund

K'ostergeschichtc geleistet worden. Quiters Buch ergänzt sätzlich geistlicher Natur, auch wenn es sich dabei um

Iese Forschungen in ebenso willkommener Weise wie scheinbar noch so „weltliche" Dinge handelt wie Abgaben
Walter Schlesingers Kirchengeschichte Sachsens im Mittel- und Einkünfte, cin Standpunkt, der während des Investier
, die sich ausgesprochenermaßen als Bistumsgeschichte turstreites bei Ivo von Chartres z. B. einer sehr viel diffe-
** drei Magdeburger Süddiözesen Meißen, Merseburg, renzierteren Betrachtung weicht.

Cltz. Naumburg versteht. Dieser Ansatz führt zu einer verschärften Wiederholung
Quiter gliedert seine Darlegungen in fünf Abschnitte, der von Quiter gestellten kirchenrechtlichen Fragen. Welche
deren erster Voraussetzungen und erste Ansätze zur Ent- Diözesanrechte genau waren es, die von den Magdeburg-
Behling der Magdeburger Kirchenprovinz schildert, wäh- plänen Ottos tangiert wurden? Denn wie die meisten
rend die übrigen den Abwandlungen der Magdeburger Autoren scheint mir auch Quiter bei der Interpretation von

'ane Ottos d. Gr. nachspüren, wie sie in den wichtigsten Erzbischof Wilhelms Brief an Papst Agapet die Frage nach

Urkunden 955, 962 und 967 bis zu ihrer endgültigen Rca- den angegriffenen Persönlichkeiten zugunsten der Frage-

'sierung 968 faßbar werden. Den Wert des Buches erhöhen Stellung allgemeinerer Tendenzen in den Hintergrund treten

~le Anhänge, in denen kurz auf die Ortsgeschichte Magde- zu lassen. Dabei wendet sich dieses Schriftstück eindeutig

urgs und auf die Deutung seines Namens eingegangen und gegen Heinrich von Bayern und Hadamar von Fulda und

5"n statistischer Überblick über Otto I. Privilegien für das läßt gegen Ende sogar Zweifel an der Zuverlässigkeit des

|^agdeburger Moritzkloster gegeben wird. Ein besonderer Papstes durchblicken. Und kann ein Opponent gegen die

ank gebührt dem Verfasser für den Abdruck des bisher königliche Kirchenpolitik die Einberufung einer unter der

IIUr 'n Jaffes Bibliothek zugänglichen Briefes von Erzbischof Autorität des Königs stehenden Synode fordern?

Wilhelm von Mainz an Papst Agapet aus dem Jahr 955. Auf S. 85 seines Buches vergleicht Quiter Brun von

as Bild einer sorgfältigen Arbeit wird abgerundet durch Köln mit der königlichen und Wilhelm von Mainz mit der
ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis. päpstlichen Partei des Investiturstreites. So verlockend sol-
Wie Vf. selbst auf S. 176 sagt, war seine Absicht nicht che Vergleiche sind, gerade vor ihnen muß sich der Histo-
s° sehr, neue Forschungsergebnisse vorzulegen, als viel- riker des 10. Jahrhunderts hüten. Denn abgesehen von der
mehr eine Zusammenschau des bisher Geleisteten zu ver- Frage, ob damit die beiden Kirchenfürsten richtig eingesehen
. Als äußerst fruchtbar erwies sich dabei die im ordnet werden - was mir in beiden Fällen zweifelhaft
Untertitel genannte rechtsgeschichtliche Fragestellung. Denn ist - ein Faktum steht allen derartigen Vergleichen ent-
sie bot die Möglichkeit, an wichtigen Punkten der Ent- gegen: die Tatsache, daß Papsttum und Kirchenrecht des
stehungs- und Frühgeschichte des Erzbistums Magdeburg 10. Jahrhunderts vorgregorianisch sind. Ein Bischof, der
über das Dilemma unfruchtbarer Alternativen hinauszu- so eifersüchtig über seinen geistlichen Rechten wacht wie
f"hren. So vermag Quiter mit Recht dem in manchen Dar- Thietmar von Merseburg, kann doch andererseits so
sfellungen begegnenden Bild zu widersprechen, das den reichskirchlich denken, wie das in den Versproömien
Widerstand der Bischöfe Wilhelm von Mainz und Bernhard seiner Chronik geschieht. Wenn das Decretum des Burchard