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Ausgabe:

1972

Spalte:

515-517

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Amarcius, Sermones 1972

Rezensent:

Trillitzsch, Winfried

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Theologische Litcraturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 7

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Reist, John S.: The Lost Harmony. A Study of a Methodo-
logy for Theological Literary Criticism (AThR 53, 1971
S. 174-186).

Rhodes, Erroll: Text of NT in Jerusalem and New English

Bibles (CBQ XXXII, 1970 S. 41-57).
Ru, G. de: De gelijkenis van de onrechtvaardige rechter

(Lukas 18, 1-8) (NedThT 25, 1971 S. 379-392).
Sandvik, Björn: „Knurring" i Det nye testamente, et natt-

verdparenetisk stikkord (NTT 72, 1971 S. 173-180).
Schneider, Herbert: "The Word Was Made Flesh" (CBQ

XXXI, 1969 S. 344- 356).
Scholer, David M.: Bibliographia Gnostica, Supplementum I

(NovTest 13, 1971 S. 322-336).
Stalder, Kurt: Episkopos (IKZ 61, 1971 S. 200-232).
Swetnam, James B.: Hebrews 9,2 and the Uses of Con-

sistency (CBQ XXXII, 1970 S. 205-221).
Talbert, Charles H.: Artistry and Theology: An Analysis of

thc Architecturc of Jn 1,19-5,47 (CBQ XXXII, 1970

S. 341-366).

Thcunis, F. J.: Randbemerkungen zur Theologie Rudolf

Bultmanns (Bijdragen 32, 1971 S. 35-52).
Thompson, William G.: Reflections on the Composition of

Mt 8:1-9:34 (CBQ XXXIII, 1971 S. 365- 388).
Topel, L. John: A Note on thc Methodology of Structural

Analysis in Jn 2:23-3:21 (CBQ XXXIII, 1971 S. 211-220).
Vawter, F. Bruce: The Colossians Hymn and the Principlc

of Redaction (CBQ XXXni, 1971 S. 62-81).
Vicentini, J. I.: La resurreeeiön de Jesus (Stromata 27, 1971

S. 239-293).

KIRCHENGESCHICHTE: MITTELALTER

Amarcius, Sextus: Sermones, hrsg. von K. Manitius, Weimar
: Böhlaus Nachf. 1969. 234 S., 1 Taf. 8° = Monu-
menta Germaniae Historien: Quellen zur Geistesgcschichtc
des Mittelalters, VI. M 23,-.
Die Sermones des Amarcius gehören im weiteren Sinne
zur Literatur des Investiturstreits. Ihr Verfasser mag wohl
ein deutscher Geistlicher des Weltklerus gewesen sein. Obwohl
Amarcius nicht zu den bedeutenden Dichtern seiner
Zeit gehörte - mit einem Hildebert von Lavardin, Baudri
von Bourgueil oder Marbod von Renncs kann er sich durch
seinen uneinheitlichen und schwierigen, oft dunklen Stil
nicht messen -, ist er dennoch als einer der frühesten
Satiriker des Mittelalters kulturgeschichtlich bedeutsam, und
seine breite dichterische Sittenlehre, in der die Pflichten
und Verfehlungen des Weltklcrus um 1100 mit stark
satirischer Tendenz vorgeführt werden, verdient entsprechende
Beachtung. Diese ist dem Werk nun durch die erste
kommentierte Ausgabe von Karl Manitius zuteil geworden.

Dem Text geht eine gedrängte Einleitung voran, die
die wesentlichsten literar- und überliefcrungsgeschichtlichcn
Fragen zu Person und Werk des Dichters erfaßt. Der Name
.Amarcius' ist sicher ein Pseudonym und wohl nach dem
Griechischen (eig. .Hamartius' „Sünder") gebildet; frühere
anderslautende Deutungen lehnt der Hrsg. zu Recht ab.
Welche historische Persönlichkeit sich hinter dem Namen
verbirgt, läßt sich nicht mehr feststellen, und der Hrsg. tut
gut daran, auf jegliche Spekulation zu verzichten, wie sich
überhaupt die Einleitung durch knappe Sachlichkeit auszeichnet
. Die spärlichen Nachrichten, die das Mittelalter
über Amarcius überliefert, lassen sich im wesentlichen auf
eigene Angaben im Gedicht selbst zurückführen. Sic weisen
geographisch nach Speyer und chronologisch in die Jahrzehnte
um 1100, und wir dürfen uns - wie es auch der
Hrsg. tut - weiterhin nach der zeitlichen Fixierung Carl
Erdmanns richten (Politische Ideenwelt des Frühmittelalters,
Berlin 1951, 131 ff.: „um 1100 oder in den beiden folgenden
Jahrzehnten"). Die ungewöhnliche Belesenheit des
Autors der Sermones läfjt in ihm einen „theologisch gebildeten
Lehrer der artes" vermuten, der mit der profanen
und christlichen lateinischen Dichtung wie auch den lateinischen
Kirchenvätern glänzend vertraut war. Dabei stehen
seine ,Sermones', die ein Lehrstück von den Tugenden UM
Lastern im Gewand einer Zeitrüge darstellen, in einer
großen literarischen Tradition, die von der Spätantikc (Pru-
dentius) bis in seine Zeit (Marbod von Rennes, Hildebert
von Lavardin) reicht. Das satirische Element tritt darin besonders
hervor; dies unterstreicht auch das - neben Pru-
denz - vorherrschende literarische Vorbild des Horaz,
dessen Satiren (.Sermones') sicher auch den Titel des
Gedichtes mitbestimmt haben.

Das in vier Bücher gegliederte Gedicht, das 2723 Hexameter
sowie einen poetischen Widmungsbrief und ein
Schlußgebet umfafjt, ist nur in einer Handschrift (Sächsische
Landesbibliothek Dresden) vollständig überliefert, die aus
St. Peter in Merseburg stammt. Der ehemals Dresdner Mit"
tellateiner Karl Manitius - Sohn des Verfassers der .Geschichte
der lateinischen Literatur des Mittelalters' und
Erstherausgebers der ,Scrmoncs' - hat die Handschrift neu
verglichen und den Text mit Hilfe der Quarzlampe an
manchen verderbten Stellen verbessern und lesbar machen
können. Das Hauptgewicht seiner Arbeit liegt indessen auf
der Kommcnticrung. Der von großer Bclcscnhcit und Sachkenntnis
zeugende Kommentar gibt sowohl sprachliche wie
sachliche Erklärungen des Textes sowie auch kurze Inhalts-
angaben zur besseren Übersichtlichkeit (leider nicht fort-
laufend, sondern etwas zu sporadisch), sucht aber im be"
sonderen der literarischen Abhängigkeit des Dichters, seinen
sachlichen, sprachlichen und stilistischen Quellen und Vorbildern
nachzugehen und inhaltliche wie formale Entlehnungen
, Parallelen und Similia nachzuweisen. Dementsprechend
ist auch keine Trennung in Similienapparat
und Sachkommentar durchgeführt, sondern beides in einem
vereinigt, was aber einer eindringenden Erklärung des
Textes sowohl nach inhaltlichen wie formalen Gesichtspunkten
dient, die tatsächlich oft ineinander übergehen. In
dieser Beziehung läßt der kenntnisreiche Kommentar kaum
Wünsche offen, besonders wenn man die Uferlosigkcit dieses
Gebietes bedenkt, zumal bei einem so stark der literarischen
Tradition und besonders der Antike verpflichteten
Autor wie Amarcius.

Andererseits wird der vorliegende Kommentar erst den
Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung und Erforschung
spezieller Fragen und Themen bilden, die das
Gedicht in Fülle aufweist. Denn abgesehen von eine'
generellen Gliederung in Laster- und TugcndschilderuflS
(Buch I-II und III-IV) hat der Dichter die trockene Systematik
des Stoffes sehr oft ganz unvermittelt durch lebhafte
Einlagen und Exkurse unterbrochen, die - episch oder
satirisch angelegt - die verschiedensten Themen berühre'1
und auf mancherlei interessante Einzelheiten aufmerksam
werden lassen: so z. B. die kulturgeschichtlich bemerkenswerte
Schilderung der modischen Unsitten (1, 210-240) und
der luxuria seinerzeit (1.349-434) mit Jagd und Falknerei;
die breite Invektive gegen die Juden am Ende des 1. und im
2. Buch; die Legende vom blutenden Christusbild in BerytuS
(2,602- 666); die Mildtätigkeit Heinrichs III. während der
Hungersnot von 1043-45 und die Anekdote vom scheintoten
Beradon in Speyer (3,141-150 und 153-180); daneben
gibt es eine Fülle kurzer geistes-, literatur- und
kulturgeschichtlich interessanter Notizen und Bemerkungen
und theologiegeschichtlich relevanter Einzelheiten oder
auch größerer Partien: die abgewogene Gegenüberstellung
und Beurteilung heidnischer und christlicher Dichter (3,268 ff •)-
das Urteil über Schönheit und Körperpflege (3,450 ff )'
die dichterisch erweiterte Darstellung der Schöpfungsgeschichte
mit Erschaffung der Engel (3,581-671), der Fall
Luzifers (1,255-262) und das Wirken der daemoncs
(2,456-476); sozialgeschichtlich bemerkenswert sind die
Schilderungen der Strapazen im Leben des Armen (4, 448-
457), der Habgier von Weltklerus und Mönchen (1,101"
158), der einfachen Speisen des Volkes und kulinarischen