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1972

Kategorie:

Judaistik

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 7

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zu summarisch abgehandelt wird, grundsätzlich wird man
aber den Nachdruck des schon früher erschienenen Werkes
durch KTAV Publishing House New York begrüßen.

Tübingen Otto Michel

Blidstein, Gerald J.: A Rabbinic Reaction to the Messianic

Doctrine of the Scrolls? (JBL XC, 1971 S. 330-332).
Charlesworth, James: The Odes of Solomon - Not Gnostic

(CBQ XXXI, 1969 S. 357-369).
Chouchena, Emmanuel: Le lien matrimonial dans le Juda-

isme (Le lien matrimonial, publ. par R. Metz et J.

Schlick. Strasbourg 1970 S. 49- 56).
Harrington, Daniel J.: The Biblical Text of Pseudo-Philo's

„Liber Antiquitatum Biblicarum" (CBQ XXXIII, 1971

S. 1-17).

Landau, Lazare: Le judaisme du XIIP au XVIF siecle
(RHPhR 51, 1971 S. 191-201).

Oesterreicher, Johannes: Die Wiederentdeckung des Judentums
durch die Kirche. Eine neue Zusammenschau der
Konzilserklärung über die Juden, übers, v. H. Croner.
Mcitingen-Freising: Kyrios-Verlag [1971]. 94 S. kl. 8° =
Theologie und Leben, 7. Kart. DM 5,80.

NEUES TESTAMENT

Schräm, Tim: Der Markus-Stoff bei Lukas. Eine literar-
kritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchung. London
: Cambridge University Press 1971. XIII, 207 S.
gr. 8° = Society for New Testament Studies, Monograph
Scrics, ed. by M. Black, 14. Lw. £ 4,-.
Diese Untersuchung widmet sich der Aufgabe, einem
bedenklichen methodischen Mangel der gegenwärtigen
Synoptiker-Forschung abzuhelfen. Sofern diese ihre Aufmerksamkeit
darauf richtet, wie der jeweilige Evangelist
seinen Stoff schriftstellerisch und theologisch bearbeitet,
muß sie voraussetzen, daß Umfang und Beschaffenheit des
dem Evangelisten vorgegebenen Materials genau bekannt
und gegenüber seiner eigenen Zutat abgrenzbar seien.
Diese Voraussetzung scheint für den aus Mk übernommenen
Stoff präziz erfüllt zu sein. Schrams Arbeit ist nun
dem Nachweis gewidmet, dafj die „starre Mk-Hypothese"
für den von Lk übernommenen Mk-Stoff weitgehend unzureichend
ist, daß Lk bei dessen Übernahme vielmehr an
nicht wenigen Stellen (z. T. unbewußt) durch Parallel-
Traditionen zu den Mk-Perikopen, schriftliche (Quellen)
oder mündliche (Gemeindetraditionen), beeinflußt wurde
und folglich das, was heute gemeinhin als schriftstellerische
und theologische Eigenleistung des Lk gilt, stark zu reduzieren
sei.

Zum Erweis für die Existenz solcher von Mk (und Q)
unabhängiger Paralleltraditionen bezieht sich der Hunzinger
-Schüler Schräm ausführlich auf das Thomas-Evangelium.
Es setze die Annahme voraus und bestätige sie wiederum,
„daß die Jesus-Überlieferung der urchristlichen Gemeinden
wesentlich unterschiedlicher gewesen ist als der in den
synoptischen Evangelien überlieferte Stoff" und daß dieses
Material in jeder Gemeinde einen eigenen Traditionsstrang
ausbilden konnte (S. 18 f.). So gelangt etwa Schr.s Analyse
von Lk 21, 20-24 zu dem Ergebnis, daß die Verlegung der
Zerstörung Jerusalems, die bei Mk zu den apokalyptischen
Ereignissen gehört, in die (vergangene) Geschichte nicht
luk. Mk-Redaktion sei, sondern daß Lk „bereits, auch was
diesen Teilaspekt betrifft, in einer die Parusieverzögerung
bewältigenden Tradition steht" (S. 180 A. 1).

Sehr, weist die Berechtigung seiner Annahme und seines
Verfahrens zunächst an eindeutig nachprüfbaren Tatbeständen
nach. Er zeigt, wie Dubletten zu Mk-Perikopen, die
Lk aus anderer Tradition aufnimmt, auch seine Wiedergabc
der Mk-Perikopen beeinflussen, und daß umgekehrt Nicht-
Mk-Stoffe durch die Mk-Parallele modifiziert werden. Damit
ist für Lk grundsätzlich das „gebundene Redaktionsverfahren
", d. h. das der Quellenkombination, erwiesen.
Das begründet das Recht und die Notwendigkeit, den ge-
samten von Lk rezipierten Mk-Stoff daraufhin zu untersuchen
, ob die meistens angenommene lk-eigene theologische
Umarbeitung dieses Stoffes nicht vielmehr dem
Einfluß von Nebenquellen zuzuschreiben ist. Sehr, behauptet
kühn, daß diese „Einsicht .. . den Schlüssel zur Lösung
der literarkritischen Problematik des lukanischen Mk-
Stoff es darstellt" (S. 51).

Die perikopenweise Befragung des gesamten von Lk
aufgenommenen Mk-Stoffes auf möglichen Einfluß von
„Nebenquellen" hin geschieht nun nach einem vierfachen
Schema. Untersucht werden (1) die minor agreements Mt-
Lk gegenüber Mk, (2) die luk. Sonderelemente in den Mk-
Blöcken, (3) die im luk. Mk-Stoff gegenüber Mk auftretenden
Semitismen und (4) andere unter 1-3 nicht erfaßte
Differenzen zwischen Mk und Lk. Die gewonnenen Ergebnisse
werden dann jeweils durch kritische Auseinandersetzung
mit solchen Arbeiten, die die Differenz Mk-Lk aut
lk-eigene Redaktionsarbeit zurückfuhren, überprüft.

Die exegetischen Beobachtungen und Argumente, aut
die sich Sehr, bei seinen Analysen stützt, liegen weitgehend
in der Literatur zur synoptischen Literarkritik, Qucllen-
scheidung, Formkritik, in den sprach- und stilkritischen
Analysen, in der Wortstatistik, in der frühchristlichen Mis"
sions- und Theologiegeschichte und - last not least - in
der Synoptikerexegese bereit. Er zieht das alles in erschöpfend
scheinender Vollständigkeit, kritisch sondernd,
heran.

Die Ergebnisse werden perikopenweise in sorgsam ab-
gestuften Formulierungen zusammengefaßt: Einfluß einer
oder mehrerer Traditionsvarianten ist sicher, ist möglicn'
verrät sich, ist wahrscheinlich, ist wenig wahrscheinlich, ist
nicht nachweisbar, ist auszuschließen u. a. m. Diese sorgsame
Differenzierung des Urteils erweckt ebenso wie che
Sorgfalt der exegetischen Erörterung im einzelnen Vertrauen
zu den gewonnenen Erkenntnissen. Man wird sich
der hier vorgelegten minutiösen Analysen für jede Arbeit an
Lk vorteilhaft zu bedienen haben. Und zweifellos war auch
die von Sehr, intendierte Abbiendung der theologischen
Überbelichtung des Lk eine fällige Aufgabe der Forschung-

Aber wie präsentiert sich nun der so nach „gebundenem
Redaktionsverfahren" arbeitende Lk? - Hier einige Urteile
aus der besonders interessanten Analyse der apokalypt'"
sehen Rede: 21,14-18 sind „ein krasser Fall von (schema-
tischer) Quellenkombination" (S. 177). Im Tcxtzusammen-
hang 21,12-19 begegnen wegen pietätvoller und behutsamer
Behandlung der Traditionen „Ungereimtheiten" und
„Inkonsequenzen" (S. 178). Die Quellenkombination in 2l<
20-24 „gibt keinen Sinn". 21,17 „steht in krassem Widerspruch
zu V. 28". Ähnlich heißt es zu 18,31-34: Es ,stöfjt:
sich jetzt V. 34, der zu V. 31 gehört und nur d a zu paß'-
mit dem Vorhergehenden" (sc. V. 32 f.). „Das schematische
Arbeitsverfahren des Lk führt zu dieser Schwierigkeit, die
man weder verharmlosen noch gar zur (sc. theologischen)
Tugend machen darf" (S. 135).

Dazu kommen Widersprüchlichkeiten in der Quellenrezeption
im großen. Der Einfluß, den Lk nach Sehr, scnn-
tisierenden Quellen und judenchristlichen Traditionen auf
nicht wenige Mk-Perikopen einräumt (also Rejudaisierung
der Tradition), verbindet sich schlecht mit dem von Sehr,
doch auch akzeptierten Bild eines die Heidenmission und
das Evangelium für die Völkerwelt vertretenden Lk und
mit der hellenistischen Gemeindeparänese der Sonderquelle
(S. 182 f.), die das Lk-Evangelium charakterisiert und
prägt (vgl. 3,10-14; 21,34-38). Sehr, versetzt uns ein
wenig in die Ära zurück, in der man sich die Evangelisten
als vorwiegend mit Schere und Kleister arbeitende Redaktoren
vorstellte. War das Schr.s Absicht? Oder fühlte er
sich nicht berufen und verpflichtet, seine Arbeit mit dem