Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1972

Spalte:

501-503

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Seidel, Hans

Titel/Untertitel:

Das Erlebnis der Einsamkeit im Alten Testament 1972

Rezensent:

Wildberger, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

501

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 7

502

9en", den Geboten und Gesetzen, die die Geschichte des liehen Existenz überhaupt, einer „Auflösung der Vitalpo-
volkes begleiten (8). In der Weise, wie das AT von Tod tenz" (Kraus) geführt hat (Beispiele: Ps. 22 und 38 u. a.),
und Leben redet (9), ist ein bestimmender Zug, daß es und einer zweiten Reihe, bei welcher der Beter sich im
eides diesseitig versteht und ein dem Leben entgegenge- Einklang mit Gott weiß, aber aus dem mitmenschlichen
setztes „Jenseits" nicht kennt. Auch die Entwürfe der Hoff- Bereich schwerste Bedrohung über ihn gekommen ist
"ung Israels (10) bleiben diesseitig. Sie setzen mit der (Beispiele: Ps. 3-5 u. a.). Bei seinen Erörterungen über
.han-Verheifjung für das Haus David ein und haben das Wesen dieser Selbstaussagen ergibt sich Seidel einer
eine bewegte Geschichte bis hin zu den Visionen der Apo- gewissen Kritik an der Gattungsforschung, die auch sonst
pa ypt'k, in der es um die Erfüllung der Zuwendung des in der Arbeit gelegentlich anklingt; sie begnüge sich mit
^"öpfers zu seiner Welt geht (135). - Das letzte Kapitel der Feststellung, da5 die Bilder, Vergleiche, Metaphern u.s.f.
ra9t abschließend nach der Weltlichkcit des AT im Blick aus dem Kult stammten, vernachlässige aber die Frage
"uf das NT. Z. geht hier ausführlich auf Bultmanns Auf- nach der letztlichen Herkunft der Redeformen und Motive.
Satz „Weissagung und Erfüllung" ein. Er fragt: „Liegt wirk- Seiner Meinung nach wurzeln sie in wirklicher Erfahrung;
1Cn der große Graben eines totalen Scheiterns am Gesetz sie stellen allerdings nicht objektives Geschehen dar, son-
Zwischen dem weltlichen Leben des Christus und der Welt- dem enthüllen dessen Innenseite im Erlebnisraum des
lc"keit des AT?" und verneint diese Frage. Im Gegenteil: Erlebenden, sie sind, wie Seidel mit einem glücklichen Bild
Sohn bekommt auch die Weltlichkcit Gottes ihre volle formuliert, nicht Photographie, sondern Landschaftsgemälde.
Gültigkeit" (149); diese Weltlichkcit erhält in Christus ihre „Nach den Maßstäben der Photographie enthält die .Land-
volle Besiegelung (150). schaff viele Momente, die der Realität nicht entsprechen.

Es ist gesamttheologisch von großer Bedeutung, daß Die Maße können völlig .falsche' sein, weil es nicht um

™er vom ganzen AT her die Frage nach der theologischen ein mathematisches Maß, sondern um ein Bedeutungsmaß

'cht der Welt gestellt und eindeutig positiv beantwortet geht". Daraus erklärt sich Vf. das, was man sonst in der

^ird. Für das AT kann die Welt nie aufhören, die von Psalmenforschung im Blick auf „Elendsschilderungen" etwa

Ott geschaffene Welt zu sein; und das kann nur heißen, „Ungenauigkeit* und „Undeutlichkcit" oder auch „Übertrei-

le von Gott bejahte Welt. Z. tritt daher mit vollem Recht bung* genannt hat. Die Erlebnisdarstellung greift nach

r These Bultmanns entgegen, daß „Entweltlichung" das Ausdrucksformen urbildhaftcr Erfahrung. Weil sie das tut,

eue des NT sei. Die negative Beurteilung der Welt an kann sich der einzelne „mit dem ihm eigenen Leid in

einigen Stellen im NT entspricht weder der im AT noch dieser Darstellung wiederfinden". Es ist darum falsch, die

er im NT berichteten Geschichte. Sie ist nachträgliche „Übertreibungen" mit der Maßlosigkeit orientalischer Phan-

nterpretation, die andere Wurzeln als die biblischen Den- tasie und die „Undeutlichkeit" mit dem Formularcharakter

ens hat. - Es ist zu hoffen, daß diese These Zimmeriis der betreffenden Psalmen erklären zu wollen. - Von dieser

9esamttheologisch weiter diskutiert wird. Sicht her kommt Seidel zu wesentlichen Konsequenzen für

s'- Leon Clans Weslermann die Exegese: sie hat keine Möglichkeit, die Erlebnisaussagen
auf eine ganz konkrete Situation hin zu hinterfragen,
die Feststellung der kultischen Verwurzelung ist nur von
sekundärer Bedeutung, der wortstatistischen Arbeit sind

Seidel, Hans: Das Erlebnis der Einsamkeit im Alten Testa- enge Grenzen gesetzt. Vor allem aber ist zu folgern, daß

■nent. Eine Untersuchung zum Menschenbild des Alten immer vom Gesamterlebnis auszugehen und erst von ihm

Testamentes. Berlin: Evang. Verlagsanstalt [1969]. 184 S. her zu den einzelnen Motiven und Vokabeln vorzustoßen

80 = Theologische Arbeiten, unter Mitarb. v. E. Fascher, ist. - Nach diesen grundsätzlichen Darlegungen geht Seidel

**■ Jepsen, F. Lau, A. D. Müller, E. Schott hrsg. v. H. a"f die einzelnen Motive von Einsamkeitsäußerungen ein.

Urner, 29. Kart M 13 - Zunächst analysiert er die Aussagen über die Gottentfrcm-

Nicht von der Einsamkeit des israelitischen Menschen, dun?: das Schweigen Gottes, das Verbergen des Antlitzes,

^dern von seinem Erlebnis der Einsamkeit will Vf. Gottcs FJm^in' die Verlassenheit von Gott. Danni spricht

reden r>;<4.i. j j ... . .__« ._ er von der Entfremdung vom Mitmenschen und schließlich

Men, nicht davon, worin dessen Einsamkeit bestand, son- a . -> ...

dern m= „• ct. j . . . ...__,___ von der Existenzentfremdung des einzelnen. Naturgemäß

wie er sie erfahren und aus der Ganzheit seines , t ... ....... _ ._. ^. _ , .

Existen,,,«-^---* i- j > i i- ' »i ' i j * ii» kommt er dabei auf das umstrittene „Feindmotiv in den

•acenzverstandnisses heraus gedeutet hat. Einleitend stellt , . „_ ,. , * . .

er fecr , ■ .« i . .____,____ „ Psalmen zu sprechen; für ihn kommt dabei einfach die

'esc, daß es keinen eigentlichen hebräischen Terminus .__. . , „ , .,

für dac p;„<-__i, i u i n.« ,tr i i a j „a Bedrohung der Existenz des Betenden zur Sprache. Aber

aas Einsamkeitserlcbnis gibt. Wurzeln wie b d d und 3 . ___, . . *T

Jhd mwri,™ ai , . , ... . ii. v. dazu können auch andere im Laufe der Zeit konventio-

. u sprechen zwar vom Abgesondert- und Alleinsein, ha- . . ,

°en akn ,.,~i,i a t. u ■■ *>•■ i ■•- ■_ a„~~ nierte Aussageformen verwendet werden, „die keine kon-

1 diso wohl das Phänomen Einsamkeit im Auge, . . ... ^... . ■.. ... , , 1 .

m*t aber das Erlebnis, das es induziert. Einsamkeit ist kreten M°mcn£ der, Sltuat'°" entlehnen". - Auf einer

mc"t einfach eine objektiv feststellbare Situation, sondern ?anz andcre" Ebene hegt nach Seidel das E.nsamkeitser-

*,n -Seinszustand der Seele", der an sich als In* oder lebms der Großen Einsamen" des Alten Testaments, allen

'e'dvoll erfahren werden kann. Dabei ist dem Vf. wichtig. v°ran dcJ P^ten, wobei er aber auch auf Gestalten wie

den thp^i™;,.-!. _ »i •. j t-- _i -i _i i _•____v„_,..,. Mose und Hiob zu sprechen kommt. „Für die Absicht einer

1 geologischen Akzent des Einsamkcitserlebmsses heraus- ... .. , , . .

2uhebpn ^„„_ ■ l-h. - • «iu t. i _-i __„, meditativen oder asketischen Einsamkeit der Propheten

'tuen, denn wir hatten es im Alten Testament mit einem ,... . . .... , „__ , . „ , .

Menschen ,,. t j .j. . . u ... „ fehlt jeder Anhaltspunkt . Die Einsamkeit der Propheten

„. , scnen zu tun, der sich „abgesehen von Gott nicht vor- . J. . . ~TT . " .

ste"en ließe" (Zimmerli) allein in ihrem Auftrag begründet, genauer darin, daß

Da* in. o- t /' ,. ,. , __ sie mit ihrer Botschaft kein Gehör finden. Sie wäre also

"as Alte Testament enthalt allerdings auch manche ... I^TT ,7« • r. Z. lt j

ßerichfr. ,;u„ j- t-- i i 1 r. -*-uju behoben, wenn sich das Volk aus seiner Gottentfremdunq

'«Jite über die Einsamkeit von einzelnen Personlich- . . M

leiten c:„ i t. heimholen ließe. Hinqcqcn ist das Einsamkcitscrlebnis der

Ul-n. Sie kommen aber für seine Untersuchung nur am , .. . . , . . t . -i .

Rand ;n i7 -i • ■ j „ , j 1 Psalmcnsanger Ausdruck dessen, daß die heue Welt, in

"o. in Frage, weil sie in der Regel wenig davon erken- 3 ... , ...

nen Kcc». . . ■ _.. .. . ,_ welcher der Isrealit normalerweise lebt, zerbrochen ist

lassen, wie der Betreffende seine Einsamkeit erfahren ... .,..„,,., „ . . . ,

hat Aic - ^ , L ■ , i . v j _ „, Heil ist für ihn die Welt, solange seine Existenz im Dialog

re Als Pnmares Untcrsuchungsmatcrial betrachtet darum .. _ . —_ . ■ ■ .. . , ' ,a',y

Vf im . t,- , ,. Jr „ . j • j- -j mit Gott Grund und Kern hat. In ihrer konkreten Entfal-

• im wesentlichen nur die Se bstaussagen der mdividu- i..,i.....t wr.it »t..»,i ^-i , Z. tn,:ral

eilen ki,„ jt^ii j ^t.- i u -j •. - a tung bedeutet heile Welt Frieden (slwm), Leben, Segen

«-n Klage- und Dankheder. Dabei unterscheidet er zwi- ~° öe '

s*en einer Gruppe, bei welcher die Vereinsamung im Ver- Llcht' Freude' Die Entfremdung von der heilen Welt ist

fta'tnis zwischen Gott und Mensch manifest geworden ist, kein bloßer Bewußtseinsvorgang; jeder unsachgemäßen

2u9leich aber auf das Verhältnis zum Mitmenschen über- Spiritualisierung ist zu wehren. Wer sich in die unheile

griffen und schließlich zu einer Auflösung der mensch- Welt versetzt sieht, für den hat die heile Welt Kraft und