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1972

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Altes Testament

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 1

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prosc tradition" ist unwahrscheinlich. Es ist schwer vor
stellbar, wie die z. T. langen Berichte in der dtr. Verkündigung
als didaktische, erbauliche Geschichten fungier
ten. Man wird besser bei einer Differenzierung zwischen
Selbstberichten, Fremdberichten und dtr. Reden bleiben,
wobei die beiden ersteren als den Deuteronomisten vorgegebene
Größen zu betrachten sind. Die in ihnen auftretenden
dtr. Reden und Interpretamente zeugen am ehesten
für eine literarische Bearbeitung, denn ihr Einsatzcharakter
läßt sich oft an Hand von Stilkriterien nachweisen.
Dies führt zum zweiten Punkt, der Beurteilung der Prosatradition
(bzw. nur der Reden) als Niederschlag der dtr.
Predigttätigkeit und der Ablehnung ihrer Herkunft aus
einer literarischen (schriftstellerischen oder redaktionellen)
Tätigkeit. Diese traditionsgeschichtliche Lösung des Problems
(ähnlich schon Mowinckel, Prophecy and Tradition,
1946) birgt die Schwierigkeit in sich, daß sie die Kontextbezüge
mancher dtr. Texte nicht erklärt (z. B. 9, llb/9 oder
22,1 ff./21,11 f.). Hier hatte wohl Hyatt (The Deuteronomic
Edition of Jeremiah, Vanderbilt Studies in the Humanities I
1951, S. 71-95) richtiger gesehen, als er die betreffenden
Texte durch eine (dtr.) Redaktion entstanden erklärte.
Diesem redaktionsgeschichtlichen Gesichtspunkt ordnet sich
der traditionsgeschichtliche ungezwungen zu: Die Texte
sind nicht der direkte Niederschlag der dtr. Predigt, sondern
literarische Erzeugnisse einer dtr. Redaktion,
die aber Form und Predigtsprache der dtr. Verkündigung
widerspiegeln. Die dritte Hauptthese N.s, die
Beheimatung des dtr. Kreises in Babylonien, wird so
eindrücklich begründet, daß man die bisher herrschende
Meinung wohl überprüfen muß. Für judäische Herkunft
spricht nach Meinung des Rez. immer noch die Eigenart
der im Dtr. aufgenommenen Stoffe, besonders der prophetischen
Überlieferungen. Die Disqualifikation der Judäer in
Jer24; 29; 37 bis 44 und die Art der Heilserwartung müssen
nicht unbedingt die Ansprüche der Exulanten repräsentieren
, sondern können auch die Enttäuschung der Deuteronomisten
über das Versagen ihrer judäischen Hörer
gegenüber der dtr. Gerichtsinterpretation und dem Umkehraufruf
ausdrücken.

Diese ausführlichen Bemerkungen sollen die Bedeutung
des kurzen, aber gehaltvollen Werkes unterstreichen. Die
Fülle von Einzelbeobachtungen erschließt sich nur bei der
Lektüre. Die scharfsinnige und gedankenreiche Arbeit wird
in der Erforschung des Buches Jeremia nicht mehr zu
missen sein.

Berlin Winfried Thiel

Beaucamp, Evode: Le Psautier, repertoire des chants litur-
giques d'Israel (I) (Science et Esprit 23, 1971 S. 153-166).

Dubarle, Andre-Marie: Die Erwartung einer Unsterblichkeit
im Alten Testament und im Judentum (Conc 6, 1970
S. 685-691).

Rudolph, Wilhelm: Hosea. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
(Lizenzausgabe des Gütersloher Verlagshauses, Gütersloh)
[1971]. 271 S., 5 Tabellen gr. 8° = Kommentar zum Alten
Testament, hrsg. v. W. Rudolph, E. Elliger u. F. Hesse.
(*. Bespr. in ThLZ 93, 1068, Sp. 657).

NEUES TESTAMENT

Smith, Robert H.: Acts. St. Louis - London: Concordia
Publishing House [1970). 395 S. m. 1 Plan, 1 Kte 8° =
Concordia Commentary. Lw. $ 5,00.
Concordia Publishing House, der Verlag der Lutherischen
Missouri-Synode, hat begonnen, ein eigenes Kommentarwerk
für Bibelleser herauszugeben und macht damit
wieder einmal auf die erstaunliche Lebendigkeit der
Missouri-Synode aufmerksam, die nach wie vor zu den
besonders stark wachsenden Kirchen der Vereinigten Staaten
gehört.

Victor A. Bartling, seit 50 Jahren im Dienst der
Missouri-Synode und Professor am Concordia Seminary in
St. Louis, legt den Brief an Philemon aus. Sein Kollege
Robert H. Smith kommentiert die Apostelgeschichte.
H. Armin Moellering, der außer seinem theologischen
Doktor einen philosophischen Doktortitel auf Grund seiner
Beschäftigung mit den alten Sprachen an der Columbia
University erwarb, ist Pastor und hat die Pastoralbriefe
exegesiert.

Die Auslegungen gehen stets nach dem gleichen Schema
vor. Einer kurzen Einleitung folgt der Kommentar, der auf
jeden wissenschaftlichen Ballast verzichtet. Fußnoten finden
sich nicht, auch keine fremdsprachlichen Zitate. Kurze
bibliographische Notizen, die auf die Möglichkeit weitergehender
Beschäftigung hinweisen, findet man im Anschluß
an den Kommentar. Der Kommentar selbst fußt auf der
Revised Standard Version und folgt ihr in einer Vers-für-
Vers-Auslegung, ohne daß Exkurse oder Zusammenfassungen
den Fluß der Kommentierung unterbrechen.

Die historischen Fragen werden im Sinne der Tradition
gelöst, doch folgen die Verfasser nicht dem Schema einer
Verbalinspiration. Die Echtheit der Pastoralbriefe wird
diskutiert, die Authentizität festgehalten; auch die vermittelnde
Sekretärshypothese findet keine Billigung. Die
Briefe richten sich gegen eine judenchristliche Gnosis und
wurden von Paulus nach seiner ersten römischen Gefangenschaft
geschrieben, als er noch einmal Kleinasien besuchte
(1 Tim; Tit) bzw. während seiner zweiten Haft in Rom
(2 Tim).

Aus dieser Haft stammt auch der Philemonbrief, dessen
sympathischer Erklärung durch Bartling ein Anhang über
die Sklaverei im Altertum beigegeben wurde, der die tolerante
Haltung des Paulus besonders hervorhebt, und eine
paraphrasierende Übersetzung des Schreibens, die dem
Leser einen Eindruck von der stilistischen Feinheit und
menschlichen Wärme der kleinsten neutestamentlichen
Schrift vermitteln soll.

Auch die Einleitung zur Apostelgeschichte bleibt ganz
in traditionellen Bahnen. Wir haben es mit einer Geschichte
der Mission von Jerusalem nach Rom zu tun, die darlegt,
wie das Evangelium sich von den Juden zu den Heiden
hin durchsetzt, und die dabei zum Lobe Gottes einlädt,
der in diesem Weg des Evangeliums seinen Weg mit
der Menschheit geht. Eine apologetische Nebentendenz leugnet
Smith nicht, und er bezweifelt auch nicht, daß die
Reden stark von lukanischer Theologie bestimmt sind.
Indessen ist Lukas, der Begleiter des Paulus, der Verfasser
der Apostelgeschichte, die zwar nach der Zerstörung Jerusalems
, aber noch vor dem endgültigen Bruch zwischen
Synagoge und Kirche etwa 80 geschrieben wurde; denn
das heilsgeschichtliche Interesse des Lukas deutet Smith so,
daß sich darin jene Zeit widerspiegelt, in der die Kirche
noch um ihre organisatorische Einheit mit der Synagoge
bemüht war.

Die Auslegung im einzelnen gibt sich in allen Kommentaren
betont nüchtern. Das hermeneutische Prinzip ist das
lutherische sola fide bzw. die Unterscheidung von Gesetz
und Evangelium. Eine .historische' Auslegung wird nur
ansatzweise gewagt, eine .praktische' bewußt nicht versucht
. Ihre Aktualität gewinnt die Auslegung einmal durch
die Aktualität des .Wortes Gottes' selbst, zum anderen -
bei den hier kommentierten Schriften des Neuen Testaments
- durch die Tatsache, daß die Gegenwart, wie
Bartling formuliert, ebenso wie die Zeit z. B. der
Pastoralbriefe von der Aufgabe bestimmt ist, die gefährdete
Substanz des Glaubens zu bewahren.