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Ausgabe:

1972

Spalte:

464-465

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Symbolik des Orthodoxen Christentums und der kleineren christlichen Kirchen in Ost und West 1972

Rezensent:

Onasch, Konrad

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 6

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land so hedeutsame Zeitalter mit seinen manigfachen Pro- folomei Rastrellis engstens verhunden. Während die herr-
blemen nahe. Das II. Kap. ist der Architektur gewidmet und liehe Andreas-Kathedrale in Kiew (1747—1762) bereits einen
wird von I. E. Grabar, W. F. Schilkow, S. S. Bron- kühnen Entwurf darstellte, überbot sich der Meister aber W
stein, D. R. Wipper, A. N. Petrow und M. A. Iljin be- der Kathedrale des Smolny-Klosters in Leningrad (1748 bis
stritten. Es ist nicht möglich, auch nur andeutungsweise auf 1757). Das erhaltene Modell des Smolny läßt erkennen, daß
die überaus verwickelten Probleme einzugeben, die von den zum Ensemble der Klosterbaulen ein Torglockenturm gC"
Vff. umsichtig dargestellt werden. Zu ihnen gehört auch die hörte, der, getrennt von der Kathedrale, jedoch in ihrer unÜbernahme
vind Weiterführung kirchenbaulicher Elemente mittelbaren Nähe postiert werden sollte. Der wegen seiner
im Bereich der Palast- und Zweckarchitektur, ganz im Sinne spezifisch russischen Auffassung im einzelnen sehr differen-
der eingangs erwähnten Übergangsprozesse. Um nur ein Bei- zierte Barockcharakter der Kirche wird von WipperS. 159f-
spiel zu nennen: „Die Idee für den Grundriß und für die ge- herausgearbeitet (vgl. auch Rezension in ThLZ 92, 196'
samte Baukonstruktion des Menschikow-Turmes stammt Sp. 940). Aus diesen wenigen Beispielen mag ersichtlich wer-
von der Mariä-Schutz-Kirche in Fili, die kurz zuvor fertig ge- den, daß auch in diesem Bd. dem Kirchenbau große Auf"
worden war" (S.28). Weiterhin wird festgestellt; ein so merksamkeit gewidmet wird. Ein Kap. über die Holzbau-
deutlich profiliertes weltliches Gepräge, wie man es am kunst im Berichtszeitraum bringt u. a. die Kirchenbauten.ßD
Menschikow-Turm beobachten kann, hatte es noch nie zuvor Kishi, die, wie vieles andere, heute dem Touristen zugänglich
bei einer Kirche gegeben" (S. 30). Für den Forscher der alt- sind. — Im III. Kap. über Malerei und Plastik wird auch der
russischen Kirchenbaukunst ist die ,,Säkularisat"-Rolle in- Ikonenmalerei gedacht. Sie war von Peter I. von der w^''"
teressant, die die alte Bilderwand in dieser Epoche spielte. liehen Malerei getrennt und der Aufsicht des Heiligen Diri'
Motive derselben werden vom steinernen Bauschmuck auf- gierenden Synods, der den Patriarchat ablösenden neuen
genommen (S. 27). Diese Entwicklung wird manifest im obersten Kirchenverwaltung unterstellt worden. CharaktS"
berühmten Ikonostas der Peter-Pauls-Kathedrale in der ristisch für die neue Situation der Sakralmalerei mit ibfW
gleichnamigen Festung der neuen Hauptstadt Sankt Peters- komplizierten religiösen und gesellschaftlichen Zwischenb*
bürg. Sic wurde von dem berühmten Baumeister auch des Ziehungen ist das persönliche Schicksal des bedeutenden
Menschikow-Turmes Sarudny errichtet, der den Auftrag russischen Malers Iwan Nikitin, das von Frau KowalenS"
hatte, seine Aufmerksamkeit weniger auf die Ausstattung kaja S. 266 auf dem Höhepunkt der Krise dargestellt wi**
des Ikonostas mit Ikonen als auf seine architektonische Aus- Der tiefe Wandel der Ikonenmalerei wird von ihr u. a. an den
gestaltung zu richten (S. 35f.) Auch hier lag der Keim zu Ikonen der Simeon- und Anna-Kirche in Petersburg demon-
einer solchen Auffassung bereits in der Konzeption der alt- striert (S. 274). Sie waren Staffeleibilder in Öl gemalt. Die
russischen Bilderwand als einem liturgischen Baukörper, alten Festtagsbilder zeigten Landschaftsdarstellungen i111
der keinen akzidentellen Charakter trug, sondern ein inte- holländischen Stil. Die Reflexlichter wurden, wie in der sog-
grierendes Moment der Innenarchitektur bildete. Im übrigen „Stroganow-Schule", mit Gold wiedergegeben. Vermerkt sei,
wird der Persönlichkeit Sarudnys, der mit seinem ukraini- daß an der Verbesserung der musivischen Technik kein Gesehen
Landsmann und bedeutenden Hierarchen Stefan Ja- ringerer als Lomonossow arbeitete, aus dessen Werkstatt
worski eng befreundet war, ein ausführlicher Exkurs gewid- auch einige Apostelköpfe erhalten sind (S. 284, Abb. 203).
met. Es darf darauf hingewiesen werden, daß bereits in Bd. Die Probleme des Überganges von der Einfachheit der Idas
IV die Bedeutung westrussischer (ukrainischer und weiß- sischen Bildkomposition der Ikonen zu dem neuen ManieriS"
russischer) Architekten und Künstler ständig betont wurde. mus der 50er Jahre des 18. Jh.s wird an den Arbeiten I«""1
Unter den bedeutenden Kirchenbauten dieser Zeit, die alle Argunows (S. 313f.) von Frau Kowalenskaja denM>n"
mit dem Namen Sarudnys in Verbindung stehen, seien hier striert. Aus dem Bereich der Grafik seien wenigstens die
nur die Kirche Johannes des Kriegers und die von Besuchern „Volksbilderbogen" erwähnt, weil auf ihnen ebenfalls ältere
Moskaus immer wieder bewunderte Torkirche des Donschen Ikonensujets verarbeitet wurden (S. 336f.). Aus dem Kap-
Gottesmutter-Klosters erwähnt. Unter den Neubauten in über die Bildhauerkunst sei der Abschnitt über die ,,H°'Z"
Sankt Petersburg steht natürlich an erster Stelle die von plastik in der Volkskunst" von Presnow ausdrücklich gc
Domenico Trezzini errichtete Peter-Pauls-Kathedrale mit nannt, weil hier u. a. einzigartige Kreuzigungsdarstellungen
ihrer hochragenden (nach Peters Wunsch höher als Iwan der mit Assistenzfiguren angeführt und gezeigt werden (S. 351 ff
Große im Moskauer Kreml!) vergoldeten Glockenturm- vgl. auch Bd. IV, S. 244f.). Sie stammen in der Hauptsache
spitze. Es handelt sich um eine dreischiffige Basilika mit aus dem Permer Gebiet. Sie verraten m. E. nicht nur Kennt-
rechteckigen Altaranbauten, die im Inneren an eine prote- nis der autochthonen Freiplastik, deren Traditionen in vor
stantische Kirche erinnert. Die im Verhältnis zum Glocken- christliche Zeiten zurückreichen, sondern auch der westlichen
türm viel kleinere Kuppel ist vor den Altaranbauten errich- Kalvarienberge, was bei den engen Handelsbeziehungen 00*
tet. Schilkow zeigt im einzelnen, wie auch dieser Bau nicht hohen russischen Nordens mit Niederdeutschland, Fra»*"
einfach plötzlich erschien, sondern jene Bauelemente in sich reich und Spanien nicht zu erstaunen braucht,
vereinigte, die beim Menschikow-Turm und der Kirche Jo- wir konnten wiederum nur einige, die Leser unserer Zeit"
hannes des Kriegers bereits „durchexperimentiert" worden schrift überdies besonders interessierende Beispiele heraufr*
waren. Es ergeben sich hier ähnliche Probleme wie bei der greife,,. Das ganze Buch zeigt die Kunst der petriniscbeD
Übernahme russischer Bautraditionen durch die italienischen Epoche in allen ihren Gattungen in engster Verbindung mit
Architekten der Kremlkirchen. Das Modell der Peter-Pauls- den gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und ökoiio-
Kathedrale mit dem basilikalen dreisebiffigen Grundriß und milchen Problemen, aber auch in den zahlreichen, oft abrup*
der Polarität von Kuppel und Glockent urm blieb für die neue ten Wendungen und Windungen einer Übergangszeit, a»
Hauptstadt zunächst bestimmend, wobei der Glockenturm die die Kunst nicht selten empfindlich reagierte. - Schlief
in Rußland eine alte Bautradition besaß (die Glockengießerei jjcj, se; diesmal nicht vergessen, der Übersetzerin, Frau e.-»
erreichte in Rußland eine hohe Blüte bereits in der Vergan- Pietsch, für die flüssige und verläßliche Übersetzung **
genbeit, während die Türken auf dem Balkan die Glocken danken.

verboten hatten). Erwähnt sei hier nur der herrliche Glocken- . _ ,.h

. _ ..'...„. ... . c . . . Halle/Saale . Konrud Onn»cB
türm des JJreiemigkeits-Sergius-Klosters in bagorsk 1/4U bis

1770 (S. 123ff.). Daneben blieb, in zahlreichen Varianten,

auch der Zentralbau bzw. die Kreuzkuppelkirche in Geltung,

wie u. a. Blacherniotissa-Kirche in Dubrowizy (1690-1704), Felmy, Karl-Christian, Ouspensky, Leonide, Hauptmann»

das Kleinod dieser Architekturepoche, die Klosterkirche von Peter, Küppers, Werner, u. Ferdinand Herrmann: Syi»

Sweni (vor 1754), die Kathedrale von Koselez (1652-1763). bolik des orthodoxen Christentums und der kleineren chns-

Der Höhepunkt des Kirchenbaus ist mit dem Namen War- liehen Kirchen in Ost und West. Tafelband. Stuttgar