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Ausgabe:

1972

Spalte:

388-390

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schwarzwäller, Klaus

Titel/Untertitel:

Das Gotteslob der angefochtenen Gemeinde 1972

Rezensent:

Kreck, Walter

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 5

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dem Barth Bultmanns enge Fühlungnahme mit Heidegger den! ... und in Erinnerung an ,die Anfänge der dialekti-

immer nur mit größter Zurückhaltung, ja Abwehr beobach- sehen Theologie' meine freundschaftlichsten Grüße!" (205f)

tete, wohingegen Bultmann Barth ein gebrochenes Verhält- Auf den theologiegeschichtlichen Ertrag, der am bisheri-

nis zur Geschichte und damit zum Problem des menschlichen gen Bild von den Spannungen im Lager der „dialektischen

Selbstverständnisses vorwirft. Andere, z. B. kürzlich wieder Theologie" mancherlei entscheidend korrigiert, kann hier

W. Trillhaas, haben das nachgesprochen, sicherlich zu Un- im einzelnen nicht eingegangen werden. Hingewiesen sei

recht, soweit es um Geschichte, nicht um Geschichtlichkeit nur auf zwei höchst bemerkenswerte Stellungnahmen von

alt anthropologische Kategorie geht. Bultmann und Barth zur Frage Kirche und Theologie bzw.

Das theologische Engagement im Kirchenkampf, der beide Lehramt im Anhang, die Denkschrift Bultmanns zur Frage

Briefschreiber im gleichen Lager sah, wobei Barth jetzt auch der kirchlichen Beteiligung an Berufungsverfahren für Mar-

Bultmanns Freund H. von Soden akzeptierte, dürfte jünge- bürg vom 18.1.1913 und das lange Schreiben Barths an Bischof

ren Lesern ziemlich unbekannt sein. Selbst der Herausgeber D- Wurm vom 29. 5. 1947 über Bultmann auf der Höhe des

verrät etwas davon, wenn er S. 93 sich darüber wundert, Entmythologisierungsstreits.

daß D. Bonhoeffer im Briefwechsel kaum eine Rolle spiele. Das ganze Buch stellt eine höchst spannende und instruk-

Das ist begreiflich, weil man erst nach 1950 etwa Bultmann, tive Lektüre dar. Man kann R. Bultmann nur dankbar sein

Bonhoeffer und auch Barth zueinander theologisch in Vcr- für seine Zustimmung zur Publikation des Briefwechsels,

hältnisse setzte, die sich historisch kaum so verifizieren dem Herausgeber sowohl für seine sehr sorgfältige Arbeit

lassen, wie denn auch das Verhältnis zwichen Barth und wie für den Entschluß, ihr Ergebnis dann in den erst spatci

Bultmann von Schülern und Außenstehenden später vielfach entstandenen Plan der Gesamtausgabe einzufügen,

anders gedeutet wurde, als die Briefe es ausweisen. Inso- Ernst Wolf t
fern stellen diese Briefe auch einen ganz wichtigen Beitrag
zur neuesten Theologiegeschichte dar. Für die jüngeren Leser
steht daher wahrscheinlich die Auseinandersetzung in

der Entmythologisierungsdebatte im Vordergrund, die auch Schwarzwäller, Klaus: Das Gotteslob der angefochtene
zur Parteinahme einladen könnte. Aber die beiden großen Gemeinde. Dogmatische Grundlegung der Prädestinations-
Briefe dazu von Bultmann und Barth (Nr. 94 u. 95, S. 169 lehre- Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag des Er-
bis 202) sollten warnen. Gewiß, beide haben sich hier in Ziehungsvereins (1970). X, 300 S. gr. 8°. Lw. DM 52,80.
der Sache nicht verständigen können, es ist aber darüber Dieses Buch, die überarbeitete Fassung einer 1968 i>>
nicht zum Bruch gekommen; und der Schluß beider Briefe Göttingen angenommenen Habilitationsschrift, erhebt kei-
gehört zum menschlich Bewegendsten im ganzen Band: nen geringen Anspruch. Es geht dem Verfasser um eine
„Auf die Frage: .Was ist endlich und zuletzt das Thema Grundlegung der Prädestinationslehre, die alle bisherige
dieser Debatte?' kann ich nur antworten: Das Thema ist die Tradition — mit Ausnahme des Luther von De servo arbi-
Frage nach der hermeneutischen Methode im Dienst der trio — in die Schranken fordert. Denn man war seit Augu-
Erklärung des NT. Und nun lassen Sie mich schließen, in- stin auf eine metaphysische Begründung der Prädestination
dem ich doch Ihr Figaro-Zitat fortsetze: ,Wie könnt'ich denn aus, auf eine Ableitung aus einem allesumfassendcn Ord-
zürnen? / Mein Herz spricht für dich!' — und indem ich die nungsschema, wobei man sich vergeblich bemühte, mit der
letzte Zeile des Figaro hinzufüge: ,Ewig sei der Gram ver- Logik als kritischer Instanz alle hier aufbrechenden Frage11
bannt!' Mit herzlichen Grüßen...", so Bultmann. — Und rational zu bewältigen. Diesen Vorwurf erhebt Vf. auch ge'
Barth: „Lieber Herr Bultmann, wenn ich aufs Friedlichste gen den neuesten großen Entwurf, der sich ebenfalls kn-
und Beste über Sie nachdenke, dann versuche ich es immer tisch gegen die gesamte Tradition wandte: K. Barths Er-
wieder mit der Hypothese, mit der ich mir selbst und mei- wählungslehre. Zwar entgehe Barth mit knapper Not (mit'
nen Studenten den großen Schleiermacher nahe zu bringen tels des Analogieschemas und der christologischen Konzensuche
: es möchte das, worauf Sie hinaus wollen, als der tration) der Versuchung, Gott zum ersten Prinzip und OB'
Versuch einer ,Theologie des dritten Artikels' und also des mit zu einem innerweltlich Zuhandenen zu machen, aber
Heiligen Geistes zu verstehen sein. Das könnte ich als ein seine trinitarisch konzipierte Prädestinationslehre sei im
grundsätzlich legitimes und auch fruchtbares Unternehmen Grunde doch theologische Metaphysik, sie nehme die
ansehen. Es müßte dann aber die Relation zwischen dem Fragestellung des autonomen Menschen auf und dehne den
dritten und dem zweiten Artikel geklärt sein, d. h., es dürfte logischen Regreß bis in die immanente Trinität aus — in
dieser nicht in jenen aufgelöst werden, sondern müßte ihm dem Bestreben, das Geheimnis Gottes restlos zu entschlei-
gegenüber in seiner eigenen Dignität sichtbar gemacht wer- ern, auch hinsichtlich der Frage der Verwerfung. Vf. möchte
den. Hier stocke ich Ihnen wie Schleiermacher (oft auch dagegen, wie er in einem etwas änigmatischen kurzen me-
dem jüngeren Luther) gegenüber. Wenn Sie in dieser Rieh- thodischen Abschnitt ankündigt, die Frage im Sinne einer
tung einen Ruck tun könnten, würde über Vieles gemäch- „biblischen Theologie" angehen, welche nicht nur den Stoff,
lieh zu reden sein. Ich sähe dann Ihre Sätze nicht mehr in sondern die Strukturen der Schrift zur Geltung bringt und
ein Vakuum zeigen, brauchte Ihnen dann nicht mehr so das „Herrenbekenntnis" als „Mitte" des Kanons wahrt, zu-
trotzig entgegenzuhalten, daß ich nun erst recht zu ,objek- gleich aber konstitutiv auf die Gemeinde bezogen ist. Durch
tivieren' gedenke, würde dann auf Wunsch sogar ein biß- Meditation gerade nicht-prädestinatianischer Texte — l!n
chen mit Ihnen .heideggern' können. Sie Ihrerseits . . . aber Hinblick auf die Rechtfertigungslehre ausgewählt — sollen
ich will diese milleniale Möglichkeit nicht weiter ausmalen, die dogmatischen Thesen gewonnen bzw. unterbaut wer-
sondern nur noch sagen, daß Walfisch und Elephant dann den.

jedenfalls ihr gemeinsames Thema finden würden" (200f). Wie Vf. diese Absicht in den beiden Kapiteln durchführt,

Und nochmals im letzten Brief Barths an Bultmann vom kann hier nur in großen Zügen skizziert werden.

28. 12. 1963: „Ach, daß wir in der Beurteilung dieser Lite- Im 1. Kap. „Gottes Setzen und Richten" (Meditationen

ratur (nämlich der post morten Dei-Theologie) und insbe- über die Grundlagen von Prädestinationslehre) weiden *

sondere des Werks des Bischofs von Woolwich einiger wä- „Chiffren" eingeführt („Gott setzt" und „Gott richtet"), die

ren! ...Ich sah dieser Tage eine mir bis jetzt unbekannte den von Rechtfertigung und Prädestination umgeschriebe-

Darstellung der Nativitas von Boticelli: Oben in beweg- nen Komplex bezeichnen sollen. Gottes souveräne Freiheit

testem Reigen die Engel... unten drei sich je gegenseitig bzw. Willkür, in der er zugleich sein Recht am Menschen

umarmende Menschenpaare, eines davon zwei richtige alte verwirklicht und sein Heil schafft, soll damit ausgedrückt

Herren, die sich freundlich anlachten (.Friede auf Er- sein — in untrennbarer Einheit von Setzen und Richten bzw-

den ...!'). Halten wir es trotz Woolwich etc. wie diese Bei- Recht schaffen, aber doch mit Bedacht in dieser Reihenfolge-