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Ausgabe:

1972

Spalte:

383-385

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bosinski, Gerhard

Titel/Untertitel:

Das Schrifttum des Rostocker Reformators Joachim Slüter 1972

Rezensent:

Hoffmann, Heinz

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Theologische Litcraturzcitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 5

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Luther den so lange Jahrhunderte hindurch währenden Irr- neues Licht auf manche liturgische und hymnologische Ein-
tum in der Theologie über die Perfcktibilität des glauben- zelprobleme wirft, sondern viel interessantes Material für
den Menschen zu bekämpfen gewußt, wie er ebenso davon unsere Kenntnis von Gottesdienst und Frömmigkeit in den
überzeugt war, daß auch unter dem Papst das Evangelium _ entscheidenden Jahren der Reformation bietet. B. beschränkt
nicht völlig untergehen konnte und in allen Jahrhunderten sich entgegen dem ursprünglichen Plan, S. in einem Lebensrechte
Christen erhalten hat. Es geht aber entschieden zu bild zu würdigen, auf die Darstellung seines Schrifttums
weit und verrät nur die übliche römisch orientierte Tendenz, (Vorwort). Trotzdem ist die biografische Auswertung und
zur Rückkehr in den Schoß der katholischen Kirche zu frei- die Einbeziehung der Auseinandersetzungen in den 20er
ben, wenn man uns Luther, so mit anderen katholischen Jahren überall zur Stelle. Es kann im folgenden nur um ei-
Theologen auch Pesch, „bei aller Kritik im einzelnen . . . nen Überblick und die Andeutung einiger Einzelheiten ge-
im ganzen als eine Möglichkeit theologischen Denkens hen.

und gläubigen Existierens" vorstellt, „die auch in der ka- Nach einer Literaturzusammenstellung folgt im 1. Kapitel
tholischen Kirche ihren Platz hat" (42). Dieses Unternehmen cin sorgfältiger Überblick über die Forschungslage und Aufhat
sein Vorbild in Lortz, der in der Jedin-Festschrift 1965, gabenstellung und ein kurzer biografischcr Abriß. Kap. 2
S. 217, die Aufgabe stellte, „Luthers Reichtum in die katho- ;st em überarbeiteter Abdruck von B.s Aufsatz in „Herberlische
Kirche heimzuholen". Pesch unternimmt diese gen der Christenheit", Berlin 1965, S. 41-65 und behandelt
Einordnung der Theologie Luthers, indem er sie bloß als das Gesangbuch von 1525. Ein Vergleich zum Wittenberger
eine besondere theologische Denkart charakterisiert, zu der Gesangbuch von 1524 und dem Erfurter Enchiridion von
die Katholiken Zugang gewinnen könnten. Man werde Lu- 1525 zeigt die eigenständige und wohldurchdachte Arbeit
thers These ganz begreifen, wenn man sich „aus der einen s.s in der Anordnung nach liturgischen Gesichtspunkten und
in eine andere Denkform und Anschauungsweise begeben" jn der Beigabe von Bibelstellen (wohl der Anregung Spcra-
könne (38). Auf die Schlußfrage: „Schließen diese beiden tus' folgend). S. hat, wie auch die Vorrede zum Gesangbuch
Denkstrukturen, die Struktur lutherischen theologischen 1531 zejgt, großen Wert auf die Einübung des Liedguts in
Denkens und die der katholischen Theologie, einander aus?" der Gemeinde gelegt. Kap. 3 behandelt den Katechismus
gibt Pesch die Antwort: „Sicherlich in dem Sinne, daß sie von 1525. Ein Vergleich mit dem 1524 in Magdeburg er-
kaum in ein und demselben Kopf nebeneinander Platz ha- schienenen niederdeutschen Katechismus (auf Grund dessen
ben." Katholik und lutherischer Christ könne man nicht zu- schon Reu, Sieden und v. Walter S. als Herausgeber bezeich-
gleich sein, aber Repräsentanten beider Denkarten könnten neten) zeigt die eigenständige Arbeit S.s an folgenden Punkin
der einen Kirche zusammen sein, ja „beide theologischen ten. 1. jn der Ausrichtung auf Erwachsene (gegenüber den
Denkweisen brauchen einander zur gegenseitigen Kritik und „Kinderfragen" der Böhmischen Brüder), 2. in der Beigabe
Warnung" (41). Der grundlegende theologische und zutiefst von Bibelstellen - sowohl zur Abwehr gegnerischer Ein-
den Glauben betreffende Gegensatz, mit dem viele Genera- wände als auch zur Belehrung und Befestigung der Gläubi-
tionen von Christen gerungen haben, wird hier zu Spiel- gen (wie schon im Gesangbuch), 3. in der Übertragung in
arten des Denkens, zu verschiedenen Arten und Stilen, theo- den Rostocker Dialekt, und 4. daß er sich überhaupt für die
logisch zu denken. Hat das Verheißung oder weckt es sorg- Magdeburger Vorlage entschied, die im Vergleich zu ähnlosen
Umgang mit überkommener Erkenntnis? Das ist m, E. liehen Versuchen die reformatorischen Anliegen am klarstes1
zu bedenken. zur Sprache brachte. Kap. 4 (Das Gebetbuch von 1526 1530)
Jena Horst Beintker ist das umfangreichste, weil es B. hier vor allem erst ein-

mal um die Erschließung des Werkes geht. Er stellt den Aufbau
und S.s Verfahren bei der Aufnahme des ihm zur Verfügung
stehenden Materials dar. S. knüpft einerseits a°
Bosinski, Gerhard: Das Schrifttum des Rostocker Reforma- Luthers Betbüchlcin 1522 an, andererseits geht er eigne Wc-
tors Joachim Slüter. Berlin: Evang. Verlagsanstalt und ge. herkömmlichen Frömmigkeitsformen und -Übungen
Göttingen, Vandcnhoeck & Ruprecht [1971], 270 S. gr. 8". stc]lt cr das rechte evangelische Verständnis gegenüber, so
Bis ins 19. Jh. hinein gingen die Darstellungen Stüters daß auch hier der Charakter der „Unterweisung" besonders
hauptsächlich auf Gryse (1593) zurück. Die Erschließung ar- hervortritt (mehr noch in der Auflage von 1530). Er über-
chivalischer Quellen (besonders von Lisch, Wiechmann-Ka- nimmt traditionelles Gebetsgut (auch „vmme der swacken
dow und Koppmann) kamen den neueren Forschungen von vnde krancken willen"), aber nach reformatorischen Gc-
Vorberg, v. Walter, Schmaltz u. a. zugute, erstaunlich gering Sichtspunkten gereinigt. Er bietet viele Reimgebete, die B-
aber blieb die Verarbeitung von Slüters Schrifttum, obwohl auf ihre Vorlagen und S.s Anteil hin untersucht. In der Darauf
diesem Gebiet wichtige Entdeckungen gemacht worden bietung von Tagzeitcngcbetcn, Bußpsalmcn, Beichtgebeten
waren: Wiechmann-Kadow gab 1858 das neuaufgefundenc und zwei Gottesdienstordnungen (Dreifaltigkeits- und Grün-
Gesangbuch von 1531 heraus, in dem S. als Verfasser ge- donnnerstagsmesse) wird deutlich, wie sehr es S. um die
nannt war, dazu einen Katechismus von 1525, für den Geff- Einheit von persönlichem Gebet und gottesdienstlichem Gecken
S. als Verfasser vermutete. Erst als Bachmann 1877 ein schehen ging. Zudem spiegelt das Buch die Auscinandcr-
Gesangbuch von 1525 entdeckte und den Nachweis für S.s Setzungen dieser Jahre wider, was auch die Aufnahme
Verfasserschaft führte, fiel auch neues Licht auf den Kate- brennender Fragen (Fegfeuer, Kranke und Sterbende be-
chismus, so daß er als Arbeit Slüters gesichert gelten kann. treffend) in der 2. Auflage 1530 beweist. Unterweisung im
Schließlich wurde noch ein Gebetbuch von 1526 (2. Aufl. 1530) Glauben und Hilfe zum Gebet — das sind S.s Hauptanliegen,
bekannt, aber wenig beachtet — z. T. wegen Althaus' ab- durchaus im Sinne der Forderung Luthers 1522. Die Gründe,
wertendem Urteil, z. T. weil S.s Anteil am wenigsten ein- die nach B. für S. als Herausgeber sprechen, sind 1. die Cot-
deutig nachgewiesen werden konnte. B. hat gewichtige und tesdienstordnungen (deutsche Messe!), 2. die Frontüberzeugende
Gründe beigebracht (s. u.), S. als Vf. anzu- Stellung in der Deutung der Messe (gegen die Disputationsnehmen
, wenn auch wohl die Grenze zwischen Anregung, thesen Beckers von 1525), 3. die Verwahrung gegen den
Herausgeber- und Verfasserschaft letztlich schwer zu ziehen Vorwurf, das Evangelium schaffe Aufruhr, 4. die Vcrbin-
sein wird, zumal wenn man S.s Abwesenheit von Rostock dungslinien zu Gesangbuch und Katechismus von 1525 M~
1525/26 in Betracht zieht. Es ist jedenfalls dem Vf. der vor- turgische Stücke und Fragen der Heiligenverehrung), 5. die
liegenden Schrift, die von der Rostocker Fakultät als Inau- Kenntnis von Augustin und Fragen des geistlichen Rechts,
guraldissertation angenommen wurde, sehr zu danken, daß Kap. 5 handelt von einer verlorengegangenen Schrift von
nun zum erstenmal eine umfassende Beschreibung und Er- 1531 (Gryse hat sie noch gekannt), in der S. im Namen der
Schließung des ganzen Schrifttums vorliegt, die nicht nur evangelischen Prädikanten dem Rat Rechenschaft über die