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Ausgabe:

1972

Spalte:

331-339

Autor/Hrsg.:

Schille, Gottfried

Titel/Untertitel:

Literarische Quellenhypothesen im Licht der Wahrscheinlichkeitsfrage 1972

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 5

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so daß sich über die bisher referierten Arbeiten hinaus keine neuen
Gesichtspunkte ergeben.

18 Das gilt vor allem für die Zeit des Aufenthalts Davids in der Wüste
, während dessen David allein schon um seiner nackten Existenz
willen manche fragwürdige Handlung begehen mußte, wie dies aus 1.
Som 25 zu ersehen ist. Vgl. dazu nur die Stellungnahme und die Literaturhinweise
bei J. A. Soggin, Das Königtum in Israel, 1967, S. 61 f. Man
muß aber auch damit rechnen, daß David bereits während seines Aufenthalts
an Souls Hof eigene Pläne verfolgte. Vgl. H. Greßmann, Die
Schriften des Alten Testaments II, 1, 1921-, S. 90, der der Schilderung
in 1. Sam 21,1ff.; 22,6ff. entnimmt, daß David tatsächlich eine Verschwörung
anzetteln wollte.

1H Er betrachtet 2. Som 7 als ein einheitliches Stück im Stil der sog.
ägyptischen Königsnovelle, das aus der Zeit Salomos stammt (a. a. O.,
S. 349). S. dazu auch seinen Aufsatz Die Tempelbaukrise unter David,
ZAW 77, 1965, S. 153—168 (dort weitere einschlägige Literatur). Doch
s. zu 2. Sam 7 u. Anm. 40.

-u Für Nübel gehört er zur späteren Bearbeitung, ist aber jedenfalls
für diese sehr wichtig (s. o. S. 2).

-1 Auch Weiser denkt offenbar an Salomos Frühzeit.

" S. u. S. 8.

-;l Ziel und Ausmaß des in 1. Kön 11,26 erwähnten Aufruhrs sind nicht
recht deutlich, da nicht sicher ist, welche Kreise zu dieser Zeit hinter
Jerobeam standen. Vgl. jedoch Soggin, a. a. O., S. 93, H. Seebass,
Zur Königserhebung Jerobeams I, VT 17, 1967, S. 325-333.

24 Vgl. M. Noth, Jerusalem und das Nordreich, in: Gesammelte
Studien zum Alten Testament II, 1969, S. 133f.
A. a. O., S. 353.

-" Vgl. besonders 1. Sam 19,1-7; 20,8.

27 Vgl. nur 1. Sam 18,17b.21a.25b.28f. Hier wird besonders deutlich,
daß es um eine prinzipielle Problematik, nicht um eine historische Darstellung
geht. Denn die genannten Verse sind leicht als redaktionelle
Zutaten zu erkennen, da die beiden Stücke, in denen sie sich befinden,
ohne sie nichts von einer Mißgunst Sauls spüren lassen. S. dazu Hertzberg
, a. a. O.. S. 128.

1. Sam 18,1.3f.; 19,1-7; 20,1b-21,1.

29 David ist nur insofern nicht rein passiv, als er der Gefahr, die ihm
von Saul droht, rechtzeitig zu entgehen weiß und sich dabei selbst von
Jonathan nicht beirren läßt (1. Sam 20,1b—7), er also in der Lage ist,
seine Fähigkeiten zum Schutze des eigenen Lebens einzusetzen.

M 1. Sam 17; 18,5.6-9.13-16.20-30; 19,8.

31 Dieser Aspekt würde noch besonders betont, wenn man annimmt,
daß die Goliathgeschichte, und zwar die dem Codex Vaticanus der Sep-
tuaginta fehlende Version (1. Sam 17,12—31.55—58), ursprünglich einmal
den Anfang der Darstellung gebildet hat. S. dazu meine Monographie
Die junge Generation im Alten Testament, 1970, S. 64f., vgl. auch S.
55f. Dann wäre eine ungewöhnliche Tat das erste überhaupt, das von
David berichtet würde.

32 1. Sam 17,45-47; 18,14.28. Von der im Codex Vaticanus der Sep-

tuoginta fehlenden Version haben sich theologische Aussagen nicht
erhalten, doch ist zweifellos auch bei dieser ein von Jahwe gelenktes
Geschehen gemeint. S. dazu meine in der vorigen Anm. zitierte Monographie
, S. 56.

•» Vgl. 1. Kön 12.10ff.21. Zur Problematik des hier Berichteten s. die
Kommentare von M. Noth (Könige, 1. Teilband, 1968) und J. Gray
(1 & II Kings, 1970-'), z. St.

;t* Die Schilderung der Salbung dürfte speziell aus prophetischen
Kreisen stammen. Vgl. zur Problematik von 2. Kön 9f. insgesamt Gray,
a. a. O., S. 537ff. Deshalb an der Historizität der prophetischen Designation
zu zweifeln, liegt keine Notwendigkeit vor. Vgl. dazu auch E.
Kutsch, Salbung als Rechtsakt im Alten Testament und im Alten Orient,
1963, S. 59.

:l"> Vgl. zum Ganzen nur M. Noth, Geschichte Israels, 1954-, S. 225f-
Doch s. auch Gray, a. a. O., z. St., der mit Anfangserfolgen, die wieder
verlorengingen, rechnet.

Noth, Geschichte Israels, S. 215f.
Vgl. Gray, a. a. C, S. 565f.

30 Daß dabei ausgerechnet eine Vertreterin der Omriden usurpierte
und natürlich vorrangig Machtpolitik betrieb, steht auf einem anderen
Blatt geschrieben.

:tt( Damit liegt hier die gleiche Stellungnahme wie bei Hosea vor, fuf
den die Usurpation Jehus nur unerhörte Blutschuld mit sich gebracht
hat (Hos 1,4).

4,1 Vor allem die sog. Nathansweissagung (2. Sam 7) bedarf noch
eingehenderer Untersuchung. Weiser hat sich nachdrücklich dafür eingesetzt
, dieses Kapitel und nicht etwa 2. Som 5 oder 8 als Abschluß des
Gesamtwerkes zu betrachten (a. a. O., S. 342ff.). Seine Gründe dafür
sind auch durchaus einleuchtend. Nur bleibt es angesichts der im vorliegenden
Aufsatz gemachten Ergebnisse fraglich, ob die Legitimität
eines Königtums auch von kultuspolitischen Maßnahmen abhängt bzw.
sich in solchen manifestieren muß (so Weiser, a. a. O., S. 352f.) °aer
ob man nur einen Teil von 2. Sam 7, in dem nicht vom Tempelbau ge'
sprachen wird, als Abschluß zu betrachten hat und dementsprechend
2. Sam 6 ganz ausklammert. Zur literarischen Aufgliederung von 2. Sam
7 vgl. neuerdings Mildenberger, a. a. O., S. Iff. (seine These, nur das
Gebet 2. Sam 7,18-21.25-29 als Abschluß des ursprünglichen Gesamtwerkes
zu betrachten, ist allerdings sehr unbefriedigend), E. Sellin -
G. Fohrer, Einleitung in das Alte Testament, 1969", S. 240. Auch die
Verheißung einer bleibenden Dynastie, sofern man diese allein als
Abschluß bestehen läßt, muß dann unter kritischem Aspekt gesehen
werden, d. h., sie kann im Gesamtzusammenhang der Darstellung nur
eine bedingte sein, deren weitere Geltung von dem entsprechenden
Verhalten der Davididen abhängt. Der kritische Aspekt, den H. Gese
für das ganze, von ihm als Einheit angesehene Kapitel herausarbeitet
(Der Davidsbund und die Zionserwählung, ZThK 61, 1964, S. 10-26).
kann sehr wohl als das Ergebnis einer späteren Redaktion, die die
Aussagen des vorgegebenen Materials kombinierte und modifizierte,
verstanden werden.

Literarische Quellenhypothesen im Licht der Wahrscheinlichkeitsfrage

Von Gottfried Schille, Borsdorf

I. Rückwendung zur Quellenkritik?

Wilhelm H a r t k e 1 und Ernst B a r n i k o 1 ' haben in
jüngerer Zeit, von unterschiedlichen Punkten aus, das
Schwinden des Interesses an quellenkritischen Maßnahmen
bedauert und ein Wiederaufleben der speziellen Literarkri-
tik erhofft. Gegenwärtig mehren sich die Anzeichen, dafj
diese Hoffnung nicht vergeblich gewesen ist. Das läfjt sich
forschungsgeschichtlich verständlich machen: Die Fragestellung
der Quellenkritik war für den Bereich der Synoptiker
— von der Zweiquellentheorie abgesehen, daß Markus und
eine hypothetische Logiensammlung (Siglum „Q") als Quellen
der jüngeren Synoptiker gelten — aufgegeben worden,
als die Formgeschichte zeigte, daß das wahrscheinliche Quellenstück
der Synoptiker die „kleinste Einheit" gewesen ist.
Die Formgeschichte war also keineswegs eine völlig .neue"
Methode neben der Quellenkritik, sondern eine radikal
durchdachte Quellenkritik. Die notwendige Konsequenz der
neuen Einsicht ist das Eingeständnis, dafj die Quellen der
Synoptiker anonym und die Suche der älteren Quellenkritik
nach Verfassern von Quellenschriften verfehlt waren. Nachträglich
sicherte die redaktionsgeschichtliche Betrachtungsweise
dies Ergebnis noch dadurch, daß sie die Verfasser der
ersten christlichen Literatur als Personen zwar nicht dem
Namen, aber der Sache nach sichtbar machte. Wenn im Zug
der Entdeckerfreude zuerst die These verfochten wurde, einer
kritischen Erfassung sei eigentlich nur die letzte Aussage
zugänglich, so scheint man neuerdings auf Beobachtungen
zu stoßen, die zur kritischen Besinnung über die Grenzen
der Redaktionsgeschichte auffordern'1. Die klassische Redaktionsgeschichte
ging naturgemäß von den Fällen besonders
deutlicher Auflösung vorgegebener Aussagen (etwa

eines Markus) aus, vom Verhältnis der jüngeren Synoptiker
zu Markus. Wären die jeweiligen Schriftsteller auch nur ge'
legentlich behutsamer mit ihren Stoffen umgegangen, müßte
sich das Geschäft der Redaktionsgeschichte im ganzen komplizierter
darstellen, als man zunächst glaubte. Daher rückt
die Vorgeschichte der urchristlichen Literatur gegenwärtig
ganz allgemein wieder stärker ins Blickfeld.

Das würde noch nicht zur Rückkehr in die klassische Quellenkritik
berechtigen. Vielmehr hat die kritische Prüfung
gezeigt, dafj auch die hypothetischen Quellenschriften der
Formgeschichtier, etwa das von Martin D i b e 1 i u s postulierte
„Itinerar der Paulusreisen" im Hintergrund der Apostelgeschichte
(Vorform: eine Wir-Quelle), mehr gegen als
für sich haben4. Die These von der »kleinsten Einheit" als
der wahrscheinlichsten Quelle der urchristlichen Literatur
hat sich gegen quellenkritische Maßnahmen allgemein durchgesetzt
. Um so erstaunlicher ist die Feststellung, daß neuerdings
wieder „klassische" Quellenhypothesen in Erinnerung
gebracht werden. Man diskutiert wieder Probleme der Lo-
gienquelle Q. Lloyd G a s t o n 5 empfiehlt soeben den Rückgriff
auf die Proto-Lukas-Hypothese, das ist die Annahme,
Lukas fuße auf einer Quellenschrift, die die vorlukanische
Form von Q (Siglum „L") gemeinsam mit dem lukanischen
Sondergut enthalten habe. Interessant, um nicht zu sagen:
verwirrend ist die Zustimmung zu derartigen Hypothesen.
Man wird sich auf die Rückkehr zu weiteren „unerledigten
Anfragen aus der Zeit der Jahrhundertwende gefaßt machen
müssen".

Worin könnte die Rückkehr zur Quellenkritik begründet
sein? Es gibt dafür mehrere Gründe von sehr unterschiedlichem
Wert:

1. Vielleicht haben die Vertreter der Form- und Redak-