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Ausgabe:

1972

Spalte:

312-313

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bonhoeffer, Dietrich

Titel/Untertitel:

Treue zur Welt 1972

Rezensent:

Schulze, Rudolf

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 4

312

ihn in seinem biblischen Sinn und seiner rechtfertigenden
Bedeutung neu entdeckt, aber auch anders verstanden
habe (83). „Luther hat den Glauben mehr als Hoffnung
gesehen, die katholische Lehre versteht den Glauben mehr
von der Liebe her" (87). A. meint, daß „das Lutherverständnis
des Konzils von Trient dem heutigen, kritischen
Lutherverständnis nicht in allem" standzuhalten vermag
(84). Das Konzil habe nicht die ,Christozentrik' im lutherischen
Glauben wahrgenommen (85). Dem wird man
weithin zustimmen können. Hingegen bietet die reformatorische
Sündenlehrc offensichtlich Verständnisschwierigkeiten
: „reformatorische Verdinglichung der
Sünde", keine „wesenhafte Sündenvergebung", „die
Sünde wurde nur im Bewußtsein Gottes nicht mehr angerechnet
" (94). Trotzdem versucht A. Luthers Lehre vom
,simul justus et peccator' im Nachgang zu H.Küng
(Rechtfertigung, Einsiedeln 31957) und O.Pesch einen
auch katholisch zu träglichen Sinn abzugewinnen (S.96f.;
vgl. aber die Interpretation der Formel auf S.201). Es
verkehren sich jedoch die Fronten, wenn A. in Auseinandersetzung
mit der lutherischen Lehre die Neufassung
des katholischen Sündenverständnisses fordert und selbst
so formuliert: „Sünde ist nun nicht eine Wirklichkeit, der
der Mensch gegenübersteht, sondern vielmehr eine Wirklichkeit
oder Tatsache, die den Menschen selbst in seiner
personalen und geschöpflichen Existenz trifft und verwandelt
. ... Sünde ist darum eine transzendentale
Verderbtheit..., die nur von Gottes schöpferischer
Huld geheilt und behoben werden kann" (98).

Anlaß zu erneuten Auseinandersetzungen bietet Luthers
Glaubensgewißheit. A. faßt Zustimmung und Ablehnung
in dem ausgleichenden Satz zusammen: „Der
Sprache nach ist die Lehre des Tridentinums eine Absage
an Luthers Lehre, der Sache nach können beide
Lehren Rechtgläubig' verstanden werden" (148).

Diese hier deutlich gesehene hermeneutische Differenz
von Wort und Sache, die mit der Geschichtlichkeit
unserer Sprache gegeben ist, wird an einer anderen Stelle
überraschenderweise völlig außer acht gelassen. Auf
Seite 166 ff. unternimmt A. den Versuch „einer ,metaphysischen
Bestimmung' der Gnade". Dies geschieht mit
aristotelisch-scholastischen Begriffen. Dagegen muß nicht
unbedingt etwas eingewandt werden. Nachdenklich
stimmt, wenn solche Begrifflichkeit, die doch auch nur
eine unter mehreren ist im historischen Ablauf des theologischen
Denkens, als die „wissenschaftlich-begriffliche
Bestimmung" des Gegenstandes erscheint, über die hinaus
eine Sachdefinition offenbar nicht möglich ist. Bei
solcher Hochschätzung des Thomismus dürften alle dog-
menhermeneutischen Versuche einen schweren Stand
haben.

Unklarheiten und Irrtümer häufen sich auf den Seiten
200f. Luthers sog. „Turmerlebnis" als „Zeitpunkt seiner
Abkehr von der katholischen Lehre" falle „wohl in die
Zeit der zweiten Römerbrief-Vorlesung 1519", „auch
wenn es erst 1542 (!) zum erstenmal Erwähnung findet".
Wenn von der Jahreszahl 1519 ausgegangen werden darf
(auf S.234 wird der Einschnitt auf 1518 gelegt!), dann
könnten die Zweite Psalmenvorlesung oder der Galater-
kommentar gemeint sein. Auf diesen Zeitpunkt wird von
einem Teil der Lutherforscher das in Luthers großem
Selbstzeugnis 1545 (Vorrede zum l.Band der Gesamtausgabe
seiner lateinischen Schriften) erwähnte biographische
Ereignis gelegt. Auch für 1518 spricht einiges.
Die dann folgende Zusammenfassung von Luthers
Rechtfertigungslehre in sieben Sätzen wird manchen
evangelischen Leser zum Widerspruch reizen. Formal ist
anzumerken, daß das Zitat aus Artikel IV der Apologie
(Nr. 146, nicht 46!) als Beleg für Luthers Auffassung nicht
dienen kann, da Melanchthon ihr Verfasser ist.

Gerade wegen der hier geäußerten kritischen Einwände

möchte der Rez. doch zum Schluß deutlich betouen, daß
A.s Buch zur Gnadenlehre sicherlich von katholischen,
aber auch von evangelischen Theologen mit Gewinn gelesen
werden wird. Sein Wert besteht außer in der Ij(>s
barkeit wohl vorzüglich darin, Ausweis für ein sich zunehmend
durchsetzendes, gewandeltes katholisches Lutherbild
und ein größeres Verständnis für die theologischen
Anliegen der anderen Konfession zu sein. MW
darf auf die weiteren Bände der Reihe gespannt sein.

Corrigenda

Auf S.77, Z. 13 v.u. ist das <p von iniatQ&qxa auf den Band gerückt
; S.83, Z. 17 lies „Jesus Sirach" statt „Jesu Sirach";
von S. 103 zu 104 ist, beim Umbruch eine Zeile weggefallen;
S.186, Z.O v.u. lies ufoetts statt fiiteht-, S.192, Z.9 ist die
Jahreszahl 1173 nicht als Todesjahr gekennzeichnet; S.223
sind die Z. 18 und 19 gegeneinander versetzt; auffällige Satzzeichen
-Auslassungen finden sich S.59, Z.20; S.136. Z.3 v.u.
und S.228 am Ende.

Potsdam Reinhold Qaliinat

Bonhoeffer, Dietrich: Das Wesen der Kirche. Aus Hörernachschriften
zusammengestellt und hrsg. von O. Dudzus. München
: Kaiser [1971]. 79 S. 8°. DM 5,80.

-: Treue zur Welt. Meditationen. Ausgewählt und eingeführt
von O.Dudzus. Ebd. 1971. 71 S. 8°. DM 5,80.

Die Vorlesung Bonhoeffers aus dem Jahre 1932 big bisher
nur in einem Text im Anhang der Bonhoeffer-Bio-
graphie von E. Bethge vor, der die ausschließlich zwei verbliebenen
Nachschriften zum Teil nur referiert. Der neue
Text ist eine ausführliche Rekonstruktion. Lücken mußten
unvermeidlicherweise allerdings auch jetzt bleiben.
Die Gliederung ist detaillierter, an wichtigen Punkten ist
die Wiedergabe umfangreicher, teilweise auch klarer und
ergiebiger. Die Sprache Bonhoeffers ist in gediegener Einfühlung
nachgeschliffen worden.

Der Aufriß der Vorlesung gliedert sich in zwei Teile-
Der erste Teil handelt vom „Ort der Kirche" (A. In der
Welt; B.Inder Christenheit; C. In der dogmatischen Theologie
). Er liefert die Exposition für den Haupttei „Die
Gestalt der Kirche", der mit einer im Text jetzt wiederhergestellten
grundlegenden Vorbemerkung zum Gestaltbegriff
einsetzt. Der Grundriß der anschließenden Ausführungen
ist der aus „Sanctorum Communio", inhaltlich
kommt es jedoch zu beachtlichen Veränderungen. Eine
christologische Konzentration ist eingetreten. „Der Lehre
von der Kirche wird ein Kapitel Christologie unter de"1
beherrschenden Gesichtspunkt der Stellvertretung als
Grundlegung vorangestellt" (O.Dudzus, Vorwort, S.10)-
In zwei Unterteilen handelt dieses Kapitel von „Adam
und Christus" (A) und „Kirche und Christus" (ß). Die
Begriffe Geistvielheit, Geistgemeinschaft, Geisteinheit iiuJ
„Sanctorum Communio" haben christologisch begründeten
Strukturen Platz gemacht: „Christus als Gemeinde
existierend", „Christus der Herr der Gemeinde", „Christus
der Bruder". Sie werden ohne soziologische Analogie'1
entwickelt. Vom Geist ist ausdrücklich erst danach die
Rede bei den Gedankengängen zur „handelnden Gemeinde
" (C). Dieser Abschnitt C ist, wie 0. Dudzus hervorhebt
, „mit Erfahrungen gesättigt" (S.10) und zieht
praktische Konsequenzen aus! „Weltlichkeit und Christ -
lichkeit der Kirche" (D) und „Die Grenzen der Kirche
(E) beschließen die Vorlesung. Ein durchgängiger Weltbezug
des Ganzen ist unübersehbar.

Der sehr sorgfältig nachgezeichnete Text wird sich
nicht nur für die Bonhoeffer-Forschung als wichtig erweisen
. An der Schwelle heutiger Gedanken zum Verhältnis
von Theologie und Kirche stehen schon die Überlegungen
zu Beginn über den Ort der Kirche innerhalb der
dogmatischen Theologie, die erheblichen Raum einneh-