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Ausgabe:

1972

Spalte:

304-308

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Metaphysik und Theologie des Aristoteles 1972

Rezensent:

Schwanz, Peter

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 4

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lischen Werten. Wir stehen hier vor einer „Prolongation"
des göttlichen Wesens in der Welt, was nichts mit Pantheismus
zu tun hat, aber doch die Auffassung von Gott als
dem „Ganz Anderen" sinnlos macht. Der Mensch ist nach
Gottes Ebenbild geschaffen und kann deshalb Werte
schaffen und vor allem erstaunliche moralische Höhen erreichen
. Dies alles sind zwar keine Beweise im strengen
Sinne, aber unbedingt Hinweise auf Gott, Wahrscheinlichkeiten
, wie Vf. öfters sagt.

Nun weiß Vf. selbstverständlich auch von den „Gegenargumenten
", von der Verdorbenheit der Menschen und
von den schrecklichen Ereignissen, von denen die Geschichte
erzählt (Auschwitz usw.) und die wir jeden Tag
konstatieren können. Dieses furchtbar schwere Problem
wird aber gemildert, wenn wir die schöpferische Freiheit
in der geschaffenen Welt ernst nehmen. Philosophische
Theisten werden enttäuscht, wenn sie zu viel von ihrer
Philosophie erwarten. Thomas Aquinas meinte, man könne
Gottes Existenz beweisen, Kant verneinte das. Vf. unterstreicht
, daß eine rechtschaffene Philosophie nur Indikationen
liefern kann. Ja, er kann feststellen, daß eine
rein empirische Metaphysik in einen intolerablen Dualismus
hineinführt. Nur der Glaube an eine besondere göttliche
Offenbarung kann hier den Ausweg finden. Glaube
ist somit eine Vervollständigung der Metaphysik, nicht
aber ein Ersatz dafür. Mittels des Glaubens kommen wir
vorsichtig, aber doch im Vertrauen zu dem Ergebnis, daß
eine Teleologie in die Welt hineinreicht, welche ihren Weg
durch die Welt in einem entwicklungsmäßigen Spiral
wirkt, nicht mit ihrem Mittelpunkt in der Welt und doch
überall vorhanden und konstatierbar in der Welt.

Und hiermit stehen wir vor dem zweiten Hauptteil des
Buches, wo das Wesen des christlichen Glaubens und seine
Auflösung der Rätsel, welche die Metaphysik als solche
nicht bewältigen kann, das Thema ist. Vf. kann reden, als
wäre die göttliche Erhabenheit Christi konstatierbar, wie
auch die Vervollkommnung der schönsten menschlichen
Moral in der Agape-Ethik der heiligsten Christen eine gesicherte
Tatsache. So meint er es aber doch nicht. Glaube
bleibt in diesem Menschenleben Glaube und nicht unbe-
zweifelbares Wissen. Die Erweiterung der Gotteserkenntnis
, von der hier die Rede ist, gründet sich zwar auf empirische
Tatsachen, bleibt aber verschiedenen Angriffen des
Zweifels ausgesetzt. Von einem Paradox im Kierkegaard-
schen Sinne ist aber keine Rede. Der Glaube und das
Leben im Glauben ist die Krönung der Natur, nicht ihr
Umsturz. Gerade die Tatsache, daß Gott in Christus in
das Böse und das Leiden der Welt hineingeht, ist die
göttliche, die einzig mögliche Antwort auf das für die
Metaphysik als solche unlösbare Problem, das sonst in
einen Dualismus hineinführen könnte. Es ist aber wirklich
eine Krönung, denn die göttlichen Gegenkräfte gegen
den Mißbrauch der Freiheit der Geschöpfe waren doch
immer und überall da. Und ebenso ist zwar die Christusoffenbarung
ein Neues, in der Fülle der Zeit, sie war aber
doch in verborgener Weise immer anwesend. Ehe Abraham
ward, bin ich, sagt Jesus.

So ist es auch falsch, wenn behauptet wird, wir könnten
nichts tun, um nach Gott hinzustreben. Vf. wagt zu
behaupten, daß wir den halben Weg gehen können. Und so
ist auch Glaube und Praxis untrennbar verbunden, was ja
übrigens mit der allgemeinen christlichen Auffassung
übereinstimmt. In der näheren Ausführung geht er aber
eher mit Pelagius ("a decent Britisher") als mit Augustin,
um von Calvin zu schweigen.

Merkwürdig wirkt es, daß er behauptet, Gott könne
nicht als völlig inmateriell aufgefaßt werden. Eine solche
Meinung komme letzten Endes von einem altgriechischen
Dualismus zwischen Materie und Geist, als wäre die
Materie das Böse. Gott könne, wagt Vf. festzustellen, die
körperliche Welt nicht schaffen, falls er selbst unkörperlich
wäre. Also wäre auch die Inkarnation eine Unmöglichkeit
.

Das hier besprochene Buch lesen, ist für einen heutigen
Protestanten ein merkwürdiges Erlebnis. Bisweilen wird
man an die britische Philosophie und Theologie des ersten
Drittels dieses Jahrhunderts erinnert, so fern Vf. auch
einem absoluten Idealisten wie etwa Bradley steht. Vor
allem denkt man aber an einen modernisierten thomisti-
schen Katholizismus.

Gentofte N.H.S0C

Hager, Fritz-Peter [Hrsg.]: Metaphysik und Theologie des
Aristoteles. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
1969. XVII, 467 S. 8" = Wege der Forschung, CCVI.

In der Besprechung der vorliegenden Aufsatzfolge muß
von vornherein eine dreifache Problematik vorangestellt
werden, nämlich 1. die aus der Reformation bis in die
Moderne herüberreichende negative Bewertung des spekulativen
(!) Denkers Aristoteles (A.), entsprechend 2. dann
auch die immer deutlicher werdenden Versuche, nicht
nur das Wort, sondern schließlich auch den Sachverhalt
der Metaphysik (M.) fallenzulassen, und endlich 3. den nur
den Rezensenten betreffenden Umstand, daß in dem
„Vorwort" von Hager (S.VIIff.) durchaus bereits eine
ausführliche Zusammenfassung zugleich in Form einer
Einführung in den Inhalt des Buchs und darüber hinaus
vorhanden ist.

1. Beschäftigen wir uns dennoch mit diesem Buch, so
zunächst unter Ebelings u.E. nicht nur die lutherische
Orthodoxie betreffenden Äußerung: „Man kritisierte unter
Berufung auf Luthers Kampf gegen Aristoteles den philosophischen
Einfluß in der Theologie, stellte sich aber gar
nicht dem Problem, ob denn systematische Theologie
ohne Berührung mit der Philosophie möglich sei" (Wort
und Glaube, Tübingen 19622, S.76).

2. Ein anderes ist Tillichs (T.) Absage an die M. und
seine Hinwendung zur Ontologie (0.): „Die Ontologie ist
kein spekulativer (! = d. Vf.) oder phantastischer Versuch
, eine Welt hinter der Welt aufzubauen; sie ist die
Analyse jener Strukturen des Seins, die wir in jeder Begegnung
mit der Wirklichkeit vorfinden. Das war auch
der ursprüngliche Sinn von Metaphysik; aber die Vorsilbe
,meta' hat heute die unausrottbare Vorstellung hervorgerufen
, als gehe es um eine Verdoppelung dieser Welt
durch einen transzendenten Seinsbereich. Deshalb ist es
vielleicht weniger mißverständlich, wenn man von Ontologie
statt von Metaphysik spricht" (Systematische Theologie
, Stuttgart 19563, Bd.I, S.28f.; die anderen, später
zitierten Band e: II 1958, III 1966 [S. Th.]); scheint es doch
hier tatsächlich nur um eine Umbenennung zu gehen, zumal
T. ja die fatale Überzeugung hegt, Begriffe als bloße
Schlüssel handhaben zu dürfen, die man schließlich fortwerfen
könnte (Gesammelte Werke [G.W.], Bd.VIL
S.241), als ob nicht Form und Inhalt immer in unver-
tauschbarer Weise einanderzuzuordnen seien.

Zugleich scheint es uns aber einerseits wichtig zu sein,
daß A. in dem hier zu besprechenden Sammelband durchgängig
gerade als spekulativer Denker verhandelt und
regelrecht immer wieder als solcher bezeichnet wird -
während andererseits T. an seiner Kennzeichnung der 0-
zugleich auch als Ersatz für die M. keinesfalls festzuhalten
vermag, was wir aber erst abschließend deutlicher zu umreißen
versuchen werden.

3. Unsere weitere - und eigentliche - Aufgabe ist aber
nun die, weitgehend direkt mit den entsprechenden Passagen
aus Hagers Vorwort einen Überblick über das A.-Buch
zu bieten, wobei zusätzliche Bemerkungen des Rez. in ek-
kige Klammern gesetzt sind und die Zeichensetzung des
Zitierten vereinfacht wurde: „Das Hauptanliegen dieser