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Ausgabe:

1972

Spalte:

293-295

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bayer, Oswald

Titel/Untertitel:

Promissio 1972

Rezensent:

Schäfer, Rolf

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 4

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..Calvin ließ Servet hinrichten" in dieser Form sicher unnahbar
ist (S.77). Auch den despotischen Charakter der
..Genfer Theokratie" zieht der Vf. in Zweifel (S.84).

Die Kapitel 9-12 unterscheiden sich deutlich von den
vorangehenden. Die Biographie Calvins ist nicht mehr die
Mitte der Darstellung. Im 9. Kap. „Calvins Verhältnis zu
Deutschland und der Ostschweiz" (S.84-88) wird sein
Hampf um die Einheit im protestantischen Lager hervorgehoben
. Calvins Bemühungen um „die Ausbreitung der
Reformation in Europa" werden im 10. Kapitel (S.89
bis 99) kurz skizziert, während sich das 11. Kapitel (S.99
bis 107) speziell mit dem „Ringen um die Reformation in
Frankreich" befaßt. Im Mittelpunkt des abschließenden
p-Kap. (S. 108-115) steht „der Schriftsteller und Theologe
" Calvin. Hier wird vor allem Calvins Stellung zu
zentralen Theologumena, der Schrift-, Trinitäts-, Prä-
destinations-, Sakraments- und Abendmahlslehre angedeutet
.

Der abschließende Bericht (S. 115) über seinen Tod will
noch einmal das Wesen des Genfer Reformators charakterisieren
.

Das Literaturverzeichnis (S. 116-119) verweist auf die
Richtigsten Quellen und die maßgebende Sekundärliteratur
. Namen- und Sachregister - letzteres freilich
etwas mager - erleichtert die Orientierung. Einige störende
Druckfehler (z.B. S.46, 90, 118) hätten vermieden
werden können.

Summa summarum: Eine allgemeinverständliche, wissenschaftlich
fundierte und um eine positive Würdigung
Calvins bemühte, empfehlenswerte Biographie.

a»lle (Sa»le) Helmut Obit

^*yer, Oswald: Promissio. Geschichte der reformatorischen
Wende in Luthers Theologie. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht [1971]. 376 S. gr. 8° = Forschungen zur Kirchen-
«nd Dogmengeschichte, 24. Kart. DM 58,—.

Das Buch besteht aus der Dissertation und aus der Habilitationsschrift
des Vf.s, wobei die beiden Teile in Stoff
und Aufbau eng aufeinander bezogen sind. Ihre innere
Ausrichtung empfangen die Arbeiten, die unter der An-
'eitung von E. Bizer entstanden sind, aus der Korrelation
Promissio/fides, wie sie sich in Luthers Schrift von der
Babylonischen Gefangenschaft findet. In dieser Korrelation
sieht der Vf. „den Kristallisationspunkt der refor-
Ojatorischen Theologie Luthers" (12). Sie ist auch der
-laßstab, den der Vf. an eine gezielte Auswahl früher
f'Uthertexte legt. Unter Anlehnung an den Stil der neu-
^stamentlichen Exegese werden diese Texte daraufhin
geprüft, von welchem Zeitpunkt an sie das reformatorische
"romissioverständnis enthalten.

Das Urteil über das Ergebnis des Buches hängt stark
"■»avon ab, ob man den von E. Bizer (Fides ex auditu
19663) eingeschlagenen Weg der Lutherdeutung für rich-

'g hält. Umgekehrt wirft die Schlüssigkeit des vorgelegten
ßeweisg;mges ein Licht auf seinen Ausgangspunkt.

. Der erste Teil beginnt in seinem l.Kap. mit der Analyse
einer Predigt Luthers über Joh 1,1-14 (1514). Um nicht
Y^n einzelnen Sätzen auf falsche Fährten gelockt zu wer-

en, vergegenwärtigt sich der Vf. an diesem Text den Zu-
sammenhang von Luthers Gedanken. Er achtet dabei besonders
auf die Beziehung Wort/Glaube. „Für das spätere

erbum speciale, die promissio, wird Luther als entscheidendes
Merkmal die Eindeutigkeit geltend machen:
"Ott bindet sich ... in sein Versprechen und gibt sich in

olcher Identifikation als der Eine ganz - zum Tappen und
fassen gewiß" (27f.). Diese frühe Predigt hingegen weiß

°ch nichts von dieser Zuspitzung. Das äußere Wort ist

erglicheu mit dem inneren nur uneigentliches Wort (29).

In einer Auslegung einschlägiger Stücke der Römerbriefvorlesung
(2.Kap.) und der sieben Bußpsalmen (3. Kap.)
wird diese These erläutert. Luther sieht zwar schon den
Unterschied zwischen dem anfechtenden Gericht und der
Gerechtigkeit. Er beachtet auch die dazwischen liegende
Wende. „Diese Wende geschieht aber nicht konstitutiv in
mündlichem Zuspruch, sondern in einem ,sacramentum
internum' ..." (43). Unter „sacramentum internum" versteht
der Vf. den inneren Umschlag, in welchem ohne das
äußere Sakrament der mündlichen verbindlichen Heilszusage
die Demütigung durch das feindliche Evangelium
als Gnade verstanden wird. Der Glaube besteht aus der
abnegatio sui. „Das Nichts ist Platzhalter des Trostes"
(76gesp.).

Soweit die vorreformatorische theologia crucis. Der
zweite Teil des Buches macht die Gegenprobe und führt
die reformatorische Lösung vor. Das 4. Kap. bringt „die
reformatorische Wende als Neugestaltung des Bußsakraments
", wobei besonders die Rebräerbriefvorlesung
herangezogen wird (5. Kap.). Ferner wird das Abendmahl
behandelt (6.Kap.), die Taufe (7.Kap.), das reformatorische
pro nie im Gegensatz zu dem der Meditationsfrömmigkeit
(8. Kap.), die Christologie (9. Kap.) und das
Gebet (10. Kap.). Ein Rückblick faßt das Ganze zusammen
.

Am wichtigsten sind die Ausführungen über das Bußsakrament
. Luther hat den Ablaßstreit begonnen, bevor
er die reformatorische Einsicht besaß. Noch im „Sermon
von Ablaß und Gnade" (1517) schweigt Luther vom Absolutionswort
(164). Erstmals in der Zirkulardisputation
Pro veritate kann man die „promissio als äußeren, mündlichen
und öffentlichen Zuspruch" nachweisen (165f.). Damit
ergibt sich als Datum für die reformatorische Wende
der Frühsommer 1518. Der Unterschied von Gesetz und
Evangelium ist nun da (184). Gleichsam als ein Satz
heiligen Rechts tritt das Evangelium neben das Gesetz.

Die beharrliche Einzelexegese nötigt den Leser, vor den
Mißverständnissen auf der Hut zu sein, in die sich der Vf.
bisweilen verstricken läßt. Ein solches findet sich - um ein
Beispiel zu geben - gleich bei der einleitenden Untersuchung
der erwähnten Predigt. Der Vf. präpariert aus
ihr heraus, daß Gott sich im äußeren Wort nur vorläufig
erschließe (21) und daß dieses äußere Wort nur ein Hinweis
auf die innere Evidenz sei (29) - ein für die These
des Vf.s grundlegender Sachverhalt. Für den unbefangenen
Leser entwickelt Luther an dieser Stelle den Unterschied
zwischen dem irdischen, ans Wort gewiesenen
Glauben und dem himmlischen Schauen. Dieser Gedanke
ist nicht dem jungen Luther vorbehalten; mit ihm könnte
man auch die spätere Theologie Luthers als vorreforma-
torisch erweisen. - Die dogmatische These hindert den Vf.
auch noch an anderen Stellen, die seinem Ergebnis widersprechenden
Gedanken Luthers zu sehen. Er erkennt
wohl richtig - und darin liegt auch das Verdienst seiner
Arbeit -, daß sich bei Luther um 1518 terminologische
Verschiebungen abzeichnen. Diese dürfen aber nicht ohne
weiteres als sachliche Differenzen genommen werden.
Zwar stellt Luther im Freiheitstraktat das Evangelium
als ein zweites Wort dem Gesetz gegenüber. Der Sache
nach ist dies aber nicht neu. Längst vor der schulmäßigen
Durchformulierung hat Luther den Unterschied zwischen
Gesetz und Evangelium gekannt, nur daß er noch lange
Zeit - bezeichnenderweise auch noch im Freiheitstraktat
- den Begriff Evangelium als Oberbegriff für beide
Worte Gottes benutzte. Wenn er also in der Römerbriefvorlesung
die Demütigung des Menschen durchs Evangelium
in den Vordergrund rückt, dann heißt dies nicht,
daß die Heilspromissio sich im Sündenbekenntnis verwirkliche
(143), vielmehr ist letzteres nur die Kehrseite
der ersteren. Der Vf. sieht die demütigende Kraft der
frühen Christologie, soweit sie den Kreuzesgedanken in