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Ausgabe:

1972

Spalte:

292-293

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Neuser, Wilhelm H.

Titel/Untertitel:

Calvin 1972

Rezensent:

Obst, Helmut

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 4

292

Noch bezeichnender ist, daß weder die Kanonisten noch
die Gesetzessammlungen von Gratian und Gregor IX.
eine solche Verpflichtung lehrten (29-36). Dagegen wurde
die Beichtpflicht vor der Kommunion in den Sentenzenkommentaren
nach 1215 behandelt und weitgehend gefördert
(37- 65) und von Johannes von Freiburg am Ende
des 13. Jh.s als Problem in die Summae confessorum eingebracht
(66-72). Die Übersicht ergibt, daß es im Mittelalter
keine bindende Verpflichtung zur Beichte als Bedingung
für die Abendmahlszulassung gab, wohl aber
eine entsprechende Gewohnheit, die ihre Fürsprecher und
theologischen Vertreter hatte.

In der Reformationszeit traten zwei Männer gegen die
Tendenz zur Verrechtlichung dieser Gewohnheit auf, die
wir sonst nicht als Partner kennen: Der Reformator Martin
Luther und der Kardinal Thomas Cajetan de Vio. Sehr
schön arbeitet der Vf. heraus, daß es Luther nicht um die
Beseitigung der Beichte, sondern nur um die Aufhebung
des Beichtzwanges ging (75-89). Cajetan lehrte, daß nach
1 K 11,28 die contritio zur Abendmahlsvorbereitung genüge
, was ihm den Vorwurf einbrachte, er lehre wie Luther
daß die Beichte vor dem Abendmahlsempfang nicht ex
iure divino sei (93-100).

Das Konzil von Trient hatte nun die Aufgabe, sich
nicht nur von der Reformation abzugrenzen, sondern zugleich
einen inner-römisch-katholischen Streit zu schlichten
, der die Konzilsväter mehr bewegte als Luthers Lehre.
Es wurde die Forderung laut, Cajetans Lehre ausdrücklich
zu verdammen. Der Canon 11 brachte aber eine
andere Lösung: Der erste Satz verdammte die Anschauung
Luthers, daß der Glaube allein zur Vorbereitung des
Abendmahls genüge, ohne daß man sich wohl des umfassenden
Sinnes der Aussage Luthers bewußt war.
Charakteristisch für die Tendenz der Dissertation ist, daß
Hubert Jedins Feststellung zitiert wird, heute sei aufgrund
der kritischen Ausgaben der Werke Luthers eine
vollständigere Erfassung der reformatorischen Gedankenwelt
möglich als zur Zeit der Theologen des 16. Jh.s (130,
Anm. 4). Damit ist in gleicher Weise die neue Aufgeschlossenheit
für Luther wie das historische Verständnis der
Konzilsväter begründet und Freiheit gegenüber den Entscheidungen
der letzteren gewonnen. Der zweite Satz
brachte die Erklärung des Konzils, daß die Beichte vor der
Kommunion notwendig sei, um das Sakrament nicht
unwürdig zu empfangen. Zuletzt wird die Exkommunikation
dem angedroht, der das Gegenteil lehre.

Aufgrund dieser Untersuchungen kommt der Vf. zu
folgenden Auslegungen der Beschlüsse des Trienter Konzils
: Das Konzil habe nicht den göttlichen, sondern den
kirchlichen Ursprung der Beichtverpflichtung vor der
Kommunion gelehrt und keine dogmatische Entscheidung
gefällt, die im Canon 11 sich nur auf den ersten Satz
erstrecke. Vielmehr habe das Konzil durch seine Entscheidung
mit Disziplinarordnungen die allgemeine Lehr-
wahrlieit geschützt, daß niemand unwürdig zum Abendmahl
gehen soll. Darum läßt sie auch die Möglichkeit zu,
daß in manchen Fällen jemand aufgrund seiner contritio
zum Abendmahl gehe, was bereits die Scholastiker einräumten
, die sich für eine Beichtpflicht vor dem Altarsakrament
aussprachen. Folglich träfe die in Canon 11 angedeutete
Exkommunikation nicht diejenigen, die den
göttlichen Ursprung dieser Beichtpflicht bzw. die gute Begründung
dieses Gebotes leugneten.

Hier haben wir den entscheidenden Punkt dieser Arbeit
berührt, denn als eine Geschichte der Beichtpflicht vor
dem Abendmahl kann sie nicht gelten, eine solche Geschichte
müßte mehr von der Beichtpraxis her geschrieben
werden und würde erst viele hier zitierte Äußerungen
voll verständlich machen. Aber diese Dissertation will
auch gar nicht die Geschichte der Beichte aufhellen, sondern
untersuchen, ob die Entscheidung von Trient als

Formulierung göttlichen Rechtes verstanden und infolgedessen
unverändert befolgt werden muß. Diese Frage
hat ihren ganz akuten Anlaß, worüber das Vorwort des
Redemptoristen L.Vereecke (V-VIII) aufklärt: Das
Beichten nimmt ab, der Abendmahlsbesuch zu. Damit tut
sich die Frage auf, ob es nicht noch andere Formen gibt,
sich würdig auf das Abendmahl vorzubereiten. Dieser
Diskussion hat die Dissertation von Braeckmans bei Anerkennung
des Tridentinums Raum geschaffen, was im
Rahmen des römisch-katholischen Traditionsbegriffes
unter Anwendung dieser mühevollen, in mancher Hinsicht
schwerfälligen Methode geschehen mußte. Zugleich
hat sie gezeigt, daß bei der Suche nach neuen Lösungen
Luthers Haltung Beachtung verdient. Da auch die Praxis
der evangelischen Kirche in der Regel keine befriedigende
Lösung zeigt, eröffnet sich die Möglichkeit, über die Konfessionen
hinweg mit dem Wissen um das Mühen unserer
Väter im Glauben und ihren Erfahrungen eine neue Weise
zu suchen, die Abendmahlsgäste recht vorzubereiten.

Leipzig Helmar Junghuns

Neuser, Wilhelm, Prof. Dr.: Calvin. Berlin: de Gruyter 1971.
122 S. 8° = Sammlung Göschen, 3005. Kart. DM 5,80.

Mit der Calvin-Biographie von W.Neuser liegen nun
innerhalb der Sammlung Göschen die Biographien der
bedeutendsten Reformatoren (Luther, Melanchthon,
Zwingli) in allgemeinverständlicher und wissenschaftlich
zuverlässiger Form vor. In der gebotenen Kürze, die
manche Selbstbeschränkung verlangt und auch den Maßstab
der Beurteilung mitbestimmen muß, zeichnet der
Vf. die einzelnen Lebens- und Entwicklungsetappen des
Genfer Reformators nach.

Ausgehend von der Frage: „Wie wurde Calvin zum
Reformator?" (S.5) und der bekannten Einsicht, daß
„Calvins Denken von der geistesgeschichtlichen Situation
in Westeuropa geprägt ist" (S.6f.), gibt er in der Einleitung
(S.5-11) einen gedrängten Überblick über „Humanismus
, Mystik und Libertinismus in Frankreich •
Wesentliche theologische Grundansätze Calvins ergaben
sich, so betont der Vf., aus der besonderen Frontstellung
gegen die Libertiner und die sich in Westeuropa weithin
anbahnende Säkularisierung. So ist z.B. die unterschiedliche
Wertung des Gesetzes durch Luther und Calvin
„situations- und ortsbedingt" (S.10).

Die biographische Darstellung setzt im l.Kap. (S. 11 bis
14) mit der „Jugend- und Schulzeit (1509-1523)" ein,
Kap.2 (S. 14-18) schildert das „Universitätsstudiuni
(1523-1533)", Kap.3 (S. 18-24) „Calvin's .Bekehrung'
(1528 bzw. 1534)". In Anschluß an P. Sprenger sieht der
Vf. in Calvins „Bekehrung" von 1528 nur eine „Vorstufe
zum Glauben", „die Abwendung von der katholischen
Kircheiiiehre und die Hinwendung zum (humanistischen)
Studium der Hl. Schrift" (S.19). Den Durchbruch zum
evangelischen Glauben erlebte Calvin erst 1533 (S.20f.)-

Mit den entscheidenden Jahren des reformatorischen
Wirkens Calvins und dem Kampf um die praktische Durchsetzung
seiner Reformideen in Genf vom ersten Erscheinen
seiner Institutio Religionis Christianae über die erste
Genfer Wirksamkeit (1536-1538), die Straßburger Zeit,
die Neuordnung der Genfer Kirche nach seiner

Rückkehr

(1541-1545) bis hin zu den aufsehenerregenden Prozessen
wegen Auflehnung gegen das „Joch Christi" (1546-1555)
befassen sich die Kap. 4-9 (S. 24-84). Der Vf. ist offensichtlich
bemüht, Calvin gegen eine Reihe bekannter Verwürfe
(z. B. Intoleranz, Einmischung in die Politik u. a.) in
Schutz zu nehmen. Im Zusammenhang mit dem Prozeß
gegen Michael Servet kann dies aber keinesfalls völlig
befriedigen (S.77-80), selbst wenn das oft gehörte Urteil: