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Ausgabe:

1972

Spalte:

223-226

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Rau, Gerhard

Titel/Untertitel:

Pastoraltheologie 1972

Rezensent:

Krause, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 3

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spruchsvolle Titel des Buches nicht ganz hält, was er verspricht
(„Aspekte der S." träfe eher zu)!

Corrigenda: S. 18, Anm. 9: Löhes Buchtitel lautet: Der evangelische
Geistliche (nicht: Evangelischer Geistlicher!) — S.
50 u. 55 oben: Nicht „Der Begriff des Besuches", sondern
des „Bruches". — S. 84: Nicht Michaelis-, sondern Michaelsbruderschaft
. — S. 125: Gemeint ist Frankl, nicht Fränkel. —
S. 160, Z. 2: Nicht „Verknüpfung", sondern „Verkündigung
des Wortes". — S. 183: Unabhängigkeit („n" fehlt).

Rostock Ernst-Rüdiger Kiesow

Rau, Gerhard: Pastoraltheologie. Untersuchungen zur Geschichte
und Struktur einer Gattung praktischer Theologie.
München: Kaiser [1970]. 350 S. 8° = Studien zur Praktischen
Theologie, hrsg. v. R. Bohren, K. Fror, M. Seitz, 8.
DM 28,-.

Der Titel dieser von H. W. Heidland betreuten Heidelberger
Dissertation (1967) nennt eine empfindliche Lücke der
Praktischen Theologie (PrTh). Seit katholischerseits F. X.
Arnold, R. Füglister und H. Schuster die Geschichte der Pastoraltheologie
(Pth) kritisch aufgearbeitet hatten und W.
Birnbaum auf evangelischer Seite die älteren Abrisse einer
Geschichte der PrTh jedenfalls für das 19. und 20. Jh. mit
gediegener Quellenkenntnis, wenn auch einseitig „organo-
logisch" wertend, ersetzt hatte, lag eine Hinterfragung der
üblich gewordenen akademischen Abwertung der Pth nahe.
Das erst recht, als die oft nur langweilenden Kapriolen zur
Anpassung an rasch wechselnde Gegenwartstendenzen in
der PrTh sich zum Schaden der Disziplin nicht nur bar der
Kenntnis der eigenen Wissenschaftsgeschichte, sondern auch
des Wissens um die Bedingungen der außerordentlichen
Wirksamkeit der Pth erwiesen. Die Studie von R. will zwar
„nicht eine Restauration der alten Pth", wohl aber „auf Elemente
aus dieser Tradition hinweisen, die eine moderne
wissenschaftliche praktische Theologie unbedingt, in welcher
Form auch immer, wiederbeleben sollte" (12f).

R. liefert aber auch „keine Kurzgeschichte der. Pth". Wenn
der 1. Teil seiner Arbeit mit „historisch-methodologischen
Einzeluntersuchungen" (27—296) zwar von Chrysostomus
bis ins 19. Jh. führt, so läfjt er doch die Pth des Mittelalters,
der katholischen, orthodoxen und anglikanischen Kirche fort
und behandelt in der üblichen Auswahl nur die Alte Kirche
und die Zeit des 16. bis 19. Jh.s, deren auf die deutsch-evangelische
Tradition eingegrenzte Pth provinzieller erscheint,
als sie wirklich war und nur im Literaturverzeichnis (335—
350) ihre bisher umfassendste, wenn auch nicht vollständige
Bibliographie erhält. Leitend ist für R. die Frage nach
der Methode der Pth, die recht pluriform beantwortet wird.

Im 1. Kapitel (27—73) legt R. an Hand klassischer Beispiele
eine Art formgeschichtlicher Typologie der „elementaren
" Pth vor. Er findet fünf Typen mit spezifischen Strukturmerkmalen
: Die pastoraltheologische Kampfschrift
(Zwingli, Kutter) will die empirische Kirche nach der wahren
reformieren; die Pastoralinstruktion (Gregor d. Gr.)
zielt auf pädagogische Besserung der Pfarrfunktionen nach
Idealbildern; die pastoraltheologische Meditation (Chrysostomus
) übt Seelsorge an Priestern durch Kontemplation
der Größe des Amtes; Die pastoraltheologische Standesethik
(Ambrosius u. einige Pth.en der Aufklärung) fordert
einen vorbildlichen Wandel der Kleriker; die systematische
Pth (erst im 18. Jh.: Gräffe, Köster) deduziert aus übergeordnetem
Zweck in lehrhafter Absicht Sinn und Gestalt aller
einzelnen Amtsverrichtungen. Natürlich sind solche
Idealtypen nicht im Einzelfall zwingend oder auf andere
Exemplare der Gattung genau anwendbar; wohl nicht zufällig
sehen sie der (von R. nicht erwähnten) Gliederung F.
Dorfmanns (1910) in einen asketischen, mystischen, pragmatisch
-ethischen und scholastischen Typ der katholischen
Pastoral ziemlich ähnlich.

R. verläßt diesen Methodenaspekt im 2., die Pth des 16.—

18. Jh.s behandelnden Kapitel (74—150), „da mit dem reformatorischen
Amtsbegriff neue methodische Kriterien für die
Pth hinzukommen". Jetzt werden „Umfang und Ordnung'
des pastoraltheologischen Stoffes bestimmt durch das funktionale
Verständnis des Amtes, das Wort Gottes in Jesus
Christus zu verkündigen: alle Pfarrdienste werden Teilfunktionen
des Predigeramtes, das auch die Person- und
Standesfragen des Pastors reguliert. Amtslehre, Amtsaufgaben
und Amtsträgerbildung und -ethos bilden die Sachkomplexe
der Pth. — von R. etwas hochgestochen „Ordnungsprinzipien
" genannt. An dieser im wesentlichen bis ins
18. Jh. gleichbleibende Konzeption ändert sich in Orthodoxie
, Pietismus und Aufklärung freilich das Amtsverständnis
: neben die alleinige Bindung des Amtes an den durch
sein Wort handelnden Gott bei den Reformatoren tritt zunächst
eine kirchlich-institutionelle, dann eine personale
(Amtsträger), dann eine soziale (Vernunft-Gesellschaft)-
Allmählich aber verändert das gewandelte Amtsverständnis
auch die Pth. Diese von R. mehr an die Texte herangetragene
als aus ihnen belegte Theorie würde die Pth aber wohl zur
Funktion der Theologiegeschichte, ihrer umstrittenen und
wechselnden Interpretamente, degradieren und ihren viel
konkreteren Bezug auf das geschichtlich sich wandelnde
kirchliche Leben ungebührlich ignorieren. Mit Recht stellt
R. als „verheißungsvolle Alternative" zum Hauptstrom der
Pth Bucers Schrift „Von der wahren Seelsorge" vor: eine
an das allgemeine Priestertum adressierte und auf die Seelsorge
begründete Pth (81ff); ihre Bedeutung brauchte aber
durch einen Vergleich mit dem nach Zeit und Gaben ganz
inkommensurablen Porta nicht profiliert zu werden. Ob
Wilh. Zeppers „Politia ecclesiastica" (1595) in Fortsetzung
der Bucerschen Linie nur wegen ihrer reformierten Ämterlehre
„als klassisches reformiertes pastoraltheologisches
Modell" gelten darf (141f), scheint mir vom Titel und kirchenrechtlichen
Schwerpunkt des Werkes her sehr fraglich-
Fraglos aber läßt sich die These, daß die reformierte, auf
das mehrfältige Amt gerichtete Pth der im 19. Jh. entstandenen
PrTh „besser als die lutherische" vorgearbeitet habe,
nicht — wie von R. - auf den nur mit den Augen von Ache-
lis gelesenen Hyperius stützen (145f), dessen teils katholi"
sierende, teils schwärmerische, immer aber erasmianische
Pth R. noch weniger als sein Gewährsmann bemerkt hat-
Und ist der „Ecclesiastes" des Erasmus, der zweifellos die
nachreformatorische Homiletik beeinflußte und den R. kurz
und kritisch darstellt, wirklich als „Übergang zur .geordneten
' Pastoraltheologie" (76ff) sachgemäß erfaßt?

Das 3. Kapitel gilt der Pth des 19. Jh.s (151—196). Ihre
„Vielfalt und Uneinheitlichkeit" hat R. offensichtlich zu
schaffen gemacht. Die Auswahl ist seltsam (Cl. Harms wird
nicht besprochen), die Quellengrundlage zu eng (so bei
Schweizer und Palmer) und wichtige der für diese Zeit zahlreichen
monographischen Studien (wie die von B. Klaus, D-
Rössler, Fr. Wintzer) sind dem Vf. unbekannt. Die von R-
ausgezogenen methodologischen Leitlinien, daß es nämlich
der Pth um das Problem ihrer Wissenschaftlichkeit und ihrer
enzyklopädischen Einordnung ging, hatte schon Birnbaum
für die PrTh überzeugender dargestellt; für die „Methodik
" der maßgebenden Pth.en dürften sie nicht typisch
sein. Wenn die Pth nach Darstellung der „elementaren'
und „reformatorischen" in den vorhergehenden Kapiteln
im 19. Jh. als „verfremdet", „zerstückelt" und „Niveauab-
fall" bezeichnet wird, die „ihre ganzheitliche Erscheinung
und unmittelbare Wirkung auf den Leser eingebüßt" habe,
so ist das spätromantischer Geschichtspessimismus; wenn
nach Auslassung von Harms und ganz negativer Darstellung
von Vilmar plötzlich „nur die konfessionelle Theologie die
Instrumente bereitgestellt hat, um die wesentlichen pastoraltheologischen
Faktoren, den institutionellen, funktionalen
und personalen zu vermitteln" (196), so wirkt das wenig
glaubhaft.

Vielleicht sollten diese fixen Urteile zum 2. Teil der Ar-