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Ausgabe:

1972

Spalte:

215-217

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Kater, Horst

Titel/Untertitel:

Die Deutsche Evangelische Kirche in den Jahren 1933 und 1934 1972

Rezensent:

Meier, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 3

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recht in der Landeskirche zu verschaffen, mißlangen. Doch
blieb Bischof Meisers Landeskirchenleitung bemüht, die
noch renitenten DC-Pfarrer wieder in die Landeskirche einzugliedern
, was jedoch nicht durchweg gelang. Auf die ausführlich
geschilderten Radikalisierungstendenzen und organisatorischen
Umschichtungserscheinungen bei den bayerischen
DC hier näher einzugehen, erübrigt sich. Die Arbeit
zeigt die Bedeutung des starken volkskirchlichen Engagements
breiter kirchlicher Kreise für die bekenntnismäßige
Kirchenführung Meisers, übrigens alles, was man unter der
Rubrik „volkskirchlicher Widerstand" gegen politisch-ideologische
Überfremdung des evangelischen Kirchentums einordnen
könnte.

Dabei will es nicht Aufgabe der Publikation sein, wie der
Vf. im Vorwort ausdrücklich hervorhebt, „eine umfassende
Geschichte des bayerischen Kirchenkampfes" zu geben, weil
vornehmlich „viele Dokumente, die für das allgemeine
Bild eines typisch süddeutschen Kirchenkampfes notwendig
wären, nicht zugänglich waren". Da indes abgesehen von der
mehr kommentierenden Dokumentensammlung Heinrich
Hermelinks (Kirche im Kampf) aus dem Jahre 1950, die die
süddeutschen Verhältnisse stark berücksichtigte, eine Kir-
chenkampfgeschichte Bayerns noch fehlt, kommt der vorliegenden
Arbeit H. Baiers das Verdienst einer eindrucksvollen
Pionierleistung zu. Inzwischen ist auch eine „Chronologie
des bayerischen Kirchenkampfes 1933-1945. Nürnberg
1969" im Selbstverlag des Vereins für bayerische Kirchengeschichte
, vom Vf. zusammen mit Ernst Henn herausgegeben
, erschienen. Als Beitrag zu einer Kirchenkampfgeschichte
wäre auch der Aufsatz von E. Henn zu nennen: „Die bayerische
Volksmission im Kirchenkampf" (Zeitschrift f. bayer.
Kirchengeschichte, Jg. 38, 1969, S. 1-87). Daneben ist auf
zwei Beiträge H. Baiers in: Tutzinger Texte, Sonderband 1,
München 1969 zu verweisen. Da inzwischen auch die ausführlichen
Tagebücher Hans Meisers in Reinschrift übertragen
sind und H. Baier von seiner jetzigen Tätigkeit (Landeskirchenarchiv
Nürnberg) bequemen Zugang zu den landeskirchlichen
Quellen besitzt, darf gehofft werden, daß in
absehbarer Zeit auch einmal die abgerundete Geschichte
des bayerischen Kirchenkampfes, „deren Abfassung bisher
aus den verschiedensten Gründen nicht möglich war" (S. 1),
vorgelegt wird.

An Corrigenda sind zu vermerken:
S. 45 Anm. 16: Hans Meiser, geb. 16. 2. 1881, nicht: 17. 2.
1871.

S. 595: Staatssekretär H. G. Hofmann, nicht: Hoffmann.
S. 597: Pfr. Walter Wilm, nicht: Werner Wilm.

Leipzig Kur* Meier

Kater, Horst :Die Deutsche Evangelische Kirche in den Jahren
1933 und 1934. Eine rechts- und verfassungsgeschichtliche
Untersuchung zu Gründung und Zerfall einer Kirche
im nationalsozialistischen Staat. Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht 1970. 226 S. gr 8° = Arbeiten zur Geschichte
des Kirchenkampfes, hrsg. v. H. Brunotte u. E. Wolf, 24.
Kart. DM 26,-.

Eine Studie über die Verfassung der Deutschen Evangelischen
Kirche (= DEK) vorzulegen, war nur sinnvoll, wenn
neue Details über ihre Entstehung beigebracht werden konnten
. Diese Voraussetzung war dadurch gegeben, daß der Vf.
eine Ausarbeitung von E. Ruppel und die von diesem als
Protokollführer bei den Verfassungsverhandlungen 1933 erstellten
Protokolle benutzen konnte (beides bisher unveröffentlicht
).

Diese Protokolle zeigen u. a. die maßgebende Rolle des
Kirchenrechtlers Johannes Heckel (1889—1963), damals in
Bonn, seit 1934 in München, der bereits den ersten Verfassungsentwurf
vom 1. Juni 1933 vorgelegt hatte. Darin war
die Stellung des Reichsbischofs und des geistlichen Ministeriums
stark betont; doch war im Laufe der darauffolgenden
Verhandlungen die Stellung der Nationalsynode ge~
stärkt worden. Nach Rücktritt v. Bodelschwinghs und Neuberufung
des Verfassungsausschusses durch Ludwig Müller
legte Heckel einen wiederum das Führerprinzip stärker
betonenden umgearbeiteten Entwurf vor. Entgegen den
Wünschen lutherischer Kirchenführer wie Meiser und Ma-
rahrens sowie der Reformierten erstrebten Ludwig Müller
und Staatskommissar August Jäger, der später als Rechtswalter
der DEK unrühmlich in Erscheinung trat, im ganzen
erfolgreich eine Einschränkung der Befugnisse des synodalen
Elements in der. Reichskirche, hierin von Heckel kirchenjuristisch
sekundiert.

Die These, die DEK-Verfassung sei ein durch die Lage
abgenötigter Kompromiß gewesen, lückenhaft und auslegungsbedürftig
, kann der Verfasser mit dem Protokollma-
terial Ruppels anschaulich belegen. Auch Notizen der erst
kürzlich erschlossenen stenographischen Tagebücher Bischof
Meisers (Landeskirchenarchiv Nürnberg) sind verwendet.
Eine eingehende Analyse des Verfassungstextes schließt
sich an die Schilderung der Verhandlungen an; auch die
folgende Gesetzgebung ist berücksichtigt.

Während die DC-Seite die Verfassung schon stärker unitarisch
verstanden hatte und diese Tendenz vor allem 1934
in verfassungsrechtlicher Hinsicht durch eine „Weiterentwicklung
" der Kirchenverfassung forcierte, die der Gleichschaltung
der Länder auf dem politischen Sektor entsprach,
suchten die auf Wahrung des bekenntnismäßig geprägten
Landeskirchentums bedachten Kräfte vor allem die föderalistischen
Gesichtspunkte in den Vordergrund zu rücken
und den Aspekt des unverletzlichen Bekenntnisstandes der
Landeskirchen zu unterstreichen. Die Reichskirchenregierung
unternahm es, diese Bedenken durch die betonte Unterscheidung
der Bekenntnisfrage von der Frage der kirchlichen
Gesetzgebung und Verwaltung zu unterlaufen, stieß
jedoch auf die 1934 in der Bekenntnisbewegung sich herausbildende
neue Kirchenrechtsauffassung eines „bekennenden
Kirchenrechts". Während die kirchenrechtliche Neubesinnung
gegen Ende der Weimarer Zeit (G. Holstein, H.
Liermann) letztlich noch von der Unerreichbarkeit der „Wesenskirche
" durch das Recht ausging, wurde jetzt das Kirchenrecht
in eine möglichst enge positive Beziehung zum
Bekenntnis gesetzt, die in starkem Kontrast zu der noch nicht
einflußlosen Konzeption Rudolph Sohms vom Gegensatz
von Kirche und Recht stand. Die Auffassungen Sohms mußten
in deutschchristlichen Kreisen dazu herhalten, die Kirche
in ihrer äußeren Gestalt der nationalsozialistischen
Rechtsentwicklung einzufügen, da es Aufgabe der Obrigkeit
sei, der Kirche ihre Rechtsform zuzuweisen. In bekenntniskirchlichen
Kreisen wurde Art. 1 der DEK-Verfassung
nicht mehr lediglich in seiner Schutzfunktion gegenüber
Veränderungen der Bekenntnisgrundlage durch rechtliche
Mittel gesehen, sondern der Satz von der Bekenntnisbindung
des Kirchenrechts schien bereits in diesem Artikel der
Verfassung enthalten: „Diese Vorschrift, die unter einer nunmehr
überholten Kirchenrechtsdoktrin entstanden war, enthielt
damit eine umfassendere Bedeutung" (S. 193f,- vgl. S.
181f). Doch scheint mir die Zweischichtigkeit der Argumentation
der Bekenntniskräfte, die schon zeitgenössische Bedenken
hervorrief, nicht differenziert genug erfaßt zu sein,
was an der verfassungsrechtlichen Untersuchungsmethode
liegen mag, die indes sonst auf kirchengeschichtliche
Aspekte nicht verzichtet, diese vielmehr gelegentlich sogar
in einer die rechtsgeschichtliche Stringenz der Darstellung
störenden Weise aufzeigt.

Tatsächlich ging in der Bekennenden Kirche zweierlei nebeneinander
her: die Berufung auf die DEK-Verfassung in
einem formalrechtlichen Sinne, wobei die Bekenntnisbezo-
genheit kirchenregimentlichen Handelns und die Unantastbarkeit
des Bekenntnisstandes inkludiert erschien, und andererseits
die Berufung auf ein kirchliches Notrecht, das
— als überpositives kirchliches Bekenntnisrecht verstan-