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Ausgabe:

1972

Spalte:

212-213

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Leder, Hans-Günter

Titel/Untertitel:

Ausgleich mit dem Papst? 1972

Rezensent:

Herrmann, Johannes

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Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 3

212

heißt vornehmlich sachlicher gewordenen Kirche sollte es
in keiner Beziehung mehr um Manifestationen des wie auch
immer gearteten Triumphes gehen", schreibt der Herausgeber
im Vorwort (7). Es könne nur darum gehen, „aufzuzeigen
, wie die Sache des Evangeliums auf diesem in vieler
Hinsicht dramatischen Reichstag getrieben worden ist" (ib).
Und dem diene man mit authentischen Texten am besten.
Dieser Gesichtspunkt kann nicht deutlich genug herausgehoben
werden. Man kann nur hoffen, daß er Allgemeingut
wird und noch weitere derartige oder ähnliche Unterrich-
tungen folgen läßt. Denn das allgemeine Quellenwissen ist
allzu schwach, als daß darauf weiteres aufzubauen wäre,
sei es in der akademischen Ausbildung oder auch in einer
breiteren Meinungsbildung.

Natürlich kann nur eine Auswahl geboten werden. Es ist
dem Herausgeber aber zu bescheinigen, dafj ihm eine gute
Zusammenstellung der wesentlichen Stücke gelungen ist,
auch, was die Vor- und Nachgeschichte angeht. Der Leser
erhält nach einer knappen Einführung in die historische
Situation einen recht umfangreichen Einblick in die Ereignisse
. Die Texte werden fast durchweg in ihrem vollen
Wortlaut geboten und dazu zu einem grofjen Teil zweisprachig
, so dafj der Leser die Möglichkeit erhält, zu kontrollieren
und den Feinheiten der Argumentation und des Ausdrucks
nachzugehen. Kurze Einleitungen zu den einzelnen
Stücken und viele Anmerkungen erschließen die Texte.

Ist die Ausgabe als solche also sehr zu begrüßen und in
ihrem Anliegen nur zu unterstreichen und zu empfehlen,
so muß Rez. doch für die Durchführung im einzelnen einige
Bedenken anmelden. Ihm scheint die Frage, wem die Ausgabe
eigentlich dienen solle, nicht hinreichend geklärt zu
sein. Es wäre an Seminare und Übungen im akademischen
Lehrbetrieb zu denken (ein italienischer Text ist allerdings
auch dort kaum zu bewältigen!), vielleicht aber auch an
weitere Kreise Interessierter. Für beide dürfte jedoch die
Ausgabe in ihrer vorliegenden Form nicht ganz genügen.
Sie setzt entweder zuviel voraus oder gibt andererseits zu
geringe Anregungen zum selbständigen Weiterarbeiten. Die
kommentierende Erschließung der Texte sowie die einführenden
und die einzelnen Stücke verbindenden Einleitungen
wie auch die Anmerkungen zu den Texten selber dürften
allzu schmal ausgefallen sein. Für jeden der genannten
Zwecke bedürfen die Texte zur Gebrauchsfähigkeit eines
mehr oder weniger umfangreichen helfenden Apparates.
Ein solcher kann nicht einmal im akademischen Betrieb
entbehrt werden. Um wieviel mehr ist der Nichtfachmann
auf die helfende Hand des Herausgebers angewiesen.

Wörter, wie „strafen" (29), „ichts" (34), „Ledigung" (44),
„zeitig" (53), „enthalter" 56, s. aber die Anmerkung 3, Seite
57!), „geruch" (60), „erschießlich" (117), „verweiset" (132),
„verlegen" (135) u. a. bedürften wohl unbedingt einer Erklärung
, da sie teilweise inzwischen einen nicht unbeträchtlichen
Bedeutungswandel erfahren haben und also allzu
leicht mißverstanden werden können. Ähnliches gilt von
einer Reihe von Namen und historischen Anspielungen. Hier
hätte man gern mehr gesehen, während auf anderes wiederum
(S. 81 Anm. 2!) in dem Zusammenhang gut hätte verzichtet
werden können. Das Fragment S. 76f hätte wohl besser
seinen Platz hinter dem Brief an Cuspinian S. 103. Und
schließlich sind wohl auch einige offenbare Textfehler mit
unterlaufen: „maiser" (60), „aufgeschlossen" (121, statt „ausgeschlossen
").

Diese formellen Mängel beeinträchtigen etwas den Gebrauchswert
der Ausgabe. Dieser Eindruck soll aber das
Positive der Sache überhaupt nicht verdecken. Dies sei also
mit all seinen schon hervorgehobenen Vorzügen ausdrücklich
noch einmal unterstrichen, zumal noch ein recht instruktiver
Bildteil hinzutritt mit den Portraits der in Worms
maßgeblichen Persönlichkeiten und einigen Proben der wichtigsten
Handschriften.

Schöneiche b. Berlin Hubert Kirchner

Leder, Hans-Günter: Ausgleich mit dem Papst? Luthers Haltung
in den Verhandlungen mit Miltitz 1520. Berlin:
Evang. Verlagsanstalt [1969]. 67 S. gr. 8° = Aufsätze und
Vorträge zur Theologie und Religionswissenschaft, hrsg. V.
E. Schott u. H. Urner, 44. Kaut. M 3.30.
Die Schrift ist eine Spezialuntersuchung zur Vorgeschichte
der Schrift Luthers „Von der Freiheit eines Christenmenschen
...". Nicht Luther ergriff die Initiative zum „Ausgleich
mit dem Papst", sondern der durch Beauftragung Ecks mit
der Verbreitung der Bannandrohungsbulle übergangene
Karl von Miltitz machte einen letzten Versuch seiner zu hoffnungsfreudigen
Diplomatie.

Luther wurde durch diese Verhandlung zu seinem Brief
an Papst Leo X. bewegt, obwohl er schon vorher die Erkenntnis
geäußert hatte, der Papst sei als der Antichrist
anzusehen. Den Brief stellte Luther der Schrift „Von der
Freiheit eines Christenmenschen .. ." voran. Dazu und zur
Abfassung der Schrift hatte er sich in Lichtenburg bereit
gefunden. Der Verfasser will Luthers Haltung nicht als
einen von Miltitz veranlaßten Abweg darstellen. Er stellt
deshalb Luther als die Hauptperson der Ereignisse dar und
nicht Miltitz.

Nachdem die Verhandlung in Lichtenburg im Spiegel der
bisherigen Literatur gezeigt ist (S. 9—16), schildert der Vf-
mit großer Genauigkeit die Vorgeschichte (S. 17—35). Da*
eigentliche Geschehen in Lichtenburg an der Elbe bei Wit-
tenberg am 11. und 12. 10. 1520 nimmt in der Darstellung
keinen großen Raum ein, da kein Protokoll oder anderer
ausführlicher Bericht vorhanden ist (S. 36—39). Dafür wird
„Luthers Haltung zu den Miltitzschen Vorschlägen und sein
Sendbrief an Leo X." gründlich geboten (S. 40—63). Eine
Zusammenfassung bildet den Schluß.

Da der Vf. die Verhandlung vom Sendbrief an Leo X. her
sieht und nicht von den zu hoffnungsfreudigen Briefen Miltitz
' beruht für ihn „Luthers Entschluß, sich auf die Pläne
des Ex-Nuntius doch noch einzulassen, im Grunde einzig
und allein auf seiner reformatorischen Gewißheit, in der
von ihm vertretenen Sache im Recht zu sein". Diese macht
es ihm möglich, in der Verhandlung mit Miltitz „abermals
seine Friedensbereitschaft zu bekunden". Nicht die Demut
Luthers, die Miltitz betont, sondern diese Friedensbereitschaft
begründet sein Entgegenkommen. So schreibt Luther
im Bewußtsein, das Evangelium zu vertreten, an den Papst
und nicht demütig. Er war vor der Fahrt nach Lichtenburg
sicher, „wie auch immer das Unternehmen auslaufen wird,
es wird Gott zum Wohlgefallen geschehen". Fraglich bleibt
aber, ob Miltitz diese Grundhaltung Luthers gekannt hat.

So ergibt sich für den Verfasser: Wenn euch Luther in
der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen . • •
ihm schon geläufige Gedanken vei-wendet, „darf andererseits
nicht übersehen werden, daß die Schrift in dieser Form
ihre Entstehung der Lichtenburgcr Entscheidung verdankt.
Beide, Luthers Sendbrief an Leo wie sein Freiheitstraktat,
kommentieren und paraphrasieren als Ergebnis der Lichtenburgcr
Verhandlungen die dort getroffenen Entscheidungen
des Reformators." So ist die Lichtenburger Begegnung
mit Miltitz nicht eine Schwäche, die entschuldigt werden
muß, sondern ein Stück Weg des Reformators, wenn auch
in dieser Zeit des Jahres 1520 an einen Ausgleich nicht mehr
zu denken war. Luthers Schriften blieben der einzige Erfolg-
Ais merkwürdig bleibt noch anzumerken, daß Luther sich
wohl auf den Wunsch seines Kurfürsten zur Begegnung mit
Miltitz entschloß. Fabian von Feilitzsch sollte diesen Wunsch
schon im September weitergeben. Er verzögerte es aber,
wohl aus Abneigung gegen das Treffen. So erhielt und befolgt
Luther den Wunsch, als er sich nach der Veröffentlichung
der Bulle im Grunde schon anders entschlossen hatte.

Mit dieser Schrift ist, soweit es die Literatur möglicn
macht, Klarheit über die letzte Begegnung Luthers mit Mil'
titz erreicht. Vielleicht wäre der Vf. an manchen Stellen der
Vorgeschichte über Vermutungen hinausgekommen, wenn