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Ausgabe:

1972

Spalte:

200-202

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Berger, Klaus

Titel/Untertitel:

Die Amen-Worte Jesu 1972

Rezensent:

Kähler, Georg-Christoph

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199

Theologische Literaturzeitung 97. Jahrgang 1972 Nr. 3

200

sehen" Charakter haben (238—316). Auch hier kann man zuweilen
fragen, ob die Fülle der erörterten kathartischen
Praktiken und Enthaltungen immer einen unmittelbaren
„antidämonischen" Bezug haben. Der Begriff des „Dämons"
bzw. des „Dämonischen" darf hier keinesfalls auf die Vorstellung
eines „personhaften Geistwesens" beschränkt werden
, wie es uns aus der Spätantike und dem NT vertraut
ist, sondern bezieht sich auf die grundsätzliche, den Menschen
ständig bedrohende „Mächtigkeit" seiner Umwelt.
„Antidämonische" Praxis und Askese ist daher der Versuch
des Menschen, sich in „vorwissenschaftlicher" Weise die
ständige Gefährdung seiner Existenz von außen kausal zu
erklären und sich gegen diese abzusichern. Das vom Vf. mit
erstaunlichem Fleiß und liebevoller Hingabe gesammelte
und umsichtig geordnete Material stellt darum den Leser
zugleich vor die Frage der Interpretation dieser Phänomene.
Ein abwehrender Hinweis auf die Fortschritte unserer „Umweltsbewältigung
", auf Aufklärung, Naturwissenschaft und
Technik genügt hier keineswegs. Es handelt sich ja um bis
weit in die paläolithische Vorgeschichte zurückreichende
Strukturen, die den Menschen durch Jahrtausende seiner
Geschichte begleitet haben und die auch heute noch wenigstens
z. T. archetypischen Symbolwert besitzen. Der „eindimensional
" an einer bestimmten Form „existentialer" Interpretation
interessierte Exeget wird über diesen Reichtum
von Phänomenen nur sein Haupt schütteln können, dagegen
wird ein Leser, dem es darum geht, den Menschen
in seiner geschichtlich gewordenen Vielschichtigkeit
und Rätselhaftigkeit zu erfassen, reiche Belehrung und Anregung
erfahren. Das Werk ist so nicht nur für den Exege-
ten und Religionswissenschaftler, sondern darüber hinaus
auch für den Tiefenpsychologen — der Vf. betont u. a. die
„dämonische Mächtigkeit" der Sexualität —, den Ethnologen
und Folkloristen von großem Interesse. Eine wertvolle Bibliographie
von ca. 600 Titeln zeugt von der Gründlichkeit
des Verfassers. Dennoch bestehen gewisse Lücken, die freilich
bei dem Umfang des bearbeiteten Stoffes nicht verwunderlich
sind.

So vermißt man den Hinweis auf Kap. 3 von A. v. Har-
nack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums 41926,
I, 151—170: „Der Kampf gegen die Herrschaft der Dämonen
". Ähnliches gilt von den grundlegenden Werken von
K. T. Oesterdeich, Die Besessenheit, 1921, und M. Eliade, Le
Chamanisme et les techniques archaiques de l'ecstase, 1951
(deutsch 1957), vgl. auch H. Findeisen, Schamanentum, 1957.
Den Einfluß des skythisch-trakischen Schamanentums auf
die Griechen hat vor allem K. Meuli, Scythica, Hermes 70
(1935), 121—176 nachgewiesen, vgl. auch F. M. Cornford,
Prinoipium Sapientiae, 1952. Den Übergang zum neuplatonischen
Pandämonismus und zur spätantiken Magie markiert
vor allem A. J. Festugiere mit seinen verschiedenen
wichtigen Arbeiten, dazu E. R. Dodds, The Greeks and the
Irrational 1951 (deutsch 1970) vgl. vor allem Anhang II
über die Theurgie. Zur jüdischen Medizin und Dämonologie
s. die Standardwerke von L. Blau, Das altjüdische Zauberwesen
, Budapest 1898, J. Preuss, Biblisch-Talmudische Medizin
, 1911 und J. Trachtenberg, Jewish Magic and Superstition
, Cleveland and N.Y., 1961 mit einer vorzüglichen Bibliographie
. Die von M. Margalioth, Sepher ha-razim, Jerusalem
1966, herausgegebenen jüdischen magischen Texte
enthalten — wie schon der von H. Odeberg edierte 3. Henoch
— in reichem Maße die vom Vf. S. 106 vermißten jüdischen
Engelnamen (vgl. auch Jos. Bell. 2,142 über die Geheimhaltung
der Engelnamen bei den Essenern). Diese wurden in
weitem Maße zu magisch-exorzistischen Zwecken verwendet
.

Ein vorzügliches Sach- und Stellenregister macht das Buch
zu einem wertvollen Nachschlagewerk. Man möchte wünschen
, daß der 2. Band in nicht allzu ferner Zukunft nachfolgt
.

Erlangen Martin Hengel

Berger, Klaus: Die Amen-Worte Jesu. Eine Untersuchung
zum Problem der Legitimation in apokalyptischer Rede.
Berlin: de Gruyter 1970. XII, 182 S. gr. 8° = Beiheft zur
Zeitschrift f. d. neutestamentl. Wissenschaft u. die Kunde
der älteren Kirche, hrsg. v. W. Eltester, 39. Lw. DM 42,—
Vf. untersucht die Funktion und formgeschichtliche Herkunft
des satzeinleitenden Amen in den Worten des synoptischen
und johanneischen Christus. Zwar hatte schon Hasler1
die Einführungsformel a,urjv ?.eya> v/utv (aot) späten christlich
-hellenistischen Schichten des NT zugewiesen, aber erst
B. zieht das erforderliche historisch-philologische und religionsgeschichtliche
Material heran. Seine Untersuchung
gliedert sich in eine form- und traditionsgeschichtliche Herleitung
der Amen-Formel am Satzanfang (I), eine traditionsgeschichtliche
Diskussion der Amen-Worte Jesu im NT (II)
und ein Referat über die frühchristliche außerkanonische
Verwendung von Amen-Worten (III).

(I) B. geht von zwei afiijv ksyco aoi- Worten im Test. Abr.
Rez. A VIII und XX (ed. James, S. 85/102) aus. Beide Stellen
ordnet er der vorchristlichen jüdisch-apokalyptischen Grundschrift
zu2. Auf Grund dieser anscheinend jüdischen Amen-
Worte wird die Frage erörtert, wie es zu diesem — von der
atlichen und der liturgischen Verwendung abweichenden
— Gebrauch von Amen kommt: zunächst gleichen sich die
responsorischen Funktionen vonvm und a/trjv,, beide werden
auch als Schwurpartikel gebraucht. vat,vat firjv, ei /iiv
und rj ixrv werden außerdem in der LXX und in der Profan-
gracität als Schwur- und Bekräftigungspartikel verwendet.
Der lautliche Gleichklang von t] nt]v und a/urjv sowie die
Funktionsgleichheit von vai und afiyv ermöglichen schließlich
die Verwendung des Amen am Satzbeginn.

Daraus folgt, daß die im semitischen Sprachraum allein
nicht denkbare Verwendung der Amen-Einleitung nur im
Bereich des Griechisch sprechenden Judentums vorstellbar
ist. Daher können Amen-Worte in den Ew. „die endgültige
Fassung erst im hellenistisch-judenchristlichen Bereich erlangt
" haben (S. 18). Die form- und traditionsgeschichtlichen
Vorbilder der ntlichen Amen-Worte findet B. vorwiegend
in jüdischen Apokalypsen: Das sind einerseits die
Schwursätze des gr. und sl. Henoch, Asc. Jes. und andererseits
die ,Wahrlich'-Worte in Syr. Bar. Beide leiten Aussagen
über Lohn und Strafe im künftigen Gericht und über
den zu erwartenden Lauf der Geschichte ein (paränetische
und .geschichtliche' Worte).

Diese zwei Satztypen enthalten Offenbarung über Zukünftiges
, das den Adressaten noch verborgen ist. „Diese
Differenz zwischen Sprecher und Hörern" (21) wird durch
den — zwischen Schwur- und Bekräftigungsformel liegenden
— Gebrauch von Amen überbrückt. Das so eingeleitete
Logion erhält die Dignität einer aus himmlischen Büchern
abgelesenen Erkenntnis.

(II) Damit sind die Weichen für eine eingehende Behandlung
der ntlichen Amen-Worte gestellt. B. konstatiert, daß
sie das Akumen eines Gleichnisses, die Summe einer
Belehrung bilden, d. h. eine Art Grundsteinfunktion im Kontext
haben. Die redaktionelle Verwendung läßt eine Bewegung
von der ursprünglichen Bezeugung apokalyptischen
Wissens (Mk 8,12) zur bewußten Pointierung von Offenba-
rungsaussagen (Joh) erkennen.

Im einzelnen stellt B. für die Ew. fest:

Wahrscheinlich kennt Q die Amen-Einleitung und die
Kombination von Seligpreisung und Amen-Wort, in der das
letztere in Form einer Zukunftsaussage die Begründung
für den Makarismus liefert.

Doch erst Mk verwendet in breiterem Maße Amen am
Satzanfang. Relativ ursprünglich scheinen die Naherwartungsaussagen
mit Amen verbunden, während die konditionalen
Relativsätze im Tat-Folge-Schema anscheinend zum
ersten Mal von Mk mit Amen-Einleitung versehen worden
sind. Sie werden von B. mit den Eingangssprüchen zusammengestellt
und von den Weissagungen innerhalb der Pas-