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Ausgabe:

1971

Spalte:

143-144

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stratmann, Hartmut

Titel/Untertitel:

Kein anderes Evangelium 1971

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Seite 1

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143

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 2

144

Dennoch ist Ds. Studie bemerkenswert als Versuch einer
Barthinterpretation, die von Barth her selbständige Wege
zu gehen versucht. Sie visiert ein Problem an, das einer
eingehenden Untersuchung wert ist: das Problem der
ethisch-gesellschaftlichen Verbindlichkeit der Verkündigung
und des Handelns der Gemeinde, bei dem diese sich vorurteilslos
, uneingeschränkt und ehrlich in den Dienst des
Menschen stellt, auf dessen umfassende Vermenschlichung
das Ereignis der Versöhnung zielt.

Halle/Saale Wolf Krötke

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Stratmann, Hartmut: Kein anderes Evangelium. Geist und
Geschichte der neuen Bekenntnisbewegung. Hamburg:
Furche (1970). 200 S. 8°. Kart. DM 9,80.

Dieser Geschichte der Bekenntnisbewegung liegt, wie
im Vorwort mitgeteilt wird, eine Seminararbeit zugrunde,
die im Sommersemester 1969 für ein Seminar der Herren
G. Hornung und J. Schreiber an der Ruhr-Universität
Bochum angefertigt wurde. Das Buch soll „einen ersten
Versuch" darstellen, die historische Entwicklung der Bekenntnisbewegung
„möglichst exakt nachzuzeichnen und
dabei zugleich in zureichender Auswahl zu dokumentieren".
Der besondere Wert der Arbeit liegt darin, daß sie teils
durch ausgewählte Zitate, teils durch entsprechende Verweise
einen Überblick über das z. T. recht verstreute und
oft auch schwer zugängliche gedruckte Material verschafft
und darüber hinaus auf Grund von Befragungen der Beteiligten
, durch Erschließung von Briefen und dergleichen
wichtige Hintergrundsinformationen vermittelt. Eine klare,
detaillierte Gliederung und zahlreiche Marginalien tragen
wesentlich dazu bei, daß der Leser nicht durch die Fülle
der Informationen verwirrt wird. Ein Personenverzeichnis,
das rund 235 Namen umfaßt, erhöht die Brauchbarkeit des
Buches sehr.

Es war klug, das erste, einleitende Kapitel, in dem
versucht wird, die theologiegeschichtlichen Wurzeln der
Bekenntnisbewegung aufzuzeigen, auf 5 Seiten zu beschränken
, denn naturgemäß sind hier eindeutige Aussagen
schwer möglich und wohl auch letztlich für das Verständnis
der Gegenwart wenig hilfreich, weil sich zu viele Motive
ineinanderwirren.

Im folgenden Kapitel wird in Kürze (auf 18 Seiten) die
auf Bultmanns bekannten Aufsatz „Neues Testament und
Mythologie" aus dem Jahre 1941 folgende Diskussion
dargestellt, die sich „nach dem Jahre 1953 verläuft" (S. 32).

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf dem Zeitraum
seit 1961. Auf Neujahr 1961 ist ein von 50 Männern
unterzeichneter „Offener Brief an die Leitung der Evangelischen
Landeskirche in Württemberg und an die Evang.
theol. Fakultät in Tübingen" datiert, in dem u. a. die
Mitwirkung von Gemeindevertretern bei den theologischen
Prüfungen angeregt wird und der Gedanke von Lehrzuchtverfahren
gegen „Leute, die den Glauben ihrer Gemeinde
zerstören", erwogen wird. Gemeint sind eine Reihe jüngerer
Bultmannschüler. Eine andere Initiative geht 1960/1961
vorwiegend von Westfalen aus und führt nach etlichen
Vorspielen im Juli 1961 zu einer „Eingabe an die Kirchenleitungen
", in der im Hinblick auf bestimmte Tendenzen
der wissenschaftlichen Theologie und nicht zuletzt im Hinblick
auf die Besetzung der kirchl. Prüfungskommissionen
gar gesagt wird, „daß der Status confessionis eingetreten
ist". So markiert das Jahr 1961 in der Tat einen wichtigen,
äußeren Einschnitt. Die Gliederung des Buches vermittelt
einen guten Überblick über die Höhepunkte und wichtigsten
zeitlichen Einschnitte der weiteren Entwicklung:

Kap. III „Die Entwicklung 1961-65", Kap. IV „Die Bekenntnisbewegung
von ihrer Gründung (12. Januar 1966)
bis zur ersten Großkundgebung (6. März 1966)", die in

Dortmund rund 21000 Menschen vereinte, Kap. V „Die
weitere Entwicklung bis zur Verabschiedung der Ordnung
am 10. April 1967", Kap. VI „Die Auseinandersetzung um
den Kirchentag 1967 in Hannover", Kap. VII „Die Entwicklung
vom Frühjahr bis zum Herbst 1968", Kap. VHI „Der
Kirchentag 1969 in Stuttgart", Kap. X gibt dann einen
zusammenfassenden Ausblick. Sehr dankenswert sind
4 Exkurse, in denen das Verhältnis der Bekenntnisbewegung
zum CVJM, zu den Freikirchen, zu den Kirchlichen
Sammlungen und zur Notgemeinschaft Evangelischer Deutscher
untersucht wird. Zwischen den Kirchlichen Sammlungen
und der Bekenntnisbewegung gibt es personale
Überschneidungen und Zusammenarbeit bei verschiedener
Akzentuierung, die Bekenntnisbewegung widmet sich dem
„Kampf gegen die Zeitgeist-Theologie durch Aktionen", die
Sammlungsbewegung der „Erneuerung der lutherischen
Kirche" (S. 183). Die Bekenntnisbewegung teilt „nicht den
Weg der Kirchlichen Sammlungen in der Tauf- und Pastorinnenfrage
" (S. 184). Was die sogenannte Notgemeinschaft
betrifft, so versucht sie zwar, sich mit der Bekenntnisbewegung
zu liieren, aber letztere lehnt dieses Bündnis
ab und will mit der Notgemeinschaft „in keiner Weis?
zusammen agieren" (S. 189).

Der Leser wird recht umfassend informiert über die
organisatorische Entwicklung der Bekenntnisbewegung in
zeitlicher, geographischer und quantitativer Hinsicht, größere
Aktionen und Kundgebungen, den literarischen Niederschlag
der Bewegung, die wichtigsten beteiligten Personen,
die Reaktionen der Kirchenleitungen, der Theologischen
Fakultäten und der angegriffenen Professoren. Die der
Darstellung zugrunde liegenden Dokumente werden dabei
in knapper, klarer, das Wesentliche herausstellender Weise
referiert, wobei z. T. längere Auszüge geboten werden,
die nach Meinung des Rezensenten, - soweit ihm eine
Überprüfung möglich war -, im ganzen recht geschickt
ausgewählt sind.

Diese Vielseitigkeit der Aspekte der Darstellung erleichtert
es, sich ein Bild von der Bewegung, den ihr zugrunde
liegenden Motiven und den sie tragenden Persönlichkeiten
zu machen, bedingt aber andererseits notwendigerweise,
daß im einzelnen manche Informationslücke gelassen werden
muß. Vielleicht ist doch die Darstellung der theologischen
Motive und Argumentationen noch etwas zu
knapp geraten. Gerade weil der Verfasser sich dankenswerterweise
einer Kommentierung und einer psychologischen
Analyse weitgehend enthält, wäre es wünschenswert
gewesen, in stärkerem Maße nicht nur die Brennpunkte,
sondern auch die Ansatzpunkte der theologischen Auseinandersetzung
darzustellen. Der „Geist" der Bekenntnisbewegung
tritt nicht so plastisch heraus wie ihre „Geschichte".

Es muß m. E. gesehen werden, daß die überaus starke
Spannung zwischen Bekenntnisbewegung und sogenannter
„moderner Theologie", die nur dank des besonnenen Verhaltens
der Kirchenleitungen nicht zur Kirchenspaltung
führte, primär - noch vor der Frage des Bibelverständnisses
usw. - auf der Unsicherheit und Divergenz in
weltbildlich-weltanschaulichen Fragen (vgl. vor allem S. 80f,
116,138,193) beruht.

Berlin H. H. Jenssen

Müller, Gotthold: Botschaft und Situation. Theologische
Informationen für die Gemeinde zum Gespräch um Bibel
und Bekenntnis, Kirche und Theologie. Stuttgart: Calwer
Verlag [1970). 275 S. 8°. Lw. DM 19,-.

Eine „doppelte Buchführung", mit der viele Pfarrer vor
den Gemeinden aus Sorge um Beunruhigung die Ergebnisse
neuzeitlicher Bibelforschung bisher verschwiegen haben,
ist nach dem Urteil des Vf. eine der Ursachen für die
heutigen Spannungen zwischen Theologie und Gemeinde.
Diese Spannungen sind in der westlichen Welt auch
dadurch in ein akutes Stadium getreten, daß die Massen-